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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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abends vor Tisch "componiren die genannten Herren und Knaben Ar¬
gument" und -- lassen sich waschen!" Nach Tisch: eWinen oräi-
zmnäorum. -- Am Sonntage explicirte der Magister vor der Predigt das
Evangelium "Grekisch" und repetirte dasselbe nach der Abendpredigt.

An zwei Wochentagen sagten I. F. G, bei Tisch abwechselnd lateinische
Reden her, "um sich darauf zu gewöhnen, öffentlich zu sprechen." Einer der
gelahrten Räthe hatte hierauf zu antworten, Donnerstags Abend wurde
während der Mahlzeit im Beisein der Räthe versificirt.

Abends 8 Uhr wurden Melanchthons historische Schriften tractirt, in's
Lateinische oder Deutsche übersetzt, ein Kapitel aus Luther's Bibelübersetzung
gelesen, gemeinsam gebetet und zu Bett gegangen. --

So ging in jener Zeit die Absicht alles Unterrichts allein auf die Fer¬
tigkeit einer correcten, dialektisch und rednerisch ausgebildeten Darstellung in
lateinischer Sprache. Fast in jeder Stunde wurde Latein getrieben, -- alle
übrigen Lehrzweige gaben nur den Stoff dazu her, die Sprachdarstellung nach
allen Seiten zu vollenden. Heißt es doch schon in der pommerschen Kirchen¬
ordnung von 1535: "Die prueeeptoröK sollen mit den cliseiMlis alle Wege
lateinisch, und nicht deutsch reden, als welches an sich leichtfertig
und bei den Kindern ärgerlich und schädlich!" Dafür spricht auch
die Schulordnung, welche Luther und Melanchthon 1538 für die sächsischen
Schulen entworfen: bei 26 wöchentlichen Schulstunden sind 2 für Religion,
6 für Musik und -- 18 für Latein bestimmt. Das Griechische tritt erst 1580
in der Schulordnung Kurfürst August's auf.

Im Januar 1560 -- wenige Monate vor dem Heimgange seines Freun¬
des Melanchthon zu Wittenberg -- starb Herzog Philipp. Sein ältester
Sohn, der 18jährige Johann Friedrich, blieb jetzt nach Bestimmung der Vor¬
münder in Wolgast, um als zukünftiger Regent unter der Leitung seiner
Mutter, seiner Räthe und eines "guten, sittigen und gelarten Präeeptors"
seine Studien in der Heimat zu beenden. Seine drei jüngeren Brüder Bo-
gislav, Ernst Ludwig und Barnim aber wurden nach Greifswald zurück¬
geschickt -- "weil am Hofe die Studia junger Herren nicht sonderlich ge¬
deihen !"

Die Universität Greifswald aber war zur Zeit in einer gar traurigen
Verfassung. Im Jahre 1524 hatte hier die Pest so furchtbar gewüthet, daß
fast alle Professoren und Studenten die Stadt verließen und zum großen
Theil nach dem berühmten Wittenberg gingen. Wegen Mangel an Zuhörern
mußte die Universität sogar längere Zeit geschlossen werden. Unter den Be¬
mühungen Herzog Philipp's wieder geöffnet, wollte das alte Leben doch lange
nicht wiederkehren. Es fehlten besonders die Mittel, um neue tüchtige Lehrer


abends vor Tisch „componiren die genannten Herren und Knaben Ar¬
gument« und — lassen sich waschen!" Nach Tisch: eWinen oräi-
zmnäorum. — Am Sonntage explicirte der Magister vor der Predigt das
Evangelium „Grekisch" und repetirte dasselbe nach der Abendpredigt.

An zwei Wochentagen sagten I. F. G, bei Tisch abwechselnd lateinische
Reden her, „um sich darauf zu gewöhnen, öffentlich zu sprechen." Einer der
gelahrten Räthe hatte hierauf zu antworten, Donnerstags Abend wurde
während der Mahlzeit im Beisein der Räthe versificirt.

Abends 8 Uhr wurden Melanchthons historische Schriften tractirt, in's
Lateinische oder Deutsche übersetzt, ein Kapitel aus Luther's Bibelübersetzung
gelesen, gemeinsam gebetet und zu Bett gegangen. —

So ging in jener Zeit die Absicht alles Unterrichts allein auf die Fer¬
tigkeit einer correcten, dialektisch und rednerisch ausgebildeten Darstellung in
lateinischer Sprache. Fast in jeder Stunde wurde Latein getrieben, — alle
übrigen Lehrzweige gaben nur den Stoff dazu her, die Sprachdarstellung nach
allen Seiten zu vollenden. Heißt es doch schon in der pommerschen Kirchen¬
ordnung von 1535: „Die prueeeptoröK sollen mit den cliseiMlis alle Wege
lateinisch, und nicht deutsch reden, als welches an sich leichtfertig
und bei den Kindern ärgerlich und schädlich!" Dafür spricht auch
die Schulordnung, welche Luther und Melanchthon 1538 für die sächsischen
Schulen entworfen: bei 26 wöchentlichen Schulstunden sind 2 für Religion,
6 für Musik und — 18 für Latein bestimmt. Das Griechische tritt erst 1580
in der Schulordnung Kurfürst August's auf.

Im Januar 1560 — wenige Monate vor dem Heimgange seines Freun¬
des Melanchthon zu Wittenberg — starb Herzog Philipp. Sein ältester
Sohn, der 18jährige Johann Friedrich, blieb jetzt nach Bestimmung der Vor¬
münder in Wolgast, um als zukünftiger Regent unter der Leitung seiner
Mutter, seiner Räthe und eines „guten, sittigen und gelarten Präeeptors"
seine Studien in der Heimat zu beenden. Seine drei jüngeren Brüder Bo-
gislav, Ernst Ludwig und Barnim aber wurden nach Greifswald zurück¬
geschickt — „weil am Hofe die Studia junger Herren nicht sonderlich ge¬
deihen !"

Die Universität Greifswald aber war zur Zeit in einer gar traurigen
Verfassung. Im Jahre 1524 hatte hier die Pest so furchtbar gewüthet, daß
fast alle Professoren und Studenten die Stadt verließen und zum großen
Theil nach dem berühmten Wittenberg gingen. Wegen Mangel an Zuhörern
mußte die Universität sogar längere Zeit geschlossen werden. Unter den Be¬
mühungen Herzog Philipp's wieder geöffnet, wollte das alte Leben doch lange
nicht wiederkehren. Es fehlten besonders die Mittel, um neue tüchtige Lehrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/11>, abgerufen am 05.02.2025.