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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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und da auch die Städte, die Rechte der alten gothischen Volks-Versammlung
überkommen und zu staatsgefährlicher Bedeutung gesteigert hatten. Von seinen
Ständen war der Landesfürst abhängig, in allem und jedem Acte an ihre
Zustimmung und ihren guten Willen gebunden. In Castilien war die Macht
der Krone fast zu einem Scheine geworden; wild und wüst tobten kleine und
große Ritter und Herren durch das Land: alles Recht und aller Besitz war
vor ihnen unsicher: das Gesetz des Landes war das Recht des Stärkeren.
Die Beamten waren dem Adel dienstbar; alle Führerposten waren aus seiner
Mitte besetzt; eigenwillig entschieden die Adelsfactionen über Krieg und
Frieden. Dauernd herrschte im Adel selbst Uneinigkeit und Parteiwesen:
portugiesische, narvarrische, aragonische Verbindungen, Verbrüderungen der
Guzman, Davalos, Pachecos, und wie diese Familien hießen, durchkreuzten
in buntem Spiele einander die Pfade, kurz, die Gefahr lag nahe, daß diese
Fehden die Krone von Castilien in kleine Stücke und Scherben zerschlugen,
und daß aus dem Ruine dieses Königreiches kleine autonome Adelsherrschaften
wieder erwüchsen.

Den Höhepunct so unseliger Verwirrung bildet die Regierung Juan II.
Der Besitz der Krone wurde damals fast vollständig an Günstlinge verschleu¬
dert: wechselnde Adelshäupter waren die eigentlichen Herren im Lande. Der
Sohn und Nachfolger Juan's, Heinrich IV., hatte wohl die Einsicht in die
Verderblichkeit der Zustände, aber er vermochte nichts zu ändern oder zu
bessern. Nun wurde im Adel die Meinung verbreitet, das einzige Töchterchen,
das die Königin geboren, Juana, sei ein Sprößling verbotenen Umganges,
nicht ein Kind des Königs selbst; man erklärte, sie nicht als Thronerbin an¬
zuerkennen. Die dem Könige feindliche Adelsfaction erhob einen Halbbruder
des Königs zu ihrem Führer: Heinrich entthronend, wollte man unter dem
Scheinkönigthum des Infanten Alfons das Land beherrschen. Als Alfons
in frühem Alter gestorben, galt es, dieser antiköniglichen Partei ein neues
Werkzeug, eine neue Puppe zu finden: als solche bot sich ihnen die jüngere
Schwester Alfons und Heinrichs. Jsabella dar. Man wollte die siebzehn¬
jährige als Königin ausrufen; sie aber lieh sich nicht solchem Beginnen: "so
lange ihr Bruder Heinrich lebe, sei er der König," lautete ihre Antwort an
den Chef der Insurgenten, aber sie erklärte zugleich sich bereit, einen Com-
promiß für die Zukunft anzubahnen. Nicht Königin einer Adelsfaction oder
Räuberin der brüderlichen Krone zu werden, vielmehr Thronerbin und Nach¬
folgerin des Bruders, von ihm selbst anerkannt und von allen Parteien im
Lande gutgeheißen: darauf zielte ihr Ehrgeiz. Es gelang ihr. In Toros
de Guisando wurde das Abkommen im September 1468 besiegelt. Und wenn
auch darnach wieder König Heinrich zu Gunsten seiner Tochter, die er selbst
als solche stets betrachtete, die eben stipulirte Erbfolge Jsabellas umzustoßen


und da auch die Städte, die Rechte der alten gothischen Volks-Versammlung
überkommen und zu staatsgefährlicher Bedeutung gesteigert hatten. Von seinen
Ständen war der Landesfürst abhängig, in allem und jedem Acte an ihre
Zustimmung und ihren guten Willen gebunden. In Castilien war die Macht
der Krone fast zu einem Scheine geworden; wild und wüst tobten kleine und
große Ritter und Herren durch das Land: alles Recht und aller Besitz war
vor ihnen unsicher: das Gesetz des Landes war das Recht des Stärkeren.
Die Beamten waren dem Adel dienstbar; alle Führerposten waren aus seiner
Mitte besetzt; eigenwillig entschieden die Adelsfactionen über Krieg und
Frieden. Dauernd herrschte im Adel selbst Uneinigkeit und Parteiwesen:
portugiesische, narvarrische, aragonische Verbindungen, Verbrüderungen der
Guzman, Davalos, Pachecos, und wie diese Familien hießen, durchkreuzten
in buntem Spiele einander die Pfade, kurz, die Gefahr lag nahe, daß diese
Fehden die Krone von Castilien in kleine Stücke und Scherben zerschlugen,
und daß aus dem Ruine dieses Königreiches kleine autonome Adelsherrschaften
wieder erwüchsen.

Den Höhepunct so unseliger Verwirrung bildet die Regierung Juan II.
Der Besitz der Krone wurde damals fast vollständig an Günstlinge verschleu¬
dert: wechselnde Adelshäupter waren die eigentlichen Herren im Lande. Der
Sohn und Nachfolger Juan's, Heinrich IV., hatte wohl die Einsicht in die
Verderblichkeit der Zustände, aber er vermochte nichts zu ändern oder zu
bessern. Nun wurde im Adel die Meinung verbreitet, das einzige Töchterchen,
das die Königin geboren, Juana, sei ein Sprößling verbotenen Umganges,
nicht ein Kind des Königs selbst; man erklärte, sie nicht als Thronerbin an¬
zuerkennen. Die dem Könige feindliche Adelsfaction erhob einen Halbbruder
des Königs zu ihrem Führer: Heinrich entthronend, wollte man unter dem
Scheinkönigthum des Infanten Alfons das Land beherrschen. Als Alfons
in frühem Alter gestorben, galt es, dieser antiköniglichen Partei ein neues
Werkzeug, eine neue Puppe zu finden: als solche bot sich ihnen die jüngere
Schwester Alfons und Heinrichs. Jsabella dar. Man wollte die siebzehn¬
jährige als Königin ausrufen; sie aber lieh sich nicht solchem Beginnen: „so
lange ihr Bruder Heinrich lebe, sei er der König," lautete ihre Antwort an
den Chef der Insurgenten, aber sie erklärte zugleich sich bereit, einen Com-
promiß für die Zukunft anzubahnen. Nicht Königin einer Adelsfaction oder
Räuberin der brüderlichen Krone zu werden, vielmehr Thronerbin und Nach¬
folgerin des Bruders, von ihm selbst anerkannt und von allen Parteien im
Lande gutgeheißen: darauf zielte ihr Ehrgeiz. Es gelang ihr. In Toros
de Guisando wurde das Abkommen im September 1468 besiegelt. Und wenn
auch darnach wieder König Heinrich zu Gunsten seiner Tochter, die er selbst
als solche stets betrachtete, die eben stipulirte Erbfolge Jsabellas umzustoßen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/131>, abgerufen am 05.02.2025.