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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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dar erforderlich werden sollte. Indeß wurden ihre Dienste in keiner Weise
gebraucht. Die Kirche war eher alles Andere als überfüllt. Am Abend
war der Corso und die Hauptstraßen der Stadt voll von Pilgern. Viele
von ihnen freuten sich der Militärmusik auf der Piazza Colonna und müssen,
nach der um sie her herrschenden Heiterkeit zu urtheilen, gedacht haben, daß
die Römer über die "Einkerkerung" des Nachfolgers Petri und des Statthal¬
ters Christi durchaus nicht so betrübt wären, als man ihnen hätte weißmachen
wollen.

Die Pontifical-Messe wurde heute früh acht Uhr in der Peterskirche
celebrirt. Das Mittelschiff war dicht gefüllt mit Fremden und Römern, die
Kirche glänzend geschmückt und erleuchtet. Alles verlief in größter Ruhe und
Würde, sodaß selbst der heutige "Osservatore Romano," Cardinal Antonelli's
Organ, nicht umhin konnte zu schreiben: "Die Menge der Römer war so
groß, daß sie uns jene schönen Tage ins Gedächtniß zurückrief, wo die Func-
tionen der Kirche in der Fülle ihrer Ruhe und ihres Friedens sich voll¬
zogen."

Warum, wenn dieß der Fall ist, bleiben dieselben clericalen Organe da¬
bei, zu behaupten, daß die italienische Regierung die Kirche in Sclavenfesseln
geschlagen habe? Nachdem die Ceremonie vorüber war, versammelten sich die
Pilger um die Bronzestatue des Apostels Petrus, um die bekannte heilige
Zehe zu küssen.

Wollte man alle die Reden zusammentragen, welche der heilige und seit
Jahresfrist auch unfehlbare Vater der Christenheit im Verlaufe der letzten zwei
Tage gehalten hat, so würde das einen ziemlich starken Band geben. Und
doch hat er noch eine Menge andere versprechen müssen. Se. Heiligkeit hat
nie daran gedacht, müde zu werden, ausgenommen gestern, als Cardinal An-
tonelli ihm die Mission des Adjutanten Victor Emanuels meldete. Das war
zu viel für den alten Herrn, und die Antwort, die er ihm "ins Haus schickte,"
lautete, daß er zwar sehr dankbar sei für die freundliche Aufmerksamkeit des
sardinischen Monarchen, aber so viele Leute empfangen habe und sich so schreck¬
lich ermüdet fühle, daß er unmöglich den italienischen Gesandten noch bei sich
sehen könne. Der General hielt darauf für das Beste, was er thun könne,
mit dem Abendzuge nach Florenz heimzugehen.




dar erforderlich werden sollte. Indeß wurden ihre Dienste in keiner Weise
gebraucht. Die Kirche war eher alles Andere als überfüllt. Am Abend
war der Corso und die Hauptstraßen der Stadt voll von Pilgern. Viele
von ihnen freuten sich der Militärmusik auf der Piazza Colonna und müssen,
nach der um sie her herrschenden Heiterkeit zu urtheilen, gedacht haben, daß
die Römer über die „Einkerkerung" des Nachfolgers Petri und des Statthal¬
ters Christi durchaus nicht so betrübt wären, als man ihnen hätte weißmachen
wollen.

Die Pontifical-Messe wurde heute früh acht Uhr in der Peterskirche
celebrirt. Das Mittelschiff war dicht gefüllt mit Fremden und Römern, die
Kirche glänzend geschmückt und erleuchtet. Alles verlief in größter Ruhe und
Würde, sodaß selbst der heutige „Osservatore Romano," Cardinal Antonelli's
Organ, nicht umhin konnte zu schreiben: „Die Menge der Römer war so
groß, daß sie uns jene schönen Tage ins Gedächtniß zurückrief, wo die Func-
tionen der Kirche in der Fülle ihrer Ruhe und ihres Friedens sich voll¬
zogen."

Warum, wenn dieß der Fall ist, bleiben dieselben clericalen Organe da¬
bei, zu behaupten, daß die italienische Regierung die Kirche in Sclavenfesseln
geschlagen habe? Nachdem die Ceremonie vorüber war, versammelten sich die
Pilger um die Bronzestatue des Apostels Petrus, um die bekannte heilige
Zehe zu küssen.

Wollte man alle die Reden zusammentragen, welche der heilige und seit
Jahresfrist auch unfehlbare Vater der Christenheit im Verlaufe der letzten zwei
Tage gehalten hat, so würde das einen ziemlich starken Band geben. Und
doch hat er noch eine Menge andere versprechen müssen. Se. Heiligkeit hat
nie daran gedacht, müde zu werden, ausgenommen gestern, als Cardinal An-
tonelli ihm die Mission des Adjutanten Victor Emanuels meldete. Das war
zu viel für den alten Herrn, und die Antwort, die er ihm „ins Haus schickte,"
lautete, daß er zwar sehr dankbar sei für die freundliche Aufmerksamkeit des
sardinischen Monarchen, aber so viele Leute empfangen habe und sich so schreck¬
lich ermüdet fühle, daß er unmöglich den italienischen Gesandten noch bei sich
sehen könne. Der General hielt darauf für das Beste, was er thun könne,
mit dem Abendzuge nach Florenz heimzugehen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/74>, abgerufen am 24.07.2024.