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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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in freundlichen Beziehungen. Bei der Erziehung seiner Kinder erbat sich der
Herzog oft Rath vom "Lehrer Deutschlands". Melanchthon sandte
einen ausführlichen Erziehungsplan. Darin heißt es: "Sofern der Knabe
Trägheit an den Tag legt, soll er durch körperliche Züchtigung zum Fleiß
angehalten werden!"

Mit solcher Instruction sandte Herzog Philipp seine Söhne -- die jün¬
geren noch im Kindesalter -- auf die Universität Greifswald.

Voll Scham über die Unwissenheit, den Eigensinn und die Fehlschlusse
der Klostergeistlichen auf der Kirchenversammlung zu Kosemitz, hatte der große
Wradislaw 1436 die Universität Greifswald gegründet, in der Hoffnung, in
seinem Lande Wissenschaft und Bildung erblühn zu sehn. Vor 20 Jahren
hatten die Professoren der Universität Rostock, vor dem Bannstrahl der Kir¬
chenversammlung zu Basel geflohen, in Greifswald eine Freistätte gefunden --
sie wurden die ersten Lehrer der jungen pommerschen Hochschule. Durch die
Bemühungen Johann Bugenhagen's und Knipstrow's, des eifrigen Schülers
von Luther und Melanchthon, war Greifswald nach Wittenberg die erste
Universität, die Luther's Lehre öffentlich annahm.

Nach Melanchthon's Erziehungsplan, unter der Leitung eines Präceptors
und in Gemeinschaft mit den Edelknaben Otto v. Below, Michael v. Böhm,
v. Damitz und v. Platen, lagen die jungen Fürsten ihren Studien ob. Im
Winter und Sommer standen sie pünktlich um 6 Uhr auf, sprachen ein Ge¬
bet aus dem kleinen Katechismus Martin Luther's und lasen ein Kapitel aus
der Bibel. Montags und Dienstags folgten Vorträge über Dialektik und
Cäsars Commentarien. Von halb zehn bis zum Mittagessen um 11 Uhr
körperliche Uebungen und Belustigungen. Von 12--1 Uhr sang ein gelahr¬
ter und in der Musica erfahrener Geselle mit I. F. G. und unterwies sie
auf einem Instrument. Um halb 2 ging der Magister mit ihnen die Regeln
der Arithmetik durch: "damit sie sich etwas zu rechnen gewöhnen, indem
solche Kunst ihnen künftig in der Regierung ganz dienlich fein werde!" Nach
einer Explication von Cicero's Briefen, folgte um 4 Uhr Feast-Unterricht. --
Mittwoch Vormittag wurden sententiöse Carmina recitirt, "damit es
I. F. G. nicht fehle, zu Zeiten mit Gelahrter familiariter versificiren zu kön¬
nen!" Zugleich wurden praktische Uebungen in der edlen Verskunst vorge¬
nommen. Nach Tische Syntax oder epitowen (Auszug) moralis IMosoMiae
?!M)i>i (NLianelMomL), damit die jungen Fürsten die gehörten Vorschriften
der Dialectik auch anzuwenden vermöchten. -- Donnerstags und Freitags
vor Tische: Melanchthons Rhetorik und Cicero's Rede für den Dichter
Archias. Arithmetik und Terenz, Fechtstunde oder Spaziergang. -- Sonn-


in freundlichen Beziehungen. Bei der Erziehung seiner Kinder erbat sich der
Herzog oft Rath vom „Lehrer Deutschlands". Melanchthon sandte
einen ausführlichen Erziehungsplan. Darin heißt es: „Sofern der Knabe
Trägheit an den Tag legt, soll er durch körperliche Züchtigung zum Fleiß
angehalten werden!"

Mit solcher Instruction sandte Herzog Philipp seine Söhne — die jün¬
geren noch im Kindesalter — auf die Universität Greifswald.

Voll Scham über die Unwissenheit, den Eigensinn und die Fehlschlusse
der Klostergeistlichen auf der Kirchenversammlung zu Kosemitz, hatte der große
Wradislaw 1436 die Universität Greifswald gegründet, in der Hoffnung, in
seinem Lande Wissenschaft und Bildung erblühn zu sehn. Vor 20 Jahren
hatten die Professoren der Universität Rostock, vor dem Bannstrahl der Kir¬
chenversammlung zu Basel geflohen, in Greifswald eine Freistätte gefunden —
sie wurden die ersten Lehrer der jungen pommerschen Hochschule. Durch die
Bemühungen Johann Bugenhagen's und Knipstrow's, des eifrigen Schülers
von Luther und Melanchthon, war Greifswald nach Wittenberg die erste
Universität, die Luther's Lehre öffentlich annahm.

Nach Melanchthon's Erziehungsplan, unter der Leitung eines Präceptors
und in Gemeinschaft mit den Edelknaben Otto v. Below, Michael v. Böhm,
v. Damitz und v. Platen, lagen die jungen Fürsten ihren Studien ob. Im
Winter und Sommer standen sie pünktlich um 6 Uhr auf, sprachen ein Ge¬
bet aus dem kleinen Katechismus Martin Luther's und lasen ein Kapitel aus
der Bibel. Montags und Dienstags folgten Vorträge über Dialektik und
Cäsars Commentarien. Von halb zehn bis zum Mittagessen um 11 Uhr
körperliche Uebungen und Belustigungen. Von 12—1 Uhr sang ein gelahr¬
ter und in der Musica erfahrener Geselle mit I. F. G. und unterwies sie
auf einem Instrument. Um halb 2 ging der Magister mit ihnen die Regeln
der Arithmetik durch: „damit sie sich etwas zu rechnen gewöhnen, indem
solche Kunst ihnen künftig in der Regierung ganz dienlich fein werde!" Nach
einer Explication von Cicero's Briefen, folgte um 4 Uhr Feast-Unterricht. —
Mittwoch Vormittag wurden sententiöse Carmina recitirt, „damit es
I. F. G. nicht fehle, zu Zeiten mit Gelahrter familiariter versificiren zu kön¬
nen!" Zugleich wurden praktische Uebungen in der edlen Verskunst vorge¬
nommen. Nach Tische Syntax oder epitowen (Auszug) moralis IMosoMiae
?!M)i>i (NLianelMomL), damit die jungen Fürsten die gehörten Vorschriften
der Dialectik auch anzuwenden vermöchten. — Donnerstags und Freitags
vor Tische: Melanchthons Rhetorik und Cicero's Rede für den Dichter
Archias. Arithmetik und Terenz, Fechtstunde oder Spaziergang. — Sonn-


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[0010] in freundlichen Beziehungen. Bei der Erziehung seiner Kinder erbat sich der Herzog oft Rath vom „Lehrer Deutschlands". Melanchthon sandte einen ausführlichen Erziehungsplan. Darin heißt es: „Sofern der Knabe Trägheit an den Tag legt, soll er durch körperliche Züchtigung zum Fleiß angehalten werden!" Mit solcher Instruction sandte Herzog Philipp seine Söhne — die jün¬ geren noch im Kindesalter — auf die Universität Greifswald. Voll Scham über die Unwissenheit, den Eigensinn und die Fehlschlusse der Klostergeistlichen auf der Kirchenversammlung zu Kosemitz, hatte der große Wradislaw 1436 die Universität Greifswald gegründet, in der Hoffnung, in seinem Lande Wissenschaft und Bildung erblühn zu sehn. Vor 20 Jahren hatten die Professoren der Universität Rostock, vor dem Bannstrahl der Kir¬ chenversammlung zu Basel geflohen, in Greifswald eine Freistätte gefunden — sie wurden die ersten Lehrer der jungen pommerschen Hochschule. Durch die Bemühungen Johann Bugenhagen's und Knipstrow's, des eifrigen Schülers von Luther und Melanchthon, war Greifswald nach Wittenberg die erste Universität, die Luther's Lehre öffentlich annahm. Nach Melanchthon's Erziehungsplan, unter der Leitung eines Präceptors und in Gemeinschaft mit den Edelknaben Otto v. Below, Michael v. Böhm, v. Damitz und v. Platen, lagen die jungen Fürsten ihren Studien ob. Im Winter und Sommer standen sie pünktlich um 6 Uhr auf, sprachen ein Ge¬ bet aus dem kleinen Katechismus Martin Luther's und lasen ein Kapitel aus der Bibel. Montags und Dienstags folgten Vorträge über Dialektik und Cäsars Commentarien. Von halb zehn bis zum Mittagessen um 11 Uhr körperliche Uebungen und Belustigungen. Von 12—1 Uhr sang ein gelahr¬ ter und in der Musica erfahrener Geselle mit I. F. G. und unterwies sie auf einem Instrument. Um halb 2 ging der Magister mit ihnen die Regeln der Arithmetik durch: „damit sie sich etwas zu rechnen gewöhnen, indem solche Kunst ihnen künftig in der Regierung ganz dienlich fein werde!" Nach einer Explication von Cicero's Briefen, folgte um 4 Uhr Feast-Unterricht. — Mittwoch Vormittag wurden sententiöse Carmina recitirt, „damit es I. F. G. nicht fehle, zu Zeiten mit Gelahrter familiariter versificiren zu kön¬ nen!" Zugleich wurden praktische Uebungen in der edlen Verskunst vorge¬ nommen. Nach Tische Syntax oder epitowen (Auszug) moralis IMosoMiae ?!M)i>i (NLianelMomL), damit die jungen Fürsten die gehörten Vorschriften der Dialectik auch anzuwenden vermöchten. — Donnerstags und Freitags vor Tische: Melanchthons Rhetorik und Cicero's Rede für den Dichter Archias. Arithmetik und Terenz, Fechtstunde oder Spaziergang. — Sonn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/10>, abgerufen am 05.02.2025.