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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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die Regierung ohne jede eigene Initiative den clericalen Uebergriffen gegen¬
überstand. Daß die Gegner selbst auf ein solches Stillestehen der Altkatho¬
liken hofften, das haben ihre öffentlichen Organe deutlich bekannt, und selbst
unter den Anhängern der liberalen Sache waltete zum Theil dies Mißtrauen.
Wenn diese Hoffnung getäuscht wurde, so erscheint schon dies als ein bedeu¬
tender Gewinn; allein wir dürfen noch mehr behaupten.

Die Bewegung ist weitergegangen, sie ist unbestreitbar in ein neues
Stadium gelangt. Dasselbe datirt von der größeren Versammlung, die zu
Pfingsten in München gehalten ward und bei der sich die bedeutendsten Na¬
men aus ganz Deutschland einfanden. Wir nennen Reinkens und Knode,
Michelis und Schulte, denn der berühmte Canonist aus Prag darf hier
den Deutschen zugezählt werden. Ja, sogar außerhalb Deutschland fand die
Versammlung so großen Antheil, daß zwei Engländer derselben beitraten;
einer von ihnen ist Lord Acton, der berühmte Freund und Schüler Döllingers
und Verfasser der ersten historischen Darstellung, die über das vaticanische
Concil erschien. Lord Acton, ein Stiefsohn des englischen Ministerpräsidenten
Granville, hat große Verdienste gehabt um die Zusammenballung der damali¬
gen Minorität und um die Berichte, die über das Treiben der Jnfalliblen
nach Deutschland kamen. Der Antheil, den er an den römischen Briefen der
Augsburger Allgemeinen Zeitung besaß, darf jetzt wohl ohne Indiscretion ge¬
rühmt werden.

In jener Pfingstversammlung ward der Standpunct, welchen die Oppo¬
sition in Zukunft einnehmen sollte, vollkommen klar gestellt. Es ist nahe¬
liegend, daß denjenigen, die sich mit Reformplänen der katholischen Kirche be¬
schäftigen, eine Einschränkung schwer fällt, denn der Schlamm, den die Jahr¬
hunderte hier angehäuft, fordert die reformatorische Thatenlust im weitesten
Umfang heraus. Und dennoch schien eine Mäßigung der Ziele dringend ge¬
boten, wenn überhaupt ein Erfolg erreicht werden sollte. Denn der Beruf
der Versammlung sollte ja nicht der sein, das Gemüth des Gebildeten mit
den Ansprüchen und Widersprüchen der positiven Kirche auszusöhnen; dieser
mag sich mit dem eigenen Gewissen abfinden und wird aus eigener Kraft zu
jener religiösen Gestaltung kommen, die seinem Gottesbedürfniß die vollste
Befriedigung gibt. Ganz anders steht es mit dem Volk. Die Masse kann
einer positiven Religion nicht entbehren, wenn sie nicht zugleich des sittlichen
Segens der Religion beraubt werden soll; für sie ist Moralität und Konfes¬
sion identisch. Wird aber diese Bedeutung des Positivismus zugegeben, dann
muß man auch die weitere Thatsache zugestehen, daß nur die historischen
Confessionen Aussicht auf Erfolg, oder wenn das Wort nicht zu profan
klingt, auf Popularität haben.

Soll die Bewegung wirklich einen großen Humanitären Zweck erreichen.


die Regierung ohne jede eigene Initiative den clericalen Uebergriffen gegen¬
überstand. Daß die Gegner selbst auf ein solches Stillestehen der Altkatho¬
liken hofften, das haben ihre öffentlichen Organe deutlich bekannt, und selbst
unter den Anhängern der liberalen Sache waltete zum Theil dies Mißtrauen.
Wenn diese Hoffnung getäuscht wurde, so erscheint schon dies als ein bedeu¬
tender Gewinn; allein wir dürfen noch mehr behaupten.

Die Bewegung ist weitergegangen, sie ist unbestreitbar in ein neues
Stadium gelangt. Dasselbe datirt von der größeren Versammlung, die zu
Pfingsten in München gehalten ward und bei der sich die bedeutendsten Na¬
men aus ganz Deutschland einfanden. Wir nennen Reinkens und Knode,
Michelis und Schulte, denn der berühmte Canonist aus Prag darf hier
den Deutschen zugezählt werden. Ja, sogar außerhalb Deutschland fand die
Versammlung so großen Antheil, daß zwei Engländer derselben beitraten;
einer von ihnen ist Lord Acton, der berühmte Freund und Schüler Döllingers
und Verfasser der ersten historischen Darstellung, die über das vaticanische
Concil erschien. Lord Acton, ein Stiefsohn des englischen Ministerpräsidenten
Granville, hat große Verdienste gehabt um die Zusammenballung der damali¬
gen Minorität und um die Berichte, die über das Treiben der Jnfalliblen
nach Deutschland kamen. Der Antheil, den er an den römischen Briefen der
Augsburger Allgemeinen Zeitung besaß, darf jetzt wohl ohne Indiscretion ge¬
rühmt werden.

In jener Pfingstversammlung ward der Standpunct, welchen die Oppo¬
sition in Zukunft einnehmen sollte, vollkommen klar gestellt. Es ist nahe¬
liegend, daß denjenigen, die sich mit Reformplänen der katholischen Kirche be¬
schäftigen, eine Einschränkung schwer fällt, denn der Schlamm, den die Jahr¬
hunderte hier angehäuft, fordert die reformatorische Thatenlust im weitesten
Umfang heraus. Und dennoch schien eine Mäßigung der Ziele dringend ge¬
boten, wenn überhaupt ein Erfolg erreicht werden sollte. Denn der Beruf
der Versammlung sollte ja nicht der sein, das Gemüth des Gebildeten mit
den Ansprüchen und Widersprüchen der positiven Kirche auszusöhnen; dieser
mag sich mit dem eigenen Gewissen abfinden und wird aus eigener Kraft zu
jener religiösen Gestaltung kommen, die seinem Gottesbedürfniß die vollste
Befriedigung gibt. Ganz anders steht es mit dem Volk. Die Masse kann
einer positiven Religion nicht entbehren, wenn sie nicht zugleich des sittlichen
Segens der Religion beraubt werden soll; für sie ist Moralität und Konfes¬
sion identisch. Wird aber diese Bedeutung des Positivismus zugegeben, dann
muß man auch die weitere Thatsache zugestehen, daß nur die historischen
Confessionen Aussicht auf Erfolg, oder wenn das Wort nicht zu profan
klingt, auf Popularität haben.

Soll die Bewegung wirklich einen großen Humanitären Zweck erreichen.


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[0079] die Regierung ohne jede eigene Initiative den clericalen Uebergriffen gegen¬ überstand. Daß die Gegner selbst auf ein solches Stillestehen der Altkatho¬ liken hofften, das haben ihre öffentlichen Organe deutlich bekannt, und selbst unter den Anhängern der liberalen Sache waltete zum Theil dies Mißtrauen. Wenn diese Hoffnung getäuscht wurde, so erscheint schon dies als ein bedeu¬ tender Gewinn; allein wir dürfen noch mehr behaupten. Die Bewegung ist weitergegangen, sie ist unbestreitbar in ein neues Stadium gelangt. Dasselbe datirt von der größeren Versammlung, die zu Pfingsten in München gehalten ward und bei der sich die bedeutendsten Na¬ men aus ganz Deutschland einfanden. Wir nennen Reinkens und Knode, Michelis und Schulte, denn der berühmte Canonist aus Prag darf hier den Deutschen zugezählt werden. Ja, sogar außerhalb Deutschland fand die Versammlung so großen Antheil, daß zwei Engländer derselben beitraten; einer von ihnen ist Lord Acton, der berühmte Freund und Schüler Döllingers und Verfasser der ersten historischen Darstellung, die über das vaticanische Concil erschien. Lord Acton, ein Stiefsohn des englischen Ministerpräsidenten Granville, hat große Verdienste gehabt um die Zusammenballung der damali¬ gen Minorität und um die Berichte, die über das Treiben der Jnfalliblen nach Deutschland kamen. Der Antheil, den er an den römischen Briefen der Augsburger Allgemeinen Zeitung besaß, darf jetzt wohl ohne Indiscretion ge¬ rühmt werden. In jener Pfingstversammlung ward der Standpunct, welchen die Oppo¬ sition in Zukunft einnehmen sollte, vollkommen klar gestellt. Es ist nahe¬ liegend, daß denjenigen, die sich mit Reformplänen der katholischen Kirche be¬ schäftigen, eine Einschränkung schwer fällt, denn der Schlamm, den die Jahr¬ hunderte hier angehäuft, fordert die reformatorische Thatenlust im weitesten Umfang heraus. Und dennoch schien eine Mäßigung der Ziele dringend ge¬ boten, wenn überhaupt ein Erfolg erreicht werden sollte. Denn der Beruf der Versammlung sollte ja nicht der sein, das Gemüth des Gebildeten mit den Ansprüchen und Widersprüchen der positiven Kirche auszusöhnen; dieser mag sich mit dem eigenen Gewissen abfinden und wird aus eigener Kraft zu jener religiösen Gestaltung kommen, die seinem Gottesbedürfniß die vollste Befriedigung gibt. Ganz anders steht es mit dem Volk. Die Masse kann einer positiven Religion nicht entbehren, wenn sie nicht zugleich des sittlichen Segens der Religion beraubt werden soll; für sie ist Moralität und Konfes¬ sion identisch. Wird aber diese Bedeutung des Positivismus zugegeben, dann muß man auch die weitere Thatsache zugestehen, daß nur die historischen Confessionen Aussicht auf Erfolg, oder wenn das Wort nicht zu profan klingt, auf Popularität haben. Soll die Bewegung wirklich einen großen Humanitären Zweck erreichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/79>, abgerufen am 24.07.2024.