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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Scharfsinns nachzuweisen, daß jedes dieser Mittel unbrauchbar für den ge¬
gebenen Fall sei. Wenn diese Artikel aus der Kanzlei eines bairischen Bi¬
schofs kämen, so würde man vielleicht der jesuitischen Gewandtheit des betref¬
fenden Officiellen oder der Sachkenntniß jener geistlichen Juristen Bewunderung
zollen, aber Herr von Lutz hätte wahrlich darauf verzichten können, seinen
Gegnern solchermaßen in die Hände zu arbeiten. Welchen Trost soll man
daraus schöpfen, wenn ein Staatsmanns der vom Klerus die cynischsten In¬
sulten erfuhr, diesen nur mit limiter Vorsicht zu besänftigen sucht, wenn ein
Minister sich bemüht, nur nach der Unbrauchbarkeit, statt nach der Tauglich¬
keit der verfassungsmäßigen Mittel zu forschen? Und welches Ansehen muß die
Regierung gewinnen (oder verlieren) wenn sie den Bürgern mit allem Scharf¬
sinn zeigt, daß die Verfassung in den wichtigsten Punkten inhaltslos, daß
das Gesetz bei den schwersten Verletzungen machtlos ist? Wahrlich, das mit
Trompetenklang zu verkünden, war weder klug -- denn der allein ist hilflos, der
seine Hilflosigkeit versichert; -- noch nöthig, denn der Episcopat in Baiern ist
keineswegs so läßig, daß die Vertreter des schwergebeugten Staates ihn in der
Aufgabe zu unterstützen hätten, die Ohnmacht desselben noch klarer darzu¬
legen. Wer in dieser Weise bekennt, daß er nichts thun könne, der verräth,
daß er nichts thun will, denn wenn noch die leiseste Entschlossenheit zum
Kampfe besteht, so wird jeder Vernünftige sich hüten, die Zerbrechlichkeit
der Waffen, die man gebrauchen will, dem Gegner vorher zu demon-
striren. Die öffentliche Meinung hat aus den vorliegenden Artikeln die ein-
müthige Ueberzeugung geschöpft, daß Herr von Lutz vor dem Kampfe zwischen
Staat und Kirche zurückschreckt und es ist interessanter geworden zu fragen,
warum er nichts thun will, als warum man nichts thun könne. L-iMnti
Litt. Dem Volke aber dürfte die Erwägung nahe liegen, daß selbst der ge¬
fährlichste Kampf dem Staate weniger schadet als die tägliche brutale Mi߬
handlung desselben von Seite der kirchlichen Würdenträger; daß Wunden
rühmlicher sind, als Fußtritte. Ein so eclatantes Recht wie es der Staat
hier hat, demoralisirt wenn es nicht gebraucht wird und seine unlös¬
bare Kehrseite ist die Pflicht, es geltend zu machen. Einen Kampf, der un¬
vermeidlich geworden ist, zu verschieben, ist nach allen Lehren der Geschichte
weit gefährlicher, als ihn aufzunehmen; das Einzelinteresfe mag aus dem Auf¬
schub desselben Nutzen ziehen, das Interesse der Gesammtheit wird stets da¬
runter leiden.

Wie es scheint, besteht über die Stellung des Cultus-Ministeriums zu
der kirchlichen Frage im Ministerrathe selbst keine vollkommene Eintracht,
wenigstens haben die Differenzen, die dort obwalten, und die Ministerkrisis,
von welcher seit Wochen die Rede ist, ihren unsichtbaren Grund jedenfalls
in den geistlichen Wirren. Ob indessen Graf Bray sich fürchtet, daß Herr


Scharfsinns nachzuweisen, daß jedes dieser Mittel unbrauchbar für den ge¬
gebenen Fall sei. Wenn diese Artikel aus der Kanzlei eines bairischen Bi¬
schofs kämen, so würde man vielleicht der jesuitischen Gewandtheit des betref¬
fenden Officiellen oder der Sachkenntniß jener geistlichen Juristen Bewunderung
zollen, aber Herr von Lutz hätte wahrlich darauf verzichten können, seinen
Gegnern solchermaßen in die Hände zu arbeiten. Welchen Trost soll man
daraus schöpfen, wenn ein Staatsmanns der vom Klerus die cynischsten In¬
sulten erfuhr, diesen nur mit limiter Vorsicht zu besänftigen sucht, wenn ein
Minister sich bemüht, nur nach der Unbrauchbarkeit, statt nach der Tauglich¬
keit der verfassungsmäßigen Mittel zu forschen? Und welches Ansehen muß die
Regierung gewinnen (oder verlieren) wenn sie den Bürgern mit allem Scharf¬
sinn zeigt, daß die Verfassung in den wichtigsten Punkten inhaltslos, daß
das Gesetz bei den schwersten Verletzungen machtlos ist? Wahrlich, das mit
Trompetenklang zu verkünden, war weder klug — denn der allein ist hilflos, der
seine Hilflosigkeit versichert; — noch nöthig, denn der Episcopat in Baiern ist
keineswegs so läßig, daß die Vertreter des schwergebeugten Staates ihn in der
Aufgabe zu unterstützen hätten, die Ohnmacht desselben noch klarer darzu¬
legen. Wer in dieser Weise bekennt, daß er nichts thun könne, der verräth,
daß er nichts thun will, denn wenn noch die leiseste Entschlossenheit zum
Kampfe besteht, so wird jeder Vernünftige sich hüten, die Zerbrechlichkeit
der Waffen, die man gebrauchen will, dem Gegner vorher zu demon-
striren. Die öffentliche Meinung hat aus den vorliegenden Artikeln die ein-
müthige Ueberzeugung geschöpft, daß Herr von Lutz vor dem Kampfe zwischen
Staat und Kirche zurückschreckt und es ist interessanter geworden zu fragen,
warum er nichts thun will, als warum man nichts thun könne. L-iMnti
Litt. Dem Volke aber dürfte die Erwägung nahe liegen, daß selbst der ge¬
fährlichste Kampf dem Staate weniger schadet als die tägliche brutale Mi߬
handlung desselben von Seite der kirchlichen Würdenträger; daß Wunden
rühmlicher sind, als Fußtritte. Ein so eclatantes Recht wie es der Staat
hier hat, demoralisirt wenn es nicht gebraucht wird und seine unlös¬
bare Kehrseite ist die Pflicht, es geltend zu machen. Einen Kampf, der un¬
vermeidlich geworden ist, zu verschieben, ist nach allen Lehren der Geschichte
weit gefährlicher, als ihn aufzunehmen; das Einzelinteresfe mag aus dem Auf¬
schub desselben Nutzen ziehen, das Interesse der Gesammtheit wird stets da¬
runter leiden.

Wie es scheint, besteht über die Stellung des Cultus-Ministeriums zu
der kirchlichen Frage im Ministerrathe selbst keine vollkommene Eintracht,
wenigstens haben die Differenzen, die dort obwalten, und die Ministerkrisis,
von welcher seit Wochen die Rede ist, ihren unsichtbaren Grund jedenfalls
in den geistlichen Wirren. Ob indessen Graf Bray sich fürchtet, daß Herr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/82>, abgerufen am 24.07.2024.