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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Allerdings hat eine kritische Darstellung dieses literarischen Aufschwungs zahl¬
reiche, zum Theil verhängnißvolle Fehler und Irrthümer nachzuweisen; sie
wird schon in den Anfängen des Romanticismus die Keime seiner späteren
Verwilderung und seines jähen Verfalles ohne Mühe auffinden; aber die
außerordentliche geistige Regsamkeit, die schöne Begeisterung, mit der das ge¬
bildete Frankreich an der schöpferischen Thätigkeit seiner hervorragenden Geister
Theil nahm, wird auch den Kritiker mit Bewunderung erfüllen, besonders
wenn er mit dem Idealismus jener Zeit die geistige Oede und Verkommen¬
heit vergleicht, für die der wieder erstandene Bonapartismus wohl zum großen
Theil, aber doch keineswegs ausschließlich verantwortlich zu machen ist.

Dem damaligen strebenden Geschlechte mußte die abgelaufene Periode
unter einem trüben, düsteren Lichte erscheinen, und daß unter den gebildeten
Ständen der Bonapartismus keine Parteigänger fand, ist daher erklärlich.
Anders aber war es bei einem großen Theile der ländlichen Bevölkerung, in
der die Napoleonischen Erinnerungen durch die zahlreichen von der Regierung
unkluger Weise vernachlässigten Mitkämpfer jener Zeit lebendig erhalten und
mit einem zauberhaften, bereits halbmythischer Glänze umkleidet wurden.
Auch hatte gerade der Bauernstand den geistigen Druck des Systems am we¬
nigsten empfunden; er hatte den Kaiser als den Testamentsvollstrecker der Re¬
volution kennen lernen und fühlte sich von den zurückgekehrten Bourbonen
in dem Besitz bedroht, den die Revolution ihm erworben, der Kaiser bekräf¬
tigt hatte. Wenn dessen ungeachtet seine bonapartistischen Sympathien nur
in vereinzelten Symptomen zu Tage traten, so lag dies besonders darin, daß
der mit dem Bonapartismus rivalisirende Einfluß der Priesterschaft eifrigst
für die Bourbonen wirkte. Um die Massen des Bauernstandes vollkommen
zu leiten, ist der Bonapartismus auf das Bündniß mit dem Klerus ange¬
wiesen; beide vereinigt sind im Stande, durch die Landbevölkerung einen un¬
widerstehlichen Druck auf die großen Städte auszuüben; trennen sie sich, so
wird der Bauernstand immer wieder dem Einfluß der großen Städte an¬
heimfallen.

Gefördert wurde während der Restaurationszeit der Bonapartismus durch
einige hervorragende Männer, die selbst Nichts weniger als bonapartistisch
gesinnt waren. Zu diesen gehört besonders Beranger, der in seinem leiden¬
schaftlichen Bourbonenhaß wider Willen Propaganda für die napoleonistischen
Ideen machte. Beranger haßte die Bourbonen als Vertreter des xmoivn r6-
g'ime, vor Allem aber, weil sie, die dem Lande durch die Fremden aufge¬
drungen waren, ihm als die Ursache und das Symbol der Erniedrigung
Frankreichs galten. Wie konnte aber diese Erniedrigung dem Volke -- und
Beranger sang für das ganze Volk -- besser zum Bewußtsein gebracht wer¬
den, als durch die ergreifende Schilderung der Typen jener großen Armee,


Allerdings hat eine kritische Darstellung dieses literarischen Aufschwungs zahl¬
reiche, zum Theil verhängnißvolle Fehler und Irrthümer nachzuweisen; sie
wird schon in den Anfängen des Romanticismus die Keime seiner späteren
Verwilderung und seines jähen Verfalles ohne Mühe auffinden; aber die
außerordentliche geistige Regsamkeit, die schöne Begeisterung, mit der das ge¬
bildete Frankreich an der schöpferischen Thätigkeit seiner hervorragenden Geister
Theil nahm, wird auch den Kritiker mit Bewunderung erfüllen, besonders
wenn er mit dem Idealismus jener Zeit die geistige Oede und Verkommen¬
heit vergleicht, für die der wieder erstandene Bonapartismus wohl zum großen
Theil, aber doch keineswegs ausschließlich verantwortlich zu machen ist.

Dem damaligen strebenden Geschlechte mußte die abgelaufene Periode
unter einem trüben, düsteren Lichte erscheinen, und daß unter den gebildeten
Ständen der Bonapartismus keine Parteigänger fand, ist daher erklärlich.
Anders aber war es bei einem großen Theile der ländlichen Bevölkerung, in
der die Napoleonischen Erinnerungen durch die zahlreichen von der Regierung
unkluger Weise vernachlässigten Mitkämpfer jener Zeit lebendig erhalten und
mit einem zauberhaften, bereits halbmythischer Glänze umkleidet wurden.
Auch hatte gerade der Bauernstand den geistigen Druck des Systems am we¬
nigsten empfunden; er hatte den Kaiser als den Testamentsvollstrecker der Re¬
volution kennen lernen und fühlte sich von den zurückgekehrten Bourbonen
in dem Besitz bedroht, den die Revolution ihm erworben, der Kaiser bekräf¬
tigt hatte. Wenn dessen ungeachtet seine bonapartistischen Sympathien nur
in vereinzelten Symptomen zu Tage traten, so lag dies besonders darin, daß
der mit dem Bonapartismus rivalisirende Einfluß der Priesterschaft eifrigst
für die Bourbonen wirkte. Um die Massen des Bauernstandes vollkommen
zu leiten, ist der Bonapartismus auf das Bündniß mit dem Klerus ange¬
wiesen; beide vereinigt sind im Stande, durch die Landbevölkerung einen un¬
widerstehlichen Druck auf die großen Städte auszuüben; trennen sie sich, so
wird der Bauernstand immer wieder dem Einfluß der großen Städte an¬
heimfallen.

Gefördert wurde während der Restaurationszeit der Bonapartismus durch
einige hervorragende Männer, die selbst Nichts weniger als bonapartistisch
gesinnt waren. Zu diesen gehört besonders Beranger, der in seinem leiden¬
schaftlichen Bourbonenhaß wider Willen Propaganda für die napoleonistischen
Ideen machte. Beranger haßte die Bourbonen als Vertreter des xmoivn r6-
g'ime, vor Allem aber, weil sie, die dem Lande durch die Fremden aufge¬
drungen waren, ihm als die Ursache und das Symbol der Erniedrigung
Frankreichs galten. Wie konnte aber diese Erniedrigung dem Volke — und
Beranger sang für das ganze Volk — besser zum Bewußtsein gebracht wer¬
den, als durch die ergreifende Schilderung der Typen jener großen Armee,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/96>, abgerufen am 24.07.2024.