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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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von Lutz doch mit der Zeit Ernst machen könnte, oder ob ein anderes Mitglied
des Ministerrathes darüber erzürnt ist, daß dies bis jetzt nicht geschehen,
wagen wir nicht zu entscheiden; soviel steht fest, daß Herr von Lutz nicht den
Endpunkt der Gegensätze darstellt, sondern in der Mitte zwischen denen steht,
die mehr und die noch weniger gethan wissen wollen als er.

Wir haben im Vorhergehenden den Standpunkt des Ministeriums dar¬
gestellt, und haben nun zwei andere Factoren zu beleuchten, die in der Sache
eine wichtige Rolle spielen: die Haltung des Königs, und die öffentliche
Meinung des Publicums, Beide fanden Gelegenheit, eine entschiedene Probe
ihrer Gesinnung abzulegen und zwar bei zwei großen geistlichen Festen, welche
die jüngste Gegenwart gebracht hat. -- Daß der König nicht an der Frohn-
leichnamsprocession in München Theil nahm, hat politische, nicht bloß eere-
monielle Bedeutung. Die Entschuldigung, daß der Mangel der nöthigen
Garnison den nöthigen Schutz vermissen ließe, ist ebenso gesucht als plump, und
provocirt den Hörer weit eher, sich nach einem richtigeren Grunde umzusehen,
als sich mit diesem zu befriedigen. Der Mangel einer jeglichen Stellvertre¬
tung, wie sie sonst bei diesen Gelegenheiten angeordnet war, wirft auf die
Stellung des Hofes zur erzbischöflichen Curie das schärfste Licht, selbst wenn
man übersehen wollte, daß zwei der obersten Hofchargen in dem Actions-
comit6 vertreten sind. Nicht blos weil der junge König sich persönlich von
jenem Streite fern halten will, sondern vor allem deshalb, weil ihm die
klerikale Streitsucht und Ueberhebung in tiefster Seele verhaßt ist, entzog er
sich einer Feier, die weniger zur Verherrlichung Gottes als seiner Diener ein¬
gerichtet ist. Und dieser Ueberzeugung folgte denn auch das ganze gebildete
Publicum. -- Früher nämlich lag den Staatsbeamten eine Art Verpflichtung
ob, zur "Verherrlichung" des Frohnleichnamstages, wie man euphemistisch
sagte, beizutragen. Diesmal war ein Erlaß des Cültusministeriums erschienen,
der diese Theilnahme ganz dem Belieben des Einzelnen anheimgab. Und in
der That, der Gebrauch, der von diesem Erlasse gemacht ward, war ein allge¬
meiner. -- Nicht nur der Richterstand, auch die Staats-Verwaltung und die
Universität war nahezu ohne Vertretung; das ganze gebildete Publicum, mit
einem Worte der Staat legte einen vernichtenden Protest an diesem Tage
ab. Die große Ueberzahl jener Frommen, über welche die Kirche gebietet,
weil sie zu ihrer leiblichen Erhaltung beiträgt, kann dagegen nicht in Betracht
kommen, sie bildet nur eine Folie, von welcher sich ihr Verlust an gebildeten
Elementen um so schärfer abhebt.

Dieselbe Wahrnehmung, wie an diesem Tage, konnte man bei dem Papst¬
jubiläum am 16. Juni machen, wo alle Blicke und alle Herzen sich theilten
zwischen Rom und Berlin. Für die mächtige kirchliche Bewegung der Ge¬
genwart gab es keinen großartigeren Höhepunkt, als jenes Doppelfest; un


von Lutz doch mit der Zeit Ernst machen könnte, oder ob ein anderes Mitglied
des Ministerrathes darüber erzürnt ist, daß dies bis jetzt nicht geschehen,
wagen wir nicht zu entscheiden; soviel steht fest, daß Herr von Lutz nicht den
Endpunkt der Gegensätze darstellt, sondern in der Mitte zwischen denen steht,
die mehr und die noch weniger gethan wissen wollen als er.

Wir haben im Vorhergehenden den Standpunkt des Ministeriums dar¬
gestellt, und haben nun zwei andere Factoren zu beleuchten, die in der Sache
eine wichtige Rolle spielen: die Haltung des Königs, und die öffentliche
Meinung des Publicums, Beide fanden Gelegenheit, eine entschiedene Probe
ihrer Gesinnung abzulegen und zwar bei zwei großen geistlichen Festen, welche
die jüngste Gegenwart gebracht hat. — Daß der König nicht an der Frohn-
leichnamsprocession in München Theil nahm, hat politische, nicht bloß eere-
monielle Bedeutung. Die Entschuldigung, daß der Mangel der nöthigen
Garnison den nöthigen Schutz vermissen ließe, ist ebenso gesucht als plump, und
provocirt den Hörer weit eher, sich nach einem richtigeren Grunde umzusehen,
als sich mit diesem zu befriedigen. Der Mangel einer jeglichen Stellvertre¬
tung, wie sie sonst bei diesen Gelegenheiten angeordnet war, wirft auf die
Stellung des Hofes zur erzbischöflichen Curie das schärfste Licht, selbst wenn
man übersehen wollte, daß zwei der obersten Hofchargen in dem Actions-
comit6 vertreten sind. Nicht blos weil der junge König sich persönlich von
jenem Streite fern halten will, sondern vor allem deshalb, weil ihm die
klerikale Streitsucht und Ueberhebung in tiefster Seele verhaßt ist, entzog er
sich einer Feier, die weniger zur Verherrlichung Gottes als seiner Diener ein¬
gerichtet ist. Und dieser Ueberzeugung folgte denn auch das ganze gebildete
Publicum. — Früher nämlich lag den Staatsbeamten eine Art Verpflichtung
ob, zur „Verherrlichung" des Frohnleichnamstages, wie man euphemistisch
sagte, beizutragen. Diesmal war ein Erlaß des Cültusministeriums erschienen,
der diese Theilnahme ganz dem Belieben des Einzelnen anheimgab. Und in
der That, der Gebrauch, der von diesem Erlasse gemacht ward, war ein allge¬
meiner. — Nicht nur der Richterstand, auch die Staats-Verwaltung und die
Universität war nahezu ohne Vertretung; das ganze gebildete Publicum, mit
einem Worte der Staat legte einen vernichtenden Protest an diesem Tage
ab. Die große Ueberzahl jener Frommen, über welche die Kirche gebietet,
weil sie zu ihrer leiblichen Erhaltung beiträgt, kann dagegen nicht in Betracht
kommen, sie bildet nur eine Folie, von welcher sich ihr Verlust an gebildeten
Elementen um so schärfer abhebt.

Dieselbe Wahrnehmung, wie an diesem Tage, konnte man bei dem Papst¬
jubiläum am 16. Juni machen, wo alle Blicke und alle Herzen sich theilten
zwischen Rom und Berlin. Für die mächtige kirchliche Bewegung der Ge¬
genwart gab es keinen großartigeren Höhepunkt, als jenes Doppelfest; un


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/83>, abgerufen am 24.07.2024.