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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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eigenthümlichen Folgen dessen verwundern, was der ehrwürdige Jnsasse des
Vaticans hartnäckig "seine Einkerkerung" zu nennen beliebt. Daß "Stein¬
mauern noch kein Gefängniß und eiserne Gitter vor den Fenstern noch keinen
Käfig ausmachen," war eine Wahrheit, welcher aufrichtige Anhänger der
Freiheit der Kirche bereitwillig zustimmen würden; aber die Einkerkerung
Pius des Neunten ist zu augenscheinlich von viel mehr als blos geistiger oder
moralischer Freiheit umgeben, und ich meine, die Mitglieder der Deputationen
würden sich nicht wenig in Verlegenheit befinden, wenn man ihnen die Frage
vorlegte: "Welchen größern Betrag an Freiheit, meine verehrten Herren, ver¬
langen Sie denn nun eigentlich für das Oberhaupt der Kirche?" Die Jesui¬
ten scheinen ihre alte traditionelle Schlauheit wirklich ganz eingebüßt zu haben.
In allen katholischen Staaten haben sie sich Tag und Nacht abgemüht, bei
dieser Gelegenheit eine riesige Kundgebung zu Gunsten der weltlichen Macht
des Papstthums zu Stande zu bringen und der italienischen Regierung
Verlegenheiten zu schaffen, und jetzt sieht man nur am Erfolg, wie wenig sie
vermögen. Die von ihnen zusammengetrommelten Bolksgesandtschaften ton¬
nen, nach Hause zurückgekehrt, nur eine Geschichte erzählen. Sie sind mit
Pomp und Ehren vom Papste empfangen worden. Sie haben Seine Heilig¬
keit von allen Mitgliedern des heiligen Collegiums umgeben, im Kreise aller
Würdenträger der Kirche gesehen. Die Honneurs des Vaticans und Sanct
Peters sind nicht blos von Bischöfen und andern Prälaten gemacht worden,
sondern auch von den Exoffizieren der päpstlichen Zuaven und den Exfunctio-
nären der päpstlichen Regierung. Jeder zu der Feier gehörige Ritus ist ohne
Hinderniß von Statten gegangen, und mit aller erforderlichen Feierlichkeit.
Nichts fehlte derselben, als sie in der Peterskirche spielte, als die Anwesenheit
des Papstes, der allein im Palast zurückzubleiben geruhte. Ein Papst, der
grollend im Schmollwinkel sitzt, ist sicherlich nicht geeignet, nachdenkende Söhne
der Kirche mit besonders tiefer und bleibender Ehrfurcht zu erfüllen. Der
"eingekerkerte" Papst fürwahr! Wahrhaftig, wenn der das Schaffst besteigende
französische Patriot das Recht hatte, auszurufen: "O Freiheit, wie viele Ver¬
brechen sind in deinem Namen begangen worden!" so können die katholischen
Deputationen nach allem, was sie in diesen Tagen hier gesehen und gehört
haben, gleichermaßen ausrufen: "O Einkerkerung, wie viel Behaglichkeit. Luxus
und Ehre sicherst du doch einem gefangenen Papste!"

Ich ging gestern noch nach San Giovanni in Laterans. ' Die Behörden
hatten wohlweislich und vorsichtig zwei Compagnien des 38. Regiments aus
dem Platze der Kirche gegenüber aufgestellt. Die Soldaten machten ihre
Uebungen durch, und niemand würde sich eingebildet haben, daß der eigent¬
liche Zweck ihrer Anwesenheit an diesem Orte und zu dieser Stunde des Tages
einfach der war, bereit zu sein für den Fall, daß das Einschreiten von Mili-


Grmzbowi II. 187!. 9

eigenthümlichen Folgen dessen verwundern, was der ehrwürdige Jnsasse des
Vaticans hartnäckig „seine Einkerkerung" zu nennen beliebt. Daß „Stein¬
mauern noch kein Gefängniß und eiserne Gitter vor den Fenstern noch keinen
Käfig ausmachen," war eine Wahrheit, welcher aufrichtige Anhänger der
Freiheit der Kirche bereitwillig zustimmen würden; aber die Einkerkerung
Pius des Neunten ist zu augenscheinlich von viel mehr als blos geistiger oder
moralischer Freiheit umgeben, und ich meine, die Mitglieder der Deputationen
würden sich nicht wenig in Verlegenheit befinden, wenn man ihnen die Frage
vorlegte: „Welchen größern Betrag an Freiheit, meine verehrten Herren, ver¬
langen Sie denn nun eigentlich für das Oberhaupt der Kirche?" Die Jesui¬
ten scheinen ihre alte traditionelle Schlauheit wirklich ganz eingebüßt zu haben.
In allen katholischen Staaten haben sie sich Tag und Nacht abgemüht, bei
dieser Gelegenheit eine riesige Kundgebung zu Gunsten der weltlichen Macht
des Papstthums zu Stande zu bringen und der italienischen Regierung
Verlegenheiten zu schaffen, und jetzt sieht man nur am Erfolg, wie wenig sie
vermögen. Die von ihnen zusammengetrommelten Bolksgesandtschaften ton¬
nen, nach Hause zurückgekehrt, nur eine Geschichte erzählen. Sie sind mit
Pomp und Ehren vom Papste empfangen worden. Sie haben Seine Heilig¬
keit von allen Mitgliedern des heiligen Collegiums umgeben, im Kreise aller
Würdenträger der Kirche gesehen. Die Honneurs des Vaticans und Sanct
Peters sind nicht blos von Bischöfen und andern Prälaten gemacht worden,
sondern auch von den Exoffizieren der päpstlichen Zuaven und den Exfunctio-
nären der päpstlichen Regierung. Jeder zu der Feier gehörige Ritus ist ohne
Hinderniß von Statten gegangen, und mit aller erforderlichen Feierlichkeit.
Nichts fehlte derselben, als sie in der Peterskirche spielte, als die Anwesenheit
des Papstes, der allein im Palast zurückzubleiben geruhte. Ein Papst, der
grollend im Schmollwinkel sitzt, ist sicherlich nicht geeignet, nachdenkende Söhne
der Kirche mit besonders tiefer und bleibender Ehrfurcht zu erfüllen. Der
„eingekerkerte" Papst fürwahr! Wahrhaftig, wenn der das Schaffst besteigende
französische Patriot das Recht hatte, auszurufen: „O Freiheit, wie viele Ver¬
brechen sind in deinem Namen begangen worden!" so können die katholischen
Deputationen nach allem, was sie in diesen Tagen hier gesehen und gehört
haben, gleichermaßen ausrufen: „O Einkerkerung, wie viel Behaglichkeit. Luxus
und Ehre sicherst du doch einem gefangenen Papste!"

Ich ging gestern noch nach San Giovanni in Laterans. ' Die Behörden
hatten wohlweislich und vorsichtig zwei Compagnien des 38. Regiments aus
dem Platze der Kirche gegenüber aufgestellt. Die Soldaten machten ihre
Uebungen durch, und niemand würde sich eingebildet haben, daß der eigent¬
liche Zweck ihrer Anwesenheit an diesem Orte und zu dieser Stunde des Tages
einfach der war, bereit zu sein für den Fall, daß das Einschreiten von Mili-


Grmzbowi II. 187!. 9
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[0073] eigenthümlichen Folgen dessen verwundern, was der ehrwürdige Jnsasse des Vaticans hartnäckig „seine Einkerkerung" zu nennen beliebt. Daß „Stein¬ mauern noch kein Gefängniß und eiserne Gitter vor den Fenstern noch keinen Käfig ausmachen," war eine Wahrheit, welcher aufrichtige Anhänger der Freiheit der Kirche bereitwillig zustimmen würden; aber die Einkerkerung Pius des Neunten ist zu augenscheinlich von viel mehr als blos geistiger oder moralischer Freiheit umgeben, und ich meine, die Mitglieder der Deputationen würden sich nicht wenig in Verlegenheit befinden, wenn man ihnen die Frage vorlegte: „Welchen größern Betrag an Freiheit, meine verehrten Herren, ver¬ langen Sie denn nun eigentlich für das Oberhaupt der Kirche?" Die Jesui¬ ten scheinen ihre alte traditionelle Schlauheit wirklich ganz eingebüßt zu haben. In allen katholischen Staaten haben sie sich Tag und Nacht abgemüht, bei dieser Gelegenheit eine riesige Kundgebung zu Gunsten der weltlichen Macht des Papstthums zu Stande zu bringen und der italienischen Regierung Verlegenheiten zu schaffen, und jetzt sieht man nur am Erfolg, wie wenig sie vermögen. Die von ihnen zusammengetrommelten Bolksgesandtschaften ton¬ nen, nach Hause zurückgekehrt, nur eine Geschichte erzählen. Sie sind mit Pomp und Ehren vom Papste empfangen worden. Sie haben Seine Heilig¬ keit von allen Mitgliedern des heiligen Collegiums umgeben, im Kreise aller Würdenträger der Kirche gesehen. Die Honneurs des Vaticans und Sanct Peters sind nicht blos von Bischöfen und andern Prälaten gemacht worden, sondern auch von den Exoffizieren der päpstlichen Zuaven und den Exfunctio- nären der päpstlichen Regierung. Jeder zu der Feier gehörige Ritus ist ohne Hinderniß von Statten gegangen, und mit aller erforderlichen Feierlichkeit. Nichts fehlte derselben, als sie in der Peterskirche spielte, als die Anwesenheit des Papstes, der allein im Palast zurückzubleiben geruhte. Ein Papst, der grollend im Schmollwinkel sitzt, ist sicherlich nicht geeignet, nachdenkende Söhne der Kirche mit besonders tiefer und bleibender Ehrfurcht zu erfüllen. Der „eingekerkerte" Papst fürwahr! Wahrhaftig, wenn der das Schaffst besteigende französische Patriot das Recht hatte, auszurufen: „O Freiheit, wie viele Ver¬ brechen sind in deinem Namen begangen worden!" so können die katholischen Deputationen nach allem, was sie in diesen Tagen hier gesehen und gehört haben, gleichermaßen ausrufen: „O Einkerkerung, wie viel Behaglichkeit. Luxus und Ehre sicherst du doch einem gefangenen Papste!" Ich ging gestern noch nach San Giovanni in Laterans. ' Die Behörden hatten wohlweislich und vorsichtig zwei Compagnien des 38. Regiments aus dem Platze der Kirche gegenüber aufgestellt. Die Soldaten machten ihre Uebungen durch, und niemand würde sich eingebildet haben, daß der eigent¬ liche Zweck ihrer Anwesenheit an diesem Orte und zu dieser Stunde des Tages einfach der war, bereit zu sein für den Fall, daß das Einschreiten von Mili- Grmzbowi II. 187!. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/73>, abgerufen am 24.07.2024.