Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wort, das Ministerium hatte eine Linie markirt, hinter die es nicht mehr
zurücktreten durfte, ohne sich selber preiszugeben.

Auf diesen Erlaß, der zu den werthvollsten Ackerstücken der baierischen
Politik zählt, kam eine doppelte Antwort. Die erste derselben ist vom
Münchener Erzbischof gezeichnet und ist, was ihre Genesis und ihren Ton
betrifft, so charakteristisch, daß sie wohl ein näheres Wort verdient. In der
brutalsten Weise sprach der Verfasser seine Genugthuung aus, daß er das ge>
than habe, was geschehen sei und leugnete dreist den Buchstaben des Gesetzes,
den er verletzt hatte. Der Eindruck in der öffentlichen Meinung war stupend.
Man hatte sich niemals allzuhohen Erwartungen hingegeben, denn die gei¬
stige Persönlichkeit des Erzbischofs war geeignet, vor jeder Illusion zu
schützen, allein, daß er den Cynismus so weit treiben, daß er in dieser plum¬
pen Form sich rechtfertigen oder auf eine Rechtfertigung verzichten würde,
das hatten doch selbst jene nicht geglaubt, die ihm einen Rest von Mitleid
bewahrt hatten.

Außerdem war ausgefallen, daß die erzbischöfliche Erwiderung fast
zwei Monate nach dem Erlaß des Cultusministers erschien. Dieser Umstand
wirst auf die Entstehung des bewußten Actenstücks ein bedeutungsvolles Licht,
denn er bestätigt die Vermuthung, daß das Ordinariat im Anfang gar keine
Replik beabsichtigt habe.

Allein bekanntlich steht dasselbe weniger unter dem Einfluß seiner eigenen
Ideen, als vielmehr unter dem Druck derjenigen, die ihm von Seite der römi¬
schen Nuntiatur octroyirt werden. Diese forderte die Erwiderung, sie
scheint das berüchtigte Wort zum Princip zu nehmen, das durch Benedetti
vor wenigen Tagen bekannt ward: LruslZMiz I<z roi. Zudem hatte sich der
Erzbischof gerade um jene Zeit nach Passau und Regensburg begeben, wo
die fanatischsten Suffragane regieren und die Jesuiten, die in letzter Stadt
als "Gäste" des Bischofs Senestrey wohnen, ließen nichts unversucht, um
den unbeholfenen und rathlosen Metropoliten zu gewinnen.

In wie nahem Zusammenhange der Erlaß mit dieser Gesellschaft stand,
bewies unter Anderem der Umstand, daß unmittelbar nach demselben auch
Bischof Senestrey eine "Antwort" sandte, die durch keine Frage provocirt
war und nur in potenzirter Weise das erste Schreiben copirte.

So spitzten sich denn die Gegensätze immer weiter zu; die Feindseligkeit
zwischen Staat und Kirche stieg, man wartete nur auf den Augenblick,
um zum offenen Kampf zu schreiten. Diese Gelegenheit war naturgemäß ge¬
boten, als die Kammer am 20. September zusammentrat. Nun war ein
legitimer und weithin sichtbarer Schauplatz für den kirchlichen Streit gefun¬
den, nun sollte das neue Ministerium sein parlamentarisches Debut und seine
politische Feuerprobe bestehen.


Wort, das Ministerium hatte eine Linie markirt, hinter die es nicht mehr
zurücktreten durfte, ohne sich selber preiszugeben.

Auf diesen Erlaß, der zu den werthvollsten Ackerstücken der baierischen
Politik zählt, kam eine doppelte Antwort. Die erste derselben ist vom
Münchener Erzbischof gezeichnet und ist, was ihre Genesis und ihren Ton
betrifft, so charakteristisch, daß sie wohl ein näheres Wort verdient. In der
brutalsten Weise sprach der Verfasser seine Genugthuung aus, daß er das ge>
than habe, was geschehen sei und leugnete dreist den Buchstaben des Gesetzes,
den er verletzt hatte. Der Eindruck in der öffentlichen Meinung war stupend.
Man hatte sich niemals allzuhohen Erwartungen hingegeben, denn die gei¬
stige Persönlichkeit des Erzbischofs war geeignet, vor jeder Illusion zu
schützen, allein, daß er den Cynismus so weit treiben, daß er in dieser plum¬
pen Form sich rechtfertigen oder auf eine Rechtfertigung verzichten würde,
das hatten doch selbst jene nicht geglaubt, die ihm einen Rest von Mitleid
bewahrt hatten.

Außerdem war ausgefallen, daß die erzbischöfliche Erwiderung fast
zwei Monate nach dem Erlaß des Cultusministers erschien. Dieser Umstand
wirst auf die Entstehung des bewußten Actenstücks ein bedeutungsvolles Licht,
denn er bestätigt die Vermuthung, daß das Ordinariat im Anfang gar keine
Replik beabsichtigt habe.

Allein bekanntlich steht dasselbe weniger unter dem Einfluß seiner eigenen
Ideen, als vielmehr unter dem Druck derjenigen, die ihm von Seite der römi¬
schen Nuntiatur octroyirt werden. Diese forderte die Erwiderung, sie
scheint das berüchtigte Wort zum Princip zu nehmen, das durch Benedetti
vor wenigen Tagen bekannt ward: LruslZMiz I<z roi. Zudem hatte sich der
Erzbischof gerade um jene Zeit nach Passau und Regensburg begeben, wo
die fanatischsten Suffragane regieren und die Jesuiten, die in letzter Stadt
als „Gäste" des Bischofs Senestrey wohnen, ließen nichts unversucht, um
den unbeholfenen und rathlosen Metropoliten zu gewinnen.

In wie nahem Zusammenhange der Erlaß mit dieser Gesellschaft stand,
bewies unter Anderem der Umstand, daß unmittelbar nach demselben auch
Bischof Senestrey eine „Antwort" sandte, die durch keine Frage provocirt
war und nur in potenzirter Weise das erste Schreiben copirte.

So spitzten sich denn die Gegensätze immer weiter zu; die Feindseligkeit
zwischen Staat und Kirche stieg, man wartete nur auf den Augenblick,
um zum offenen Kampf zu schreiten. Diese Gelegenheit war naturgemäß ge¬
boten, als die Kammer am 20. September zusammentrat. Nun war ein
legitimer und weithin sichtbarer Schauplatz für den kirchlichen Streit gefun¬
den, nun sollte das neue Ministerium sein parlamentarisches Debut und seine
politische Feuerprobe bestehen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192459"/>
          <p xml:id="ID_618" prev="#ID_617"> Wort, das Ministerium hatte eine Linie markirt, hinter die es nicht mehr<lb/>
zurücktreten durfte, ohne sich selber preiszugeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_619"> Auf diesen Erlaß, der zu den werthvollsten Ackerstücken der baierischen<lb/>
Politik zählt, kam eine doppelte Antwort. Die erste derselben ist vom<lb/>
Münchener Erzbischof gezeichnet und ist, was ihre Genesis und ihren Ton<lb/>
betrifft, so charakteristisch, daß sie wohl ein näheres Wort verdient. In der<lb/>
brutalsten Weise sprach der Verfasser seine Genugthuung aus, daß er das ge&gt;<lb/>
than habe, was geschehen sei und leugnete dreist den Buchstaben des Gesetzes,<lb/>
den er verletzt hatte. Der Eindruck in der öffentlichen Meinung war stupend.<lb/>
Man hatte sich niemals allzuhohen Erwartungen hingegeben, denn die gei¬<lb/>
stige Persönlichkeit des Erzbischofs war geeignet, vor jeder Illusion zu<lb/>
schützen, allein, daß er den Cynismus so weit treiben, daß er in dieser plum¬<lb/>
pen Form sich rechtfertigen oder auf eine Rechtfertigung verzichten würde,<lb/>
das hatten doch selbst jene nicht geglaubt, die ihm einen Rest von Mitleid<lb/>
bewahrt hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_620"> Außerdem war ausgefallen, daß die erzbischöfliche Erwiderung fast<lb/>
zwei Monate nach dem Erlaß des Cultusministers erschien. Dieser Umstand<lb/>
wirst auf die Entstehung des bewußten Actenstücks ein bedeutungsvolles Licht,<lb/>
denn er bestätigt die Vermuthung, daß das Ordinariat im Anfang gar keine<lb/>
Replik beabsichtigt habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_621"> Allein bekanntlich steht dasselbe weniger unter dem Einfluß seiner eigenen<lb/>
Ideen, als vielmehr unter dem Druck derjenigen, die ihm von Seite der römi¬<lb/>
schen Nuntiatur octroyirt werden. Diese forderte die Erwiderung, sie<lb/>
scheint das berüchtigte Wort zum Princip zu nehmen, das durch Benedetti<lb/>
vor wenigen Tagen bekannt ward: LruslZMiz I&lt;z roi. Zudem hatte sich der<lb/>
Erzbischof gerade um jene Zeit nach Passau und Regensburg begeben, wo<lb/>
die fanatischsten Suffragane regieren und die Jesuiten, die in letzter Stadt<lb/>
als &#x201E;Gäste" des Bischofs Senestrey wohnen, ließen nichts unversucht, um<lb/>
den unbeholfenen und rathlosen Metropoliten zu gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_622"> In wie nahem Zusammenhange der Erlaß mit dieser Gesellschaft stand,<lb/>
bewies unter Anderem der Umstand, daß unmittelbar nach demselben auch<lb/>
Bischof Senestrey eine &#x201E;Antwort" sandte, die durch keine Frage provocirt<lb/>
war und nur in potenzirter Weise das erste Schreiben copirte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_623"> So spitzten sich denn die Gegensätze immer weiter zu; die Feindseligkeit<lb/>
zwischen Staat und Kirche stieg, man wartete nur auf den Augenblick,<lb/>
um zum offenen Kampf zu schreiten. Diese Gelegenheit war naturgemäß ge¬<lb/>
boten, als die Kammer am 20. September zusammentrat. Nun war ein<lb/>
legitimer und weithin sichtbarer Schauplatz für den kirchlichen Streit gefun¬<lb/>
den, nun sollte das neue Ministerium sein parlamentarisches Debut und seine<lb/>
politische Feuerprobe bestehen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] Wort, das Ministerium hatte eine Linie markirt, hinter die es nicht mehr zurücktreten durfte, ohne sich selber preiszugeben. Auf diesen Erlaß, der zu den werthvollsten Ackerstücken der baierischen Politik zählt, kam eine doppelte Antwort. Die erste derselben ist vom Münchener Erzbischof gezeichnet und ist, was ihre Genesis und ihren Ton betrifft, so charakteristisch, daß sie wohl ein näheres Wort verdient. In der brutalsten Weise sprach der Verfasser seine Genugthuung aus, daß er das ge> than habe, was geschehen sei und leugnete dreist den Buchstaben des Gesetzes, den er verletzt hatte. Der Eindruck in der öffentlichen Meinung war stupend. Man hatte sich niemals allzuhohen Erwartungen hingegeben, denn die gei¬ stige Persönlichkeit des Erzbischofs war geeignet, vor jeder Illusion zu schützen, allein, daß er den Cynismus so weit treiben, daß er in dieser plum¬ pen Form sich rechtfertigen oder auf eine Rechtfertigung verzichten würde, das hatten doch selbst jene nicht geglaubt, die ihm einen Rest von Mitleid bewahrt hatten. Außerdem war ausgefallen, daß die erzbischöfliche Erwiderung fast zwei Monate nach dem Erlaß des Cultusministers erschien. Dieser Umstand wirst auf die Entstehung des bewußten Actenstücks ein bedeutungsvolles Licht, denn er bestätigt die Vermuthung, daß das Ordinariat im Anfang gar keine Replik beabsichtigt habe. Allein bekanntlich steht dasselbe weniger unter dem Einfluß seiner eigenen Ideen, als vielmehr unter dem Druck derjenigen, die ihm von Seite der römi¬ schen Nuntiatur octroyirt werden. Diese forderte die Erwiderung, sie scheint das berüchtigte Wort zum Princip zu nehmen, das durch Benedetti vor wenigen Tagen bekannt ward: LruslZMiz I<z roi. Zudem hatte sich der Erzbischof gerade um jene Zeit nach Passau und Regensburg begeben, wo die fanatischsten Suffragane regieren und die Jesuiten, die in letzter Stadt als „Gäste" des Bischofs Senestrey wohnen, ließen nichts unversucht, um den unbeholfenen und rathlosen Metropoliten zu gewinnen. In wie nahem Zusammenhange der Erlaß mit dieser Gesellschaft stand, bewies unter Anderem der Umstand, daß unmittelbar nach demselben auch Bischof Senestrey eine „Antwort" sandte, die durch keine Frage provocirt war und nur in potenzirter Weise das erste Schreiben copirte. So spitzten sich denn die Gegensätze immer weiter zu; die Feindseligkeit zwischen Staat und Kirche stieg, man wartete nur auf den Augenblick, um zum offenen Kampf zu schreiten. Diese Gelegenheit war naturgemäß ge¬ boten, als die Kammer am 20. September zusammentrat. Nun war ein legitimer und weithin sichtbarer Schauplatz für den kirchlichen Streit gefun¬ den, nun sollte das neue Ministerium sein parlamentarisches Debut und seine politische Feuerprobe bestehen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/158>, abgerufen am 05.02.2025.