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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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erhalten. Jener Feind, den man mit solcher Anstrengung bekämpft und
schließlich niedergerungen hatte, war der Bekenner einer dem Christenthume
feindlichen Religion: es konnte gar nicht ausbleiben, daß der Spanier von un¬
bändigsten Drange beseelt wurde, des Gegners Kirche und' Religion zu ver¬
nichten. Heißer Kriegsmuth und fanatischer Glaubenseifer sind die beiden
Eigenschaften, welche die spanische Nation aus dem Mittelalter in die Neuzeit
begleiten.

Und wie nun jener ewige Krieg des spanischen Mittelalters einmal ge¬
führt worden war, so hatte die einzelnen Spanier nicht einmal die Gemein¬
samkeit ihrer Interessen wider denselben Feind zusammengehalten. Jeder
mächtige Herr, jeder reiche Baron oder Graf, jede Stadt und jede Landschaft
pflegte den Maurenkrieg auf eigene Hand zu führen. Was man dem Islam
abgewann, bildete nicht einen Staat, sondern es entstanden eine ganze Reihe
kleiner selbstherrlicher Reiche neben einander. Erst nach und nach traten ein¬
zelne dieser Länder zu Gruppen zusammen: einzelne Reiche wurden, -- auf
welchem Wege auch immer, ist für unsere Betrachtung gleichgültig -- unter
demselben Regenten vereinigt, wenn auch jedes derselben die alte eigenthüm¬
liche Verfassung in voller Selbständigkeit noch behielt. Im fünfzehnten Jahr¬
hundert gab es zuletzt fünf solcher Ländercomplere. Im Norden und in der
Mitte der Halbinsel waren mit Ca stillen Leon und Gallicim und andere
kleine Besitzungen unlöslich verbunden. Daneben bestand im Osten die Krone
Aragon mit ihren Rebenlauben Catalonien und Valencia. Es lag auf der
Hand, daß die weitere Vereinigung von Castilien und Aragon auch sofort
das staatliche Uebergewicht auf der Halbinsel und die Zukunft Spaniens ent¬
schieden haben würde; diese Vereinigung war auch schon mehrfach versucht
worden, sie hatte sich aber nicht zu behaupten vermocht. Ein Vasall von
Castilien hatte sich im 12. Jahrhundert zur Unabhängigkeit emporgearbeitet:
den Westen und Nordwesten der Halbinsel nahm die Krone Portugal ein,
die glücklich einem jeden Versuche widerstand, in die alte Unterordnung sie
zurückzuzwingen. Und ebenso war auch der äußerste Norden, Navarra, die
viel begehrte Grenzscheide französischen und spanischen Verlangens, der Unter¬
werfung oder Vereinigung eines Nachbarreiches zuletzt immer wieder glücklich
entgangen. Außerdem war noch ein mohammedanisches Reich aufrecht ge¬
blieben, Granada, der letzte Nest arabischer Herrlichkeit. Aber ihm drohte
der Untergang unvermeidlich, sobald die Christen erst unter sich einig ge¬
worden und zu einem letzten energischen Aufschwünge sich aufraffen würden.

Um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren freilich in Castilien wie in
Aragon die staatlichen Zustände sast einer völligen Auflösung nahe. In den
einzelnen Theilreichen war die mittelalterliche Verfassung verschieden gestaltet:
als gemeinsam ihnen allen läßt sich hervorheben, daß Adel und Clerus, hier


erhalten. Jener Feind, den man mit solcher Anstrengung bekämpft und
schließlich niedergerungen hatte, war der Bekenner einer dem Christenthume
feindlichen Religion: es konnte gar nicht ausbleiben, daß der Spanier von un¬
bändigsten Drange beseelt wurde, des Gegners Kirche und' Religion zu ver¬
nichten. Heißer Kriegsmuth und fanatischer Glaubenseifer sind die beiden
Eigenschaften, welche die spanische Nation aus dem Mittelalter in die Neuzeit
begleiten.

Und wie nun jener ewige Krieg des spanischen Mittelalters einmal ge¬
führt worden war, so hatte die einzelnen Spanier nicht einmal die Gemein¬
samkeit ihrer Interessen wider denselben Feind zusammengehalten. Jeder
mächtige Herr, jeder reiche Baron oder Graf, jede Stadt und jede Landschaft
pflegte den Maurenkrieg auf eigene Hand zu führen. Was man dem Islam
abgewann, bildete nicht einen Staat, sondern es entstanden eine ganze Reihe
kleiner selbstherrlicher Reiche neben einander. Erst nach und nach traten ein¬
zelne dieser Länder zu Gruppen zusammen: einzelne Reiche wurden, — auf
welchem Wege auch immer, ist für unsere Betrachtung gleichgültig — unter
demselben Regenten vereinigt, wenn auch jedes derselben die alte eigenthüm¬
liche Verfassung in voller Selbständigkeit noch behielt. Im fünfzehnten Jahr¬
hundert gab es zuletzt fünf solcher Ländercomplere. Im Norden und in der
Mitte der Halbinsel waren mit Ca stillen Leon und Gallicim und andere
kleine Besitzungen unlöslich verbunden. Daneben bestand im Osten die Krone
Aragon mit ihren Rebenlauben Catalonien und Valencia. Es lag auf der
Hand, daß die weitere Vereinigung von Castilien und Aragon auch sofort
das staatliche Uebergewicht auf der Halbinsel und die Zukunft Spaniens ent¬
schieden haben würde; diese Vereinigung war auch schon mehrfach versucht
worden, sie hatte sich aber nicht zu behaupten vermocht. Ein Vasall von
Castilien hatte sich im 12. Jahrhundert zur Unabhängigkeit emporgearbeitet:
den Westen und Nordwesten der Halbinsel nahm die Krone Portugal ein,
die glücklich einem jeden Versuche widerstand, in die alte Unterordnung sie
zurückzuzwingen. Und ebenso war auch der äußerste Norden, Navarra, die
viel begehrte Grenzscheide französischen und spanischen Verlangens, der Unter¬
werfung oder Vereinigung eines Nachbarreiches zuletzt immer wieder glücklich
entgangen. Außerdem war noch ein mohammedanisches Reich aufrecht ge¬
blieben, Granada, der letzte Nest arabischer Herrlichkeit. Aber ihm drohte
der Untergang unvermeidlich, sobald die Christen erst unter sich einig ge¬
worden und zu einem letzten energischen Aufschwünge sich aufraffen würden.

Um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren freilich in Castilien wie in
Aragon die staatlichen Zustände sast einer völligen Auflösung nahe. In den
einzelnen Theilreichen war die mittelalterliche Verfassung verschieden gestaltet:
als gemeinsam ihnen allen läßt sich hervorheben, daß Adel und Clerus, hier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/130>, abgerufen am 05.02.2025.