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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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wenn man den Zeitpunkt zu bestimmen vermöge, in welchem sie zuerst er¬
sonnen ward; sonst wurden Priester und Bischöfe aus der Kirche als Häreti¬
ker ausgeschlossen, weil sie einer neuen Lehre anhingen, die mit dem alt¬
überlieferten Glauben im Widerspruche stand. Der Gegensatz, in welchem die
heutigen Vorgänge zu diesen Principien stehen. ist von einer so schneidenden
Klarheit und Augenfälligkeit, daß das Machwerk, die künstliche und gewalt¬
same Herstellung des neuen Dogma in ihrer vollen Nacktheit zu Tage tritt.

Von hoher politischer Bedeutung und principiell der wichtigste von allen,
ist aber ohne Zweifel der Schlußsatz. Hier wird der Hoffnung Ausdruck ver¬
liehen, daß das letzte Ziel der kirchlichen Reform eine Wiedervereinigung der
getrennten Confessionen werden möchte. Wenn der Anfang streng positiv
gehalten ist, wenn die ganze Bewegung auf dem Boden katholischer Dogmatik
bleibt, so zeigt doch anderseits diese Stelle, wie wenig der confessionelle Cha¬
rakter der Agitation mit einer intoleranten Exclusivität verwechselt werden
darf, wie sehr erleuchtete Katholiken sich der Zugeständnisse bewußt sind, ohne
die eine solche Wiedervereinigung unmöglich ist.

Die Aufnahme, welche diese Erklärung in der ultramontanen Presse fand,
ist für das schlagende Gewicht derselben der beste Beweis. Um den Mangel
an Gegengründen auszugleichen, wurden um so reichlichere Schimpfreden
beigebracht; die ?uria eatwlieg, der Jnfalliblen überstieg jedes Maß. Nur
ganz wenige Blätter waren klug genug zu versichern, daß die genannte Er¬
klärung' ohne jeden Eindruck geblieben sei, und sich mit dieser Versicherung
von der Last jeder Widerlegung zu befreien. Der Volksbote stellt injuriöse
Personalien über die Mitglieder des Comites in Aussicht; die Augsburger
Postzeitung zürnt über die Verblendung der Häretiker.

Während die Altkatholiken in Baiern mit dieser bedeutenden Erklärung
vor das gesammte deutsche Volk traten, gab auch die bairische Regierung, auf
deren negative Thätigkeit alle Blicke geheftet sind, ein Lebenszeichen. Wir meinen
die 4 Artikel, die mit officiösen Charakter in der Augsburger Allgemeinen Zeitung
erschienen sind, um "die vaticanischen Decrete und das bayerische Staatsrecht" in
Vergleichung zu ziehen. Als Verfasser derselben darf man ohne Widerspruch
Herrn von Lutz selbst bezeichnen und wenn ihm auch das Material von einem
Professor der hiesigen Hochschule geliefert ward, so ist jedenfalls die scrupulöse
diplomatische Redaction und der Tenor der Entscheidung, die gefällt ward, sein
Eigenthum. Und wenn sie nicht seine eigenste Arbeit sind, so sind sie doch seine
Ueberzeugung und sein Wille --das giebt ihnen Wichtigkeit. Fassen wir die Wirkung
derselben auf die liberalen Katholiken zusammen, so war dieselbe zweifelsohne eine
deprimirende; das Gefühl einer gerechten Bitterkeit kam noch dazu. Herr von Lutz
geht die verschiedenen Mittel durch, welche die bairische Verfassung gegen
renitente Kleriker an die Hand giebt und sucht nun mit dem Aufgebote alles


Grenzboten II. 1871. 10

wenn man den Zeitpunkt zu bestimmen vermöge, in welchem sie zuerst er¬
sonnen ward; sonst wurden Priester und Bischöfe aus der Kirche als Häreti¬
ker ausgeschlossen, weil sie einer neuen Lehre anhingen, die mit dem alt¬
überlieferten Glauben im Widerspruche stand. Der Gegensatz, in welchem die
heutigen Vorgänge zu diesen Principien stehen. ist von einer so schneidenden
Klarheit und Augenfälligkeit, daß das Machwerk, die künstliche und gewalt¬
same Herstellung des neuen Dogma in ihrer vollen Nacktheit zu Tage tritt.

Von hoher politischer Bedeutung und principiell der wichtigste von allen,
ist aber ohne Zweifel der Schlußsatz. Hier wird der Hoffnung Ausdruck ver¬
liehen, daß das letzte Ziel der kirchlichen Reform eine Wiedervereinigung der
getrennten Confessionen werden möchte. Wenn der Anfang streng positiv
gehalten ist, wenn die ganze Bewegung auf dem Boden katholischer Dogmatik
bleibt, so zeigt doch anderseits diese Stelle, wie wenig der confessionelle Cha¬
rakter der Agitation mit einer intoleranten Exclusivität verwechselt werden
darf, wie sehr erleuchtete Katholiken sich der Zugeständnisse bewußt sind, ohne
die eine solche Wiedervereinigung unmöglich ist.

Die Aufnahme, welche diese Erklärung in der ultramontanen Presse fand,
ist für das schlagende Gewicht derselben der beste Beweis. Um den Mangel
an Gegengründen auszugleichen, wurden um so reichlichere Schimpfreden
beigebracht; die ?uria eatwlieg, der Jnfalliblen überstieg jedes Maß. Nur
ganz wenige Blätter waren klug genug zu versichern, daß die genannte Er¬
klärung' ohne jeden Eindruck geblieben sei, und sich mit dieser Versicherung
von der Last jeder Widerlegung zu befreien. Der Volksbote stellt injuriöse
Personalien über die Mitglieder des Comites in Aussicht; die Augsburger
Postzeitung zürnt über die Verblendung der Häretiker.

Während die Altkatholiken in Baiern mit dieser bedeutenden Erklärung
vor das gesammte deutsche Volk traten, gab auch die bairische Regierung, auf
deren negative Thätigkeit alle Blicke geheftet sind, ein Lebenszeichen. Wir meinen
die 4 Artikel, die mit officiösen Charakter in der Augsburger Allgemeinen Zeitung
erschienen sind, um „die vaticanischen Decrete und das bayerische Staatsrecht" in
Vergleichung zu ziehen. Als Verfasser derselben darf man ohne Widerspruch
Herrn von Lutz selbst bezeichnen und wenn ihm auch das Material von einem
Professor der hiesigen Hochschule geliefert ward, so ist jedenfalls die scrupulöse
diplomatische Redaction und der Tenor der Entscheidung, die gefällt ward, sein
Eigenthum. Und wenn sie nicht seine eigenste Arbeit sind, so sind sie doch seine
Ueberzeugung und sein Wille —das giebt ihnen Wichtigkeit. Fassen wir die Wirkung
derselben auf die liberalen Katholiken zusammen, so war dieselbe zweifelsohne eine
deprimirende; das Gefühl einer gerechten Bitterkeit kam noch dazu. Herr von Lutz
geht die verschiedenen Mittel durch, welche die bairische Verfassung gegen
renitente Kleriker an die Hand giebt und sucht nun mit dem Aufgebote alles


Grenzboten II. 1871. 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/81>, abgerufen am 24.07.2024.