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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Siren Ferdinand's Action in dieser so bedeutsamen Krise, Lange hatte er selbst
geschwankt ob Einvernehmen mit Karl oder Widerspruch gegen ihn rathsamer
wäre: wenigstens hat er über beides verhandelt. Oder wäre es nicht für
Spanien ein großer Gewinn gewesen, wenn es um den Preis einer zeitweili¬
gen Duldung der französischen Macht in Neapel Frankreichs Zustimmung zur
gewaltsamen Annexion von Navarra eingetauscht hätte? Lockend war diese
Aussicht: Ferdinand hat auch mit diesem Plane geliebkost. Zuletzt entschied
er sich doch für die andere Seite der gestellten Alternative. Und mit einer
in der That fast naiven Doppelzüngigkeit, mit einer meisterhaft gehandhabten
Interpretation brachte er es dahin, daß der heilige Vater, dem der spanische
Sohn ungeschmälerten Gehorsam gelobt und schuldig zu sein bekannte, um
Schutz gegen den Franzosen ihn anging. Aller Fesseln des Tractates von
Varcellona war er damit erledigt: Karl war es, der in ihnen sich verstrickt
Und festgefahren hatte. Ranke hat einmal früher sehr hübsch über diese Action
Ferdinand's geurtheilt in seiner feinen ironischen Weise: "Es ist nicht geradezu
Treulosigkeit, doch Treue ist's wahrhaftig auch nicht." Und bewunderns-
Werth ist die Kunst, mit welcher jetzt Ferdinand die große europäische Coali-
tion gegen Frankreich, als den europäischen Friedensstörer, in Scene gesetzt,
auf die Weltbühne herausgeführt und dort mit seinen verborgenen Fäden,
unsichtbar aber fühlbar, geleitet hat. Der wollüstige und doch so thatkräf¬
tige Vater der Christenheit, jener Alexander VI., und der ritterliche und doch
so spießbürgerliche Kaiser des Erdballes, jener edle Max von Oestreich --
nichts als Drathpuppen sind sie, von Ferdinand's geschickter Hand zum Reden
und Springen, zum Losschlagen und Stillstehen geleitet. Sein Werk ist es,
wenn 1496 fast ganz Europa gegen Karl VIII. aufstand und wenn der so
glorreiche Zug nach Neapel ohne jeden Erfolg für Frankreich armselig im
Sande verlief.

Ein greifbares Resultat für Spanien war allerdings dies Mal ebenso
Wenig eingeheimst worden, -- aber der Rivale war mitten in der Ernte ge¬
stört, Ferdinand's Rechte und Chancen eines Erwerbes von Neapel waren
gewahrt, und seine Stellung unter den anderen Mächten hatte einen gewal¬
tigen Umschlag erfahren. Die nächsten Früchte der großen Coalition waren
die Ehebündnifse, die jetzt Ferdinand mit den Habsburgern und den Tudors
knüpfte: dynastische und politische Allianzen wurden zu gleicher Zeit in ihnen
besiegelt und bekräftigt. Nun stand Spanien im Mittelpunkte eines großen
Systemes, einer schönen Zukunft gewiß.

Wir bemerkten vorhin, wie im Kriege von 1489 und 1490 Ferdinand
"icht allzu große Anstrengungen gemacht für seine Verbündeten. Aehnlich
auch jetzt. Sobald erst 1496 die Resultatlosigkeit des französischen Unter¬
nehmens gegen Neapel für ihn feststand, erlahmte sein kriegerischer Eifer: den


Siren Ferdinand's Action in dieser so bedeutsamen Krise, Lange hatte er selbst
geschwankt ob Einvernehmen mit Karl oder Widerspruch gegen ihn rathsamer
wäre: wenigstens hat er über beides verhandelt. Oder wäre es nicht für
Spanien ein großer Gewinn gewesen, wenn es um den Preis einer zeitweili¬
gen Duldung der französischen Macht in Neapel Frankreichs Zustimmung zur
gewaltsamen Annexion von Navarra eingetauscht hätte? Lockend war diese
Aussicht: Ferdinand hat auch mit diesem Plane geliebkost. Zuletzt entschied
er sich doch für die andere Seite der gestellten Alternative. Und mit einer
in der That fast naiven Doppelzüngigkeit, mit einer meisterhaft gehandhabten
Interpretation brachte er es dahin, daß der heilige Vater, dem der spanische
Sohn ungeschmälerten Gehorsam gelobt und schuldig zu sein bekannte, um
Schutz gegen den Franzosen ihn anging. Aller Fesseln des Tractates von
Varcellona war er damit erledigt: Karl war es, der in ihnen sich verstrickt
Und festgefahren hatte. Ranke hat einmal früher sehr hübsch über diese Action
Ferdinand's geurtheilt in seiner feinen ironischen Weise: „Es ist nicht geradezu
Treulosigkeit, doch Treue ist's wahrhaftig auch nicht." Und bewunderns-
Werth ist die Kunst, mit welcher jetzt Ferdinand die große europäische Coali-
tion gegen Frankreich, als den europäischen Friedensstörer, in Scene gesetzt,
auf die Weltbühne herausgeführt und dort mit seinen verborgenen Fäden,
unsichtbar aber fühlbar, geleitet hat. Der wollüstige und doch so thatkräf¬
tige Vater der Christenheit, jener Alexander VI., und der ritterliche und doch
so spießbürgerliche Kaiser des Erdballes, jener edle Max von Oestreich —
nichts als Drathpuppen sind sie, von Ferdinand's geschickter Hand zum Reden
und Springen, zum Losschlagen und Stillstehen geleitet. Sein Werk ist es,
wenn 1496 fast ganz Europa gegen Karl VIII. aufstand und wenn der so
glorreiche Zug nach Neapel ohne jeden Erfolg für Frankreich armselig im
Sande verlief.

Ein greifbares Resultat für Spanien war allerdings dies Mal ebenso
Wenig eingeheimst worden, — aber der Rivale war mitten in der Ernte ge¬
stört, Ferdinand's Rechte und Chancen eines Erwerbes von Neapel waren
gewahrt, und seine Stellung unter den anderen Mächten hatte einen gewal¬
tigen Umschlag erfahren. Die nächsten Früchte der großen Coalition waren
die Ehebündnifse, die jetzt Ferdinand mit den Habsburgern und den Tudors
knüpfte: dynastische und politische Allianzen wurden zu gleicher Zeit in ihnen
besiegelt und bekräftigt. Nun stand Spanien im Mittelpunkte eines großen
Systemes, einer schönen Zukunft gewiß.

Wir bemerkten vorhin, wie im Kriege von 1489 und 1490 Ferdinand
"icht allzu große Anstrengungen gemacht für seine Verbündeten. Aehnlich
auch jetzt. Sobald erst 1496 die Resultatlosigkeit des französischen Unter¬
nehmens gegen Neapel für ihn feststand, erlahmte sein kriegerischer Eifer: den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/173>, abgerufen am 05.02.2025.