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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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selbe mit der Entlassung Bray's beantwortet ward, so hat Hr. v. Lutz kein
weiteres Hinderniß für sein Borgehen.

Dies ist die äußere Gruppirung der Männer, die das neue baierische
Ministerium bilden, die in einem Augenblicke an's Ruder griffen, wo die
Krisis auf ihren Höhepunkt gekommen war, wo die Schicksale dieses Landes
abermals alle Blicke der Denkenden auf sich zogen.

Die Aufnahme, die das neue Cabinet im Publicum fand, war Anfangs,
wie schon bemerkt, eine äußerst reservirte, man war durch zu viele Täuschun¬
gen mißtrauisch geworden.

Entschiedener, als die öffentliche Meinung im Volke, trat die Presse her¬
vor; sie hatte sich rascher wieder erholt und ein ruhiges objectives Urtheil
gewonnen. Mit Genugthuung begrüßten die liberalen Blätter die neuerwähl¬
ten, denen eine so schwierige Aufgabe zugefallen war; sie fühlten, daß das
Vertrauen des Volkes denselben entgegenkommen müsse, um eine sichere und
befriedigende Lösung zu erreichen.

Um so wüthender aber griffen die Ultramontanen an, obwohl die Mi¬
nister ihre Gesinnung noch durch keine Handlung verrathen hatten, und die¬
ser Angriff war in den Augen aller Gutgesinnten das günstigste Prognosti¬
kon. Geschadet hat dem neuen Cabinete nur eine Partei, und zwar die so¬
genannte Centrumsfraction, die von Versöhnung faselte und sich den Anschein
gab, als wäre sie der wahre Repräsentant der künftigen Politik. Natürlich
war wieder Herr Huttler der unvermeidliche Faiscur in diesem Falle, denn
ohne viel zu fragen, oktroyirten seine beiden Blätter dem neuen Ministerium
das zweifelhafte Glück ihrer Freundschaft. Einen Augenblick ließ sich das
Publicum durch die frömmelnden Phrasen der Postzeitung und durch die
plumpen Gemeinplätze des baierischen Kurier düpiren, denn wer auf die Düpe
speculirt, bleibt niemals allein; aber bald vermochten die aufdringlichen Sym¬
pathien dieser Duodezfractivn dem Ministerium nicht weiter zu schaden. Daß
sie ihm etwa hätten nützen können, das kam wohl überhaupt für Niemanden
in Frage, der bis 10 oder Is zu zählen weiß.

Der erste Act von politischer Tragweite, womit das neue Ministerium
debütirte, war der Erlaß an den Erzbischof von München. Natürlich fand
derselbe ein sehr verschiedenes Urtheil, denn vielen ging er zu weit und noch
weit mehreren erschien er ungenügend, aber im Ganzen trug er doch ein so
entschiedenes Gepräge, daß er als Thatsache von hoher Bedeutung in
Betracht kam. Er hatte das Verdienst, daß er den schwankenden Conflict
zwischen Staat und Kirche wenigstens im Princip feststellte, wenn er auch
Praktische Maßregeln vorbehielt; daß er die Verfassungsverletzung der Bischöfe
und die Staatsgefährlichkeit ihrer Doctrinen wenigstens in nacktester Weise
aussprach, wenn er auch nicht der Schuld die Strafe folgen ließ. Mit einem


selbe mit der Entlassung Bray's beantwortet ward, so hat Hr. v. Lutz kein
weiteres Hinderniß für sein Borgehen.

Dies ist die äußere Gruppirung der Männer, die das neue baierische
Ministerium bilden, die in einem Augenblicke an's Ruder griffen, wo die
Krisis auf ihren Höhepunkt gekommen war, wo die Schicksale dieses Landes
abermals alle Blicke der Denkenden auf sich zogen.

Die Aufnahme, die das neue Cabinet im Publicum fand, war Anfangs,
wie schon bemerkt, eine äußerst reservirte, man war durch zu viele Täuschun¬
gen mißtrauisch geworden.

Entschiedener, als die öffentliche Meinung im Volke, trat die Presse her¬
vor; sie hatte sich rascher wieder erholt und ein ruhiges objectives Urtheil
gewonnen. Mit Genugthuung begrüßten die liberalen Blätter die neuerwähl¬
ten, denen eine so schwierige Aufgabe zugefallen war; sie fühlten, daß das
Vertrauen des Volkes denselben entgegenkommen müsse, um eine sichere und
befriedigende Lösung zu erreichen.

Um so wüthender aber griffen die Ultramontanen an, obwohl die Mi¬
nister ihre Gesinnung noch durch keine Handlung verrathen hatten, und die¬
ser Angriff war in den Augen aller Gutgesinnten das günstigste Prognosti¬
kon. Geschadet hat dem neuen Cabinete nur eine Partei, und zwar die so¬
genannte Centrumsfraction, die von Versöhnung faselte und sich den Anschein
gab, als wäre sie der wahre Repräsentant der künftigen Politik. Natürlich
war wieder Herr Huttler der unvermeidliche Faiscur in diesem Falle, denn
ohne viel zu fragen, oktroyirten seine beiden Blätter dem neuen Ministerium
das zweifelhafte Glück ihrer Freundschaft. Einen Augenblick ließ sich das
Publicum durch die frömmelnden Phrasen der Postzeitung und durch die
plumpen Gemeinplätze des baierischen Kurier düpiren, denn wer auf die Düpe
speculirt, bleibt niemals allein; aber bald vermochten die aufdringlichen Sym¬
pathien dieser Duodezfractivn dem Ministerium nicht weiter zu schaden. Daß
sie ihm etwa hätten nützen können, das kam wohl überhaupt für Niemanden
in Frage, der bis 10 oder Is zu zählen weiß.

Der erste Act von politischer Tragweite, womit das neue Ministerium
debütirte, war der Erlaß an den Erzbischof von München. Natürlich fand
derselbe ein sehr verschiedenes Urtheil, denn vielen ging er zu weit und noch
weit mehreren erschien er ungenügend, aber im Ganzen trug er doch ein so
entschiedenes Gepräge, daß er als Thatsache von hoher Bedeutung in
Betracht kam. Er hatte das Verdienst, daß er den schwankenden Conflict
zwischen Staat und Kirche wenigstens im Princip feststellte, wenn er auch
Praktische Maßregeln vorbehielt; daß er die Verfassungsverletzung der Bischöfe
und die Staatsgefährlichkeit ihrer Doctrinen wenigstens in nacktester Weise
aussprach, wenn er auch nicht der Schuld die Strafe folgen ließ. Mit einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/157>, abgerufen am 05.02.2025.