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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Sehr interessant war das Verhalten, womit die patriotische Partei die
Session inaugurirte. Sie gab sich der Hoffnung hin, daß angesichts der
religiösen Wirren volle Eintracht unter ihren Mitgliedern herrschen werde,
und daß die Centrumsfraction, die in der deutschen Frage gesondert votirt
hatte, wenigstens in der römischen Frage mit ihr zusammengehen werde. Die
Parole, welche die Patrioten so oft an ihre Bauern erlassen hatten, ward
nun sogar unter den Deputirten der Partei colportirt, die Religion (hieß es)
ist in Gefahr. Trotzdem aber sonderten sich etwa 15 Mitglieder der Rechten
zu eigenen Clubversammlungen ab, und nahmen im "Deutschen Hause"
(sit venia, verbo) ein eigenes Local.

Im Club der Schwarzen, der im Bamberger Hof installirt war, begann
unterdessen das alte wüste Treiben. Ein Terrorismus ohne Grenzen erdrückte
jede eigene Ueberzeugung; die Herrschaft führten nicht die gemäßigten,
sondern die extremsten Elemente der Partei. Man wußte anfangs nicht,
worauf die ungeheure Rührigkeit der Ultramontanen gerichtet sei, die schon
begann ehe noch von einer Sitzung die Rede war; nun freilich ist bekannt
geworden, daß Herr Jörg sich die äußerste Mühe gab, um ein Mißtrauens¬
votum gegen das neue Ministerium zu erwirken. Dieser Versuch fand indes¬
sen nicht die nöthige Majorität.

Um so radicaler gingen die Ultramontanen bei der Wahl des Directo-
riums zu Wege, das sie gegen allen parlamentarischen Gebrauch ausschlie߬
lich mit ihren Parteigängern besetzten. Auch hier hatte Jörg seine Hand im
Spiele, denn da er selbst die Rolle des ersten Secretärs übernahm, so war
ihm daran gelegen, eine Persönlichkeit auf den Präsidentenstuhl zu heben,
welcher er selbst an Geschäftskenntniß wie an Energie überlegen ist. Eine solche
fand sich denn auch in der Person des Baron Ow, dessen stille Vorzüge
weit größer sind, als seine parlamentarischen Eigenschaften. Nach gleichem
Maßstab ward auch die Stelle des zweiten Präsidenten und des zweiten
Secretärs besetzt.

Noch plumper, als dieses Vorgehen, war indessen die Ernennung der
Ausschüsse, wo es sich doch selbstverständlich um die Besetzung mit Fachmän¬
nern in erster Reihe handelt. Allein auch hier entschied fast nur die Partei¬
stellung. Ja es schien nicht zu genügen, daß unbekannte Namen an dieser
Stelle prangten, sondern man wählte sogar solche, die sich ohne Weiteres
discreditirt hatten. -- Das frappanteste Beispiel dieser Art ist die Wahl der
Herren Kolb und Grell in den Ausschuß für Finanzen. Bekanntlich plädirte
der erstere gerade in dem Augenblick für eine Reduction der Armee, als der
deutsche Krieg die Debatten unterbrach, und nicht nur diesen, sondern vielen
anderen unentbehrlichen Instituten unseres Staatslebens steht derselbe als
Socialdemokrat schroff gegenüber. Was aber den Herrn Franz Xaver


Sehr interessant war das Verhalten, womit die patriotische Partei die
Session inaugurirte. Sie gab sich der Hoffnung hin, daß angesichts der
religiösen Wirren volle Eintracht unter ihren Mitgliedern herrschen werde,
und daß die Centrumsfraction, die in der deutschen Frage gesondert votirt
hatte, wenigstens in der römischen Frage mit ihr zusammengehen werde. Die
Parole, welche die Patrioten so oft an ihre Bauern erlassen hatten, ward
nun sogar unter den Deputirten der Partei colportirt, die Religion (hieß es)
ist in Gefahr. Trotzdem aber sonderten sich etwa 15 Mitglieder der Rechten
zu eigenen Clubversammlungen ab, und nahmen im „Deutschen Hause"
(sit venia, verbo) ein eigenes Local.

Im Club der Schwarzen, der im Bamberger Hof installirt war, begann
unterdessen das alte wüste Treiben. Ein Terrorismus ohne Grenzen erdrückte
jede eigene Ueberzeugung; die Herrschaft führten nicht die gemäßigten,
sondern die extremsten Elemente der Partei. Man wußte anfangs nicht,
worauf die ungeheure Rührigkeit der Ultramontanen gerichtet sei, die schon
begann ehe noch von einer Sitzung die Rede war; nun freilich ist bekannt
geworden, daß Herr Jörg sich die äußerste Mühe gab, um ein Mißtrauens¬
votum gegen das neue Ministerium zu erwirken. Dieser Versuch fand indes¬
sen nicht die nöthige Majorität.

Um so radicaler gingen die Ultramontanen bei der Wahl des Directo-
riums zu Wege, das sie gegen allen parlamentarischen Gebrauch ausschlie߬
lich mit ihren Parteigängern besetzten. Auch hier hatte Jörg seine Hand im
Spiele, denn da er selbst die Rolle des ersten Secretärs übernahm, so war
ihm daran gelegen, eine Persönlichkeit auf den Präsidentenstuhl zu heben,
welcher er selbst an Geschäftskenntniß wie an Energie überlegen ist. Eine solche
fand sich denn auch in der Person des Baron Ow, dessen stille Vorzüge
weit größer sind, als seine parlamentarischen Eigenschaften. Nach gleichem
Maßstab ward auch die Stelle des zweiten Präsidenten und des zweiten
Secretärs besetzt.

Noch plumper, als dieses Vorgehen, war indessen die Ernennung der
Ausschüsse, wo es sich doch selbstverständlich um die Besetzung mit Fachmän¬
nern in erster Reihe handelt. Allein auch hier entschied fast nur die Partei¬
stellung. Ja es schien nicht zu genügen, daß unbekannte Namen an dieser
Stelle prangten, sondern man wählte sogar solche, die sich ohne Weiteres
discreditirt hatten. — Das frappanteste Beispiel dieser Art ist die Wahl der
Herren Kolb und Grell in den Ausschuß für Finanzen. Bekanntlich plädirte
der erstere gerade in dem Augenblick für eine Reduction der Armee, als der
deutsche Krieg die Debatten unterbrach, und nicht nur diesen, sondern vielen
anderen unentbehrlichen Instituten unseres Staatslebens steht derselbe als
Socialdemokrat schroff gegenüber. Was aber den Herrn Franz Xaver


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[0159] Sehr interessant war das Verhalten, womit die patriotische Partei die Session inaugurirte. Sie gab sich der Hoffnung hin, daß angesichts der religiösen Wirren volle Eintracht unter ihren Mitgliedern herrschen werde, und daß die Centrumsfraction, die in der deutschen Frage gesondert votirt hatte, wenigstens in der römischen Frage mit ihr zusammengehen werde. Die Parole, welche die Patrioten so oft an ihre Bauern erlassen hatten, ward nun sogar unter den Deputirten der Partei colportirt, die Religion (hieß es) ist in Gefahr. Trotzdem aber sonderten sich etwa 15 Mitglieder der Rechten zu eigenen Clubversammlungen ab, und nahmen im „Deutschen Hause" (sit venia, verbo) ein eigenes Local. Im Club der Schwarzen, der im Bamberger Hof installirt war, begann unterdessen das alte wüste Treiben. Ein Terrorismus ohne Grenzen erdrückte jede eigene Ueberzeugung; die Herrschaft führten nicht die gemäßigten, sondern die extremsten Elemente der Partei. Man wußte anfangs nicht, worauf die ungeheure Rührigkeit der Ultramontanen gerichtet sei, die schon begann ehe noch von einer Sitzung die Rede war; nun freilich ist bekannt geworden, daß Herr Jörg sich die äußerste Mühe gab, um ein Mißtrauens¬ votum gegen das neue Ministerium zu erwirken. Dieser Versuch fand indes¬ sen nicht die nöthige Majorität. Um so radicaler gingen die Ultramontanen bei der Wahl des Directo- riums zu Wege, das sie gegen allen parlamentarischen Gebrauch ausschlie߬ lich mit ihren Parteigängern besetzten. Auch hier hatte Jörg seine Hand im Spiele, denn da er selbst die Rolle des ersten Secretärs übernahm, so war ihm daran gelegen, eine Persönlichkeit auf den Präsidentenstuhl zu heben, welcher er selbst an Geschäftskenntniß wie an Energie überlegen ist. Eine solche fand sich denn auch in der Person des Baron Ow, dessen stille Vorzüge weit größer sind, als seine parlamentarischen Eigenschaften. Nach gleichem Maßstab ward auch die Stelle des zweiten Präsidenten und des zweiten Secretärs besetzt. Noch plumper, als dieses Vorgehen, war indessen die Ernennung der Ausschüsse, wo es sich doch selbstverständlich um die Besetzung mit Fachmän¬ nern in erster Reihe handelt. Allein auch hier entschied fast nur die Partei¬ stellung. Ja es schien nicht zu genügen, daß unbekannte Namen an dieser Stelle prangten, sondern man wählte sogar solche, die sich ohne Weiteres discreditirt hatten. — Das frappanteste Beispiel dieser Art ist die Wahl der Herren Kolb und Grell in den Ausschuß für Finanzen. Bekanntlich plädirte der erstere gerade in dem Augenblick für eine Reduction der Armee, als der deutsche Krieg die Debatten unterbrach, und nicht nur diesen, sondern vielen anderen unentbehrlichen Instituten unseres Staatslebens steht derselbe als Socialdemokrat schroff gegenüber. Was aber den Herrn Franz Xaver

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/159>, abgerufen am 11.02.2025.