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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Oestreich zu emancipiren, erschien ihm lediglich als Befangenheit in unterge¬
ordneten Gesichtspunkten. Fröbel's Sympathien für Oestreich, das geogra¬
phisch und historisch eine so merkwürdige Rolle in den Gesammtbeziehungen
der europäischen Politik spielt, erwachten auf's Neue. Als die Schläge, welche
Oestreich 1839 erlitten, feine Regierung auf eine Politik der inneren Reform
drängten, beschloß Fröbel, sich diesem Werke zu widmen. Er wurde der
Gründer und Herausgeber eines Tageblattes, welches die Politik des Mini¬
steriums Schmerling zu erläutern und zu verfechten sich zur Aufgabe setzte.

Fröbel stand so dem Werke der Emancipation Italiens und Deutschlands
vom östreichischen Einfluß eine Zeit lang bekämpfend gegenüber. Beide Eman¬
cipationen wurden auf die Idee der Nationalität gestützt. Fröbel, der von
naturwissenschaftlichen Studien aus zur Behandlung der ethischen Probleme
gelangt war, der überdies in Amerika starke Eindrücke davon erlangt hatte,
wie der Proceß der Cultur und Staatenbildung eine Ueberwindung der bloßen
Naturbestimmtheit ist, sah in dem Hervorziehen der Nationalität eine in dem
Culturleben Europa's unberechtigte und geradezu reactionäre Geltendmachung
einer physischen Bestimmung. Die Nationalität ist indeß doch etwas ganz
anderes, sie ist das einheitliche Organ des umfassenden geistigen Lebenszweckes:
nicht eine natürliche, fondern eine ethisch freie, allerdings die verschmelzende
Aufnahme von vervollkommneten Naturanlagen enthaltende Individualisirung
eines Theils der Menschheit. Fröbel wollte, daß Oestreich durch Institutionen
politischer Freiheit die Bruchstücke physisch getrennter Racen, die es in seinem
Staatswesen umfaßt, in einem großen Staats- und Culturzweck zusammen¬
halte und diesem Zweck als mehr oder minder dienende Glieder auch Deutsch¬
land und Italien anschließe. Unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes gegen
Rußland gewann ihm auch der Katholicismus vorübergehend eine positive
Bedeutung. So sehr hatte der ehemalige Demokrat gelernt, die historischen
Mächte lediglich nach ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Stellung im Kampfe der
historischen Kräfte zu schätzen, weit hinausgehend über den Maßstab eines einzelnen,
vielleicht hochzuschätzenden, aber doch bloß zeitlich und local bedingten Ideals.

Er schrieb jetzt das System der Politik zum zweiten Male, indem er das
vor 2S Jahren herausgegebene Werk gleichen Namens als eine unreife Frucht
bezeichnete. Die frühere Arbeit war eigentlich eine etwas phantastisch auf¬
fallende Bezeichnung der Wege gewesen, wie die Gesellschaft alle Wünsche des
Individuums gewähren kann. In dem neuen Werke handelte es sich nicht
bloß um eine neue Bearbeitung des alten Thema, sondern vor Allem um
ein ganz neues Thema. Das neue System war eigentlich der Versuch, eine
Statik der historischen Kräfte des Zeitalters aufzustellen, in welchem wir
leben. Nach den Lehren der Statik sollte den Völkern, die an der Ausgabe
unseres Zeitalters theilnehmen wollen und können, ihre Sonderaufgabe vor-


Oestreich zu emancipiren, erschien ihm lediglich als Befangenheit in unterge¬
ordneten Gesichtspunkten. Fröbel's Sympathien für Oestreich, das geogra¬
phisch und historisch eine so merkwürdige Rolle in den Gesammtbeziehungen
der europäischen Politik spielt, erwachten auf's Neue. Als die Schläge, welche
Oestreich 1839 erlitten, feine Regierung auf eine Politik der inneren Reform
drängten, beschloß Fröbel, sich diesem Werke zu widmen. Er wurde der
Gründer und Herausgeber eines Tageblattes, welches die Politik des Mini¬
steriums Schmerling zu erläutern und zu verfechten sich zur Aufgabe setzte.

Fröbel stand so dem Werke der Emancipation Italiens und Deutschlands
vom östreichischen Einfluß eine Zeit lang bekämpfend gegenüber. Beide Eman¬
cipationen wurden auf die Idee der Nationalität gestützt. Fröbel, der von
naturwissenschaftlichen Studien aus zur Behandlung der ethischen Probleme
gelangt war, der überdies in Amerika starke Eindrücke davon erlangt hatte,
wie der Proceß der Cultur und Staatenbildung eine Ueberwindung der bloßen
Naturbestimmtheit ist, sah in dem Hervorziehen der Nationalität eine in dem
Culturleben Europa's unberechtigte und geradezu reactionäre Geltendmachung
einer physischen Bestimmung. Die Nationalität ist indeß doch etwas ganz
anderes, sie ist das einheitliche Organ des umfassenden geistigen Lebenszweckes:
nicht eine natürliche, fondern eine ethisch freie, allerdings die verschmelzende
Aufnahme von vervollkommneten Naturanlagen enthaltende Individualisirung
eines Theils der Menschheit. Fröbel wollte, daß Oestreich durch Institutionen
politischer Freiheit die Bruchstücke physisch getrennter Racen, die es in seinem
Staatswesen umfaßt, in einem großen Staats- und Culturzweck zusammen¬
halte und diesem Zweck als mehr oder minder dienende Glieder auch Deutsch¬
land und Italien anschließe. Unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes gegen
Rußland gewann ihm auch der Katholicismus vorübergehend eine positive
Bedeutung. So sehr hatte der ehemalige Demokrat gelernt, die historischen
Mächte lediglich nach ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Stellung im Kampfe der
historischen Kräfte zu schätzen, weit hinausgehend über den Maßstab eines einzelnen,
vielleicht hochzuschätzenden, aber doch bloß zeitlich und local bedingten Ideals.

Er schrieb jetzt das System der Politik zum zweiten Male, indem er das
vor 2S Jahren herausgegebene Werk gleichen Namens als eine unreife Frucht
bezeichnete. Die frühere Arbeit war eigentlich eine etwas phantastisch auf¬
fallende Bezeichnung der Wege gewesen, wie die Gesellschaft alle Wünsche des
Individuums gewähren kann. In dem neuen Werke handelte es sich nicht
bloß um eine neue Bearbeitung des alten Thema, sondern vor Allem um
ein ganz neues Thema. Das neue System war eigentlich der Versuch, eine
Statik der historischen Kräfte des Zeitalters aufzustellen, in welchem wir
leben. Nach den Lehren der Statik sollte den Völkern, die an der Ausgabe
unseres Zeitalters theilnehmen wollen und können, ihre Sonderaufgabe vor-


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[0539] Oestreich zu emancipiren, erschien ihm lediglich als Befangenheit in unterge¬ ordneten Gesichtspunkten. Fröbel's Sympathien für Oestreich, das geogra¬ phisch und historisch eine so merkwürdige Rolle in den Gesammtbeziehungen der europäischen Politik spielt, erwachten auf's Neue. Als die Schläge, welche Oestreich 1839 erlitten, feine Regierung auf eine Politik der inneren Reform drängten, beschloß Fröbel, sich diesem Werke zu widmen. Er wurde der Gründer und Herausgeber eines Tageblattes, welches die Politik des Mini¬ steriums Schmerling zu erläutern und zu verfechten sich zur Aufgabe setzte. Fröbel stand so dem Werke der Emancipation Italiens und Deutschlands vom östreichischen Einfluß eine Zeit lang bekämpfend gegenüber. Beide Eman¬ cipationen wurden auf die Idee der Nationalität gestützt. Fröbel, der von naturwissenschaftlichen Studien aus zur Behandlung der ethischen Probleme gelangt war, der überdies in Amerika starke Eindrücke davon erlangt hatte, wie der Proceß der Cultur und Staatenbildung eine Ueberwindung der bloßen Naturbestimmtheit ist, sah in dem Hervorziehen der Nationalität eine in dem Culturleben Europa's unberechtigte und geradezu reactionäre Geltendmachung einer physischen Bestimmung. Die Nationalität ist indeß doch etwas ganz anderes, sie ist das einheitliche Organ des umfassenden geistigen Lebenszweckes: nicht eine natürliche, fondern eine ethisch freie, allerdings die verschmelzende Aufnahme von vervollkommneten Naturanlagen enthaltende Individualisirung eines Theils der Menschheit. Fröbel wollte, daß Oestreich durch Institutionen politischer Freiheit die Bruchstücke physisch getrennter Racen, die es in seinem Staatswesen umfaßt, in einem großen Staats- und Culturzweck zusammen¬ halte und diesem Zweck als mehr oder minder dienende Glieder auch Deutsch¬ land und Italien anschließe. Unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes gegen Rußland gewann ihm auch der Katholicismus vorübergehend eine positive Bedeutung. So sehr hatte der ehemalige Demokrat gelernt, die historischen Mächte lediglich nach ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Stellung im Kampfe der historischen Kräfte zu schätzen, weit hinausgehend über den Maßstab eines einzelnen, vielleicht hochzuschätzenden, aber doch bloß zeitlich und local bedingten Ideals. Er schrieb jetzt das System der Politik zum zweiten Male, indem er das vor 2S Jahren herausgegebene Werk gleichen Namens als eine unreife Frucht bezeichnete. Die frühere Arbeit war eigentlich eine etwas phantastisch auf¬ fallende Bezeichnung der Wege gewesen, wie die Gesellschaft alle Wünsche des Individuums gewähren kann. In dem neuen Werke handelte es sich nicht bloß um eine neue Bearbeitung des alten Thema, sondern vor Allem um ein ganz neues Thema. Das neue System war eigentlich der Versuch, eine Statik der historischen Kräfte des Zeitalters aufzustellen, in welchem wir leben. Nach den Lehren der Statik sollte den Völkern, die an der Ausgabe unseres Zeitalters theilnehmen wollen und können, ihre Sonderaufgabe vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/539>, abgerufen am 25.07.2024.