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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Eine komische Scene fand nicht weit von der Porta Cavalleggieri statt.
Eine Gruppe deutscher Arbeiter oder Bauern (es werden die gewesen sein,
welche auf Veranlassung und Kosten eines der Grafen Arco von München
nach Rom spedirt wurden), von einem Pater geführt, betrachteten sich die
Madonna, die hier an einer Mauer hängt und von der ihr Führer behaup¬
tete, daß sie seit etwa zehn Tagen die Augen bewege. Nachdem sie eine Weile
dagestanden und auf den Eintritt des Wunders gewartet hatten, ohne daß es
sich sehen ließ, brach erst einer, dann ein zweiter, dann fast der ganze Haufen
in lautes Gelächter aus. Die Italiener, die sich um die Gruppe gesammelt
hatten, lachten mit, man war dabei Freundschaft zu schließen in dieser ge¬
meinschaftlichen Heiterkeit, und einer der Deutschen ließ schon das mit Italien
vereinigte Deutschland hochleben, als der Priester die Leute durch Mahnung
zu schleunigen Aufbruch der Gefahr entführte.

Diesen Morgen in der Frühe fand man weiße und gelbe Placate mit
"Viva?lo Uono!" darauf an verschiedenen Straßenecken angeschlagen, aber sie
wurden (sehr unverständiger Weise, die harmlosen Dinger!) vom Volke ab¬
gerissen, welches über die Abgeschmacktheit dieser Kundgebung lachte. Demon¬
strationen sollten heute in ganz Italien statt finden, die von der Gesellschaft
der katholischen Interessen arrangirt waren, welche einfach eine ultramontane
Secte ist und, geschützt durch ihren vorgeblich religiösen Charakter, unbehelligt
gegen die italienische Regierung und für die Zwecke der Reaction und Re¬
stauration wühlt. Aber nach Telegrammen, die so eben von verschiedenen
Theilen des Königreichs eintrafen, ist der Tag ganz ruhig verlaufen, und die
Reactionäre haben auch überall anderwärts Fiasco gemacht. Die cleriealen
Abendblätter bemerken, indem sie von den durch die Regierung zur Verhütung
von Unfug getroffenen Maßregeln sprechen, in der kühlsten Weise, alle diese
Maßregeln seien nur ergriffen worden, weil -- wer glaubt es wohl? -- die
Regierung fürchte, gestürzt zu werden. Ich glaube nicht, daß viele der
Pilger, welche nach Rom gekommen sind, derselben Meinung sind. Es scheint
vielmehr, daß sie nicht recht begreifen können, warum alle Leute sie hier mit
großen Augen ansehen und dann lächeln.

Wenige Leser.Gibbons werden so leicht die charakteristische Anmerkung
vergessen, in welcher er vom Reichthum und der Macht spricht und auf die
Liebesgenüsse hindeutet, die ein Benedictinerabt sich durch seine drei Gelübde
der Arunas, des Gehorsams und der Keuschheit sicherte. Ich kann mich des
Gedankens nicht enthalten, daß die katholischen Deputationen, welche Rom
wegen des päpstlichen Jubiläums besuchen, höchst wunderlich eingerichtete Ge¬
müther haben müssen, wenn sie sich nicht über die seltsame Form und die


Eine komische Scene fand nicht weit von der Porta Cavalleggieri statt.
Eine Gruppe deutscher Arbeiter oder Bauern (es werden die gewesen sein,
welche auf Veranlassung und Kosten eines der Grafen Arco von München
nach Rom spedirt wurden), von einem Pater geführt, betrachteten sich die
Madonna, die hier an einer Mauer hängt und von der ihr Führer behaup¬
tete, daß sie seit etwa zehn Tagen die Augen bewege. Nachdem sie eine Weile
dagestanden und auf den Eintritt des Wunders gewartet hatten, ohne daß es
sich sehen ließ, brach erst einer, dann ein zweiter, dann fast der ganze Haufen
in lautes Gelächter aus. Die Italiener, die sich um die Gruppe gesammelt
hatten, lachten mit, man war dabei Freundschaft zu schließen in dieser ge¬
meinschaftlichen Heiterkeit, und einer der Deutschen ließ schon das mit Italien
vereinigte Deutschland hochleben, als der Priester die Leute durch Mahnung
zu schleunigen Aufbruch der Gefahr entführte.

Diesen Morgen in der Frühe fand man weiße und gelbe Placate mit
„Viva?lo Uono!" darauf an verschiedenen Straßenecken angeschlagen, aber sie
wurden (sehr unverständiger Weise, die harmlosen Dinger!) vom Volke ab¬
gerissen, welches über die Abgeschmacktheit dieser Kundgebung lachte. Demon¬
strationen sollten heute in ganz Italien statt finden, die von der Gesellschaft
der katholischen Interessen arrangirt waren, welche einfach eine ultramontane
Secte ist und, geschützt durch ihren vorgeblich religiösen Charakter, unbehelligt
gegen die italienische Regierung und für die Zwecke der Reaction und Re¬
stauration wühlt. Aber nach Telegrammen, die so eben von verschiedenen
Theilen des Königreichs eintrafen, ist der Tag ganz ruhig verlaufen, und die
Reactionäre haben auch überall anderwärts Fiasco gemacht. Die cleriealen
Abendblätter bemerken, indem sie von den durch die Regierung zur Verhütung
von Unfug getroffenen Maßregeln sprechen, in der kühlsten Weise, alle diese
Maßregeln seien nur ergriffen worden, weil — wer glaubt es wohl? — die
Regierung fürchte, gestürzt zu werden. Ich glaube nicht, daß viele der
Pilger, welche nach Rom gekommen sind, derselben Meinung sind. Es scheint
vielmehr, daß sie nicht recht begreifen können, warum alle Leute sie hier mit
großen Augen ansehen und dann lächeln.

Wenige Leser.Gibbons werden so leicht die charakteristische Anmerkung
vergessen, in welcher er vom Reichthum und der Macht spricht und auf die
Liebesgenüsse hindeutet, die ein Benedictinerabt sich durch seine drei Gelübde
der Arunas, des Gehorsams und der Keuschheit sicherte. Ich kann mich des
Gedankens nicht enthalten, daß die katholischen Deputationen, welche Rom
wegen des päpstlichen Jubiläums besuchen, höchst wunderlich eingerichtete Ge¬
müther haben müssen, wenn sie sich nicht über die seltsame Form und die


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[0072] Eine komische Scene fand nicht weit von der Porta Cavalleggieri statt. Eine Gruppe deutscher Arbeiter oder Bauern (es werden die gewesen sein, welche auf Veranlassung und Kosten eines der Grafen Arco von München nach Rom spedirt wurden), von einem Pater geführt, betrachteten sich die Madonna, die hier an einer Mauer hängt und von der ihr Führer behaup¬ tete, daß sie seit etwa zehn Tagen die Augen bewege. Nachdem sie eine Weile dagestanden und auf den Eintritt des Wunders gewartet hatten, ohne daß es sich sehen ließ, brach erst einer, dann ein zweiter, dann fast der ganze Haufen in lautes Gelächter aus. Die Italiener, die sich um die Gruppe gesammelt hatten, lachten mit, man war dabei Freundschaft zu schließen in dieser ge¬ meinschaftlichen Heiterkeit, und einer der Deutschen ließ schon das mit Italien vereinigte Deutschland hochleben, als der Priester die Leute durch Mahnung zu schleunigen Aufbruch der Gefahr entführte. Diesen Morgen in der Frühe fand man weiße und gelbe Placate mit „Viva?lo Uono!" darauf an verschiedenen Straßenecken angeschlagen, aber sie wurden (sehr unverständiger Weise, die harmlosen Dinger!) vom Volke ab¬ gerissen, welches über die Abgeschmacktheit dieser Kundgebung lachte. Demon¬ strationen sollten heute in ganz Italien statt finden, die von der Gesellschaft der katholischen Interessen arrangirt waren, welche einfach eine ultramontane Secte ist und, geschützt durch ihren vorgeblich religiösen Charakter, unbehelligt gegen die italienische Regierung und für die Zwecke der Reaction und Re¬ stauration wühlt. Aber nach Telegrammen, die so eben von verschiedenen Theilen des Königreichs eintrafen, ist der Tag ganz ruhig verlaufen, und die Reactionäre haben auch überall anderwärts Fiasco gemacht. Die cleriealen Abendblätter bemerken, indem sie von den durch die Regierung zur Verhütung von Unfug getroffenen Maßregeln sprechen, in der kühlsten Weise, alle diese Maßregeln seien nur ergriffen worden, weil — wer glaubt es wohl? — die Regierung fürchte, gestürzt zu werden. Ich glaube nicht, daß viele der Pilger, welche nach Rom gekommen sind, derselben Meinung sind. Es scheint vielmehr, daß sie nicht recht begreifen können, warum alle Leute sie hier mit großen Augen ansehen und dann lächeln. Wenige Leser.Gibbons werden so leicht die charakteristische Anmerkung vergessen, in welcher er vom Reichthum und der Macht spricht und auf die Liebesgenüsse hindeutet, die ein Benedictinerabt sich durch seine drei Gelübde der Arunas, des Gehorsams und der Keuschheit sicherte. Ich kann mich des Gedankens nicht enthalten, daß die katholischen Deputationen, welche Rom wegen des päpstlichen Jubiläums besuchen, höchst wunderlich eingerichtete Ge¬ müther haben müssen, wenn sie sich nicht über die seltsame Form und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/72>, abgerufen am 24.07.2024.