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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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soll ihr gelingen, den Massen eine sittlich reine und veredelnde Religion zu
retten an Stelle eines eorrumpirten hierarchischen Systems, dann muß die
Action der Altkatholiken in den strengen Grenzen des bisherigen Katholicis¬
mus bleiben. Verließe sie dieselben, so würde schon die nächste Wirkung ein
Mangel jedes weiteren Vertrauens sein. In dieser Erwägung mögen auch
die Scrupel des Einzelnen ihre Lösung finden, der dieser Sache seine Dienste
weiht und dessen individuelle Ansicht vielleicht in manchen Punkten weiter
geht, als das Programm der Bewegung. Der Einwand, daß dieselbe viel
zu engherzig, viel zu katholisch sei, wenn wir so sagen dürfen, ist nicht be¬
gründet, denn wer sich um derentwillen ferne hält, der geht von dem unbe¬
wußten Egoismus aus, daß seine individuelle Ueberzeugung den Maßstab für
das Ganze bilden soll; der übersieht, daß es sich um eine Pflicht des Gemein-
sinns und nicht etwa um die Befriedigung seiner subjectiven Gefühle handelt.
Dann aber sollte auch jener Lehrsatz nicht vergessen werden: N^jus eontinvt
minus, d. h. wer eine weitergehende Opposition gegen die katholische Hier¬
archie erstrebt, dem muß wenigstens eine weniger weitreichende lieber sein als
keine. Von der Erwägung geleitet, daß nur das Erreichbare Aussicht auf
Erfolg gewährt, nahm demnach die Versammlung den oben bezeichneten
Standpunkt ein und in dem Gefühl, daß die Vertretung des gemeinen Wohles
die höhere Rücksicht sei, schlossen sich der Bewegung auch solche an, die eine
freiere Richtung begünstigen. Soviel über den Standpunkt der katholischen
Action.

Um ein nächstes und greifbares Resultat zu bieten ward eine Erklärung
erlassen, die von Döllinger verfaßt und mit 31 Unterschriften versehen war.
Der moralische Eindruck derselben war ein hochbedeutender; den Inhalt theil¬
ten alle Blätter telegraphisch mit, und die wichtigsten Organe in Deutschland
und Italien, in England und Oesterreich widmeten demselben eingehende
Besprechungen.

Die Erklärung war aus 3 Hauptpunkten zusammengesetzt, deren erster
den orientalischen Despotismus des Papstes und der Curie geißelt. Im
zweiten und dritten werden die Gefahren, welche die neue Lehre für den Staat
enthält, in schneidender Weise bloßgestellt und die unehrenhaften Manöver
der Bischöfe beleuchtet, die zwischen klarer Ueberzeugung und würdelosen
Servilismus schwankten, die auf der einen Seite in hohlen Worten die Ge¬
fährlichkeit der Decrete abschwächten und auf der anderen durch die brutalste
Verletzung der Verfassung darthaten, wie begründet diese Gefahr erscheint,
wie ansteckend der Romanismus wirkt. Ein vernichtendes Argument für die
tendenziöse Zweckmäßigkeit, um derentwillen die Unfehlbarkeit erfunden ward,
enthält der vierte Abschnitt. Sonst pflegte man in der Kirche den Grundsatz
hochzuhalten, daß ein sicheres Zeichen für die Unrichtigkeit einer Lehre sei,


soll ihr gelingen, den Massen eine sittlich reine und veredelnde Religion zu
retten an Stelle eines eorrumpirten hierarchischen Systems, dann muß die
Action der Altkatholiken in den strengen Grenzen des bisherigen Katholicis¬
mus bleiben. Verließe sie dieselben, so würde schon die nächste Wirkung ein
Mangel jedes weiteren Vertrauens sein. In dieser Erwägung mögen auch
die Scrupel des Einzelnen ihre Lösung finden, der dieser Sache seine Dienste
weiht und dessen individuelle Ansicht vielleicht in manchen Punkten weiter
geht, als das Programm der Bewegung. Der Einwand, daß dieselbe viel
zu engherzig, viel zu katholisch sei, wenn wir so sagen dürfen, ist nicht be¬
gründet, denn wer sich um derentwillen ferne hält, der geht von dem unbe¬
wußten Egoismus aus, daß seine individuelle Ueberzeugung den Maßstab für
das Ganze bilden soll; der übersieht, daß es sich um eine Pflicht des Gemein-
sinns und nicht etwa um die Befriedigung seiner subjectiven Gefühle handelt.
Dann aber sollte auch jener Lehrsatz nicht vergessen werden: N^jus eontinvt
minus, d. h. wer eine weitergehende Opposition gegen die katholische Hier¬
archie erstrebt, dem muß wenigstens eine weniger weitreichende lieber sein als
keine. Von der Erwägung geleitet, daß nur das Erreichbare Aussicht auf
Erfolg gewährt, nahm demnach die Versammlung den oben bezeichneten
Standpunkt ein und in dem Gefühl, daß die Vertretung des gemeinen Wohles
die höhere Rücksicht sei, schlossen sich der Bewegung auch solche an, die eine
freiere Richtung begünstigen. Soviel über den Standpunkt der katholischen
Action.

Um ein nächstes und greifbares Resultat zu bieten ward eine Erklärung
erlassen, die von Döllinger verfaßt und mit 31 Unterschriften versehen war.
Der moralische Eindruck derselben war ein hochbedeutender; den Inhalt theil¬
ten alle Blätter telegraphisch mit, und die wichtigsten Organe in Deutschland
und Italien, in England und Oesterreich widmeten demselben eingehende
Besprechungen.

Die Erklärung war aus 3 Hauptpunkten zusammengesetzt, deren erster
den orientalischen Despotismus des Papstes und der Curie geißelt. Im
zweiten und dritten werden die Gefahren, welche die neue Lehre für den Staat
enthält, in schneidender Weise bloßgestellt und die unehrenhaften Manöver
der Bischöfe beleuchtet, die zwischen klarer Ueberzeugung und würdelosen
Servilismus schwankten, die auf der einen Seite in hohlen Worten die Ge¬
fährlichkeit der Decrete abschwächten und auf der anderen durch die brutalste
Verletzung der Verfassung darthaten, wie begründet diese Gefahr erscheint,
wie ansteckend der Romanismus wirkt. Ein vernichtendes Argument für die
tendenziöse Zweckmäßigkeit, um derentwillen die Unfehlbarkeit erfunden ward,
enthält der vierte Abschnitt. Sonst pflegte man in der Kirche den Grundsatz
hochzuhalten, daß ein sicheres Zeichen für die Unrichtigkeit einer Lehre sei,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/80>, abgerufen am 24.07.2024.