Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

thut, denkt niemals über einen Schritt hinaus. So dachte man auch in
Amerika nicht daran, daß der europäische Westen in Rußlands Hand, wenn
eine solche Eroberung überhaupt denkbar wäre, für Amerika jedenfalls viel
gefährlicher sein würde, als er jetzt irgend sein kann.

Fröbel, dessen Herz für die hohen geschichtlichen und sittlichen Werthe
schlug, die in der westeuropäischen Cultur als Anlage aufbewahrt liegen, fand
diese russisch-amerikanische Sympathie unheimlich. Er sah in derselben das
Gefühl verwandter. Naturgewalten, welche gleichmäßig den Westen Europa's
bedrängen. Er hätte für eine Thorheit gehalten, den Amerikanern Sym¬
pathie für Europa einflößen zu wollen, aber er fand bedenklich, daß in Europa
selbst so wenig Bewußtsein der drohenden Gefahr herrschte, daß die Gedanken
hier so wenig auf eine wirksame Abwehr gerichtet waren. Damals lernte
Fröbel bei einem Besuch in England Urquhart kennen, jenen merkwürdigen
Kopf, der, wie man weiß, ganz eingenommen ist von der einzigen Idee, daß
Nußland die Eroberung der alten Welt systematisch betreibe und durch Thei¬
lung, Lähmung, Bestechung sich die zum Widerstand berufenen Nationen für
die Unterdrückung vorbereite. Unter dem Eindruck der amerikanischen Aus¬
fassung des russisch-europäischen Conflictes schenkte Fröbel der phantastischen
Geschichtsphilosophie Urquhart's ein aufmerksameres Gehör, als sie verdienen
mag. Er wurde eine Zeit lang ihr Verfechter.

Es kam das Jahr 1859. Aus dem Feldherrn einer antirussischen Koali¬
tion wurde Napoleon III. der Bekämpfer von Oestreichs italienischer Ober¬
herrschaft. Damals kehrte Fröbel dauernd nach Deutschland zurück. Man
erinnert sich, wie der Napoleonische Kampf gegen Oestreich die gesammte
öffentliche Meinung Deutschlands in zwei heftig entgegengesetzte Lager spaltete.
Die Einen sahen in der Bekämpfung Oestreichs die Erneuerung der altnapo-
leonischen Herrschaftspläne über den europäischen Continent oder doch über
dessen Westen und Mitte. Die Anderen sahen in der Schwächung Oestreichs
die willkommene Gelegenheit, die unnatürliche und unheilvolle Herrschaft dieses
Staates auch in Deutschland zu brechen. Fröbel sah in jedem Zwiespalt
westeuropäischer Mächte eine Nerkennung der aus Osten drohenden Haupt¬
gefahr. Es schien ihm schon tadelnswert!), daß Napoleon sich gegen Oestreich
gewandt hatte, ohne die Unschädlichmachung Rußlands vollendet zu haben.
Noch tadelnswerther schien ihm, daß Deutschland die Schwächung Oestreichs
zulassen sollte, des natürlichen Führers der europäischen Vertheidigung gegen
Nußland. Fröbel betrachtete den resultatlosen Ausgang des Krimkrieges,als
das gelungene Werk der überlegenen russischen Diplomatie. In dem Unter¬
nehmen Napoleon's gegen Oestreich sah er die vermessene Meinung, den Wider¬
stand gegen Nußland an der Spitze der romanischen Welt allein durchführen
zu können. Das Bestreben aber, in der damaligen Lage Deutschland von


thut, denkt niemals über einen Schritt hinaus. So dachte man auch in
Amerika nicht daran, daß der europäische Westen in Rußlands Hand, wenn
eine solche Eroberung überhaupt denkbar wäre, für Amerika jedenfalls viel
gefährlicher sein würde, als er jetzt irgend sein kann.

Fröbel, dessen Herz für die hohen geschichtlichen und sittlichen Werthe
schlug, die in der westeuropäischen Cultur als Anlage aufbewahrt liegen, fand
diese russisch-amerikanische Sympathie unheimlich. Er sah in derselben das
Gefühl verwandter. Naturgewalten, welche gleichmäßig den Westen Europa's
bedrängen. Er hätte für eine Thorheit gehalten, den Amerikanern Sym¬
pathie für Europa einflößen zu wollen, aber er fand bedenklich, daß in Europa
selbst so wenig Bewußtsein der drohenden Gefahr herrschte, daß die Gedanken
hier so wenig auf eine wirksame Abwehr gerichtet waren. Damals lernte
Fröbel bei einem Besuch in England Urquhart kennen, jenen merkwürdigen
Kopf, der, wie man weiß, ganz eingenommen ist von der einzigen Idee, daß
Nußland die Eroberung der alten Welt systematisch betreibe und durch Thei¬
lung, Lähmung, Bestechung sich die zum Widerstand berufenen Nationen für
die Unterdrückung vorbereite. Unter dem Eindruck der amerikanischen Aus¬
fassung des russisch-europäischen Conflictes schenkte Fröbel der phantastischen
Geschichtsphilosophie Urquhart's ein aufmerksameres Gehör, als sie verdienen
mag. Er wurde eine Zeit lang ihr Verfechter.

Es kam das Jahr 1859. Aus dem Feldherrn einer antirussischen Koali¬
tion wurde Napoleon III. der Bekämpfer von Oestreichs italienischer Ober¬
herrschaft. Damals kehrte Fröbel dauernd nach Deutschland zurück. Man
erinnert sich, wie der Napoleonische Kampf gegen Oestreich die gesammte
öffentliche Meinung Deutschlands in zwei heftig entgegengesetzte Lager spaltete.
Die Einen sahen in der Bekämpfung Oestreichs die Erneuerung der altnapo-
leonischen Herrschaftspläne über den europäischen Continent oder doch über
dessen Westen und Mitte. Die Anderen sahen in der Schwächung Oestreichs
die willkommene Gelegenheit, die unnatürliche und unheilvolle Herrschaft dieses
Staates auch in Deutschland zu brechen. Fröbel sah in jedem Zwiespalt
westeuropäischer Mächte eine Nerkennung der aus Osten drohenden Haupt¬
gefahr. Es schien ihm schon tadelnswert!), daß Napoleon sich gegen Oestreich
gewandt hatte, ohne die Unschädlichmachung Rußlands vollendet zu haben.
Noch tadelnswerther schien ihm, daß Deutschland die Schwächung Oestreichs
zulassen sollte, des natürlichen Führers der europäischen Vertheidigung gegen
Nußland. Fröbel betrachtete den resultatlosen Ausgang des Krimkrieges,als
das gelungene Werk der überlegenen russischen Diplomatie. In dem Unter¬
nehmen Napoleon's gegen Oestreich sah er die vermessene Meinung, den Wider¬
stand gegen Nußland an der Spitze der romanischen Welt allein durchführen
zu können. Das Bestreben aber, in der damaligen Lage Deutschland von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126814"/>
            <p xml:id="ID_1605" prev="#ID_1604"> thut, denkt niemals über einen Schritt hinaus. So dachte man auch in<lb/>
Amerika nicht daran, daß der europäische Westen in Rußlands Hand, wenn<lb/>
eine solche Eroberung überhaupt denkbar wäre, für Amerika jedenfalls viel<lb/>
gefährlicher sein würde, als er jetzt irgend sein kann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1606"> Fröbel, dessen Herz für die hohen geschichtlichen und sittlichen Werthe<lb/>
schlug, die in der westeuropäischen Cultur als Anlage aufbewahrt liegen, fand<lb/>
diese russisch-amerikanische Sympathie unheimlich. Er sah in derselben das<lb/>
Gefühl verwandter. Naturgewalten, welche gleichmäßig den Westen Europa's<lb/>
bedrängen. Er hätte für eine Thorheit gehalten, den Amerikanern Sym¬<lb/>
pathie für Europa einflößen zu wollen, aber er fand bedenklich, daß in Europa<lb/>
selbst so wenig Bewußtsein der drohenden Gefahr herrschte, daß die Gedanken<lb/>
hier so wenig auf eine wirksame Abwehr gerichtet waren. Damals lernte<lb/>
Fröbel bei einem Besuch in England Urquhart kennen, jenen merkwürdigen<lb/>
Kopf, der, wie man weiß, ganz eingenommen ist von der einzigen Idee, daß<lb/>
Nußland die Eroberung der alten Welt systematisch betreibe und durch Thei¬<lb/>
lung, Lähmung, Bestechung sich die zum Widerstand berufenen Nationen für<lb/>
die Unterdrückung vorbereite. Unter dem Eindruck der amerikanischen Aus¬<lb/>
fassung des russisch-europäischen Conflictes schenkte Fröbel der phantastischen<lb/>
Geschichtsphilosophie Urquhart's ein aufmerksameres Gehör, als sie verdienen<lb/>
mag.  Er wurde eine Zeit lang ihr Verfechter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1607" next="#ID_1608"> Es kam das Jahr 1859. Aus dem Feldherrn einer antirussischen Koali¬<lb/>
tion wurde Napoleon III. der Bekämpfer von Oestreichs italienischer Ober¬<lb/>
herrschaft. Damals kehrte Fröbel dauernd nach Deutschland zurück. Man<lb/>
erinnert sich, wie der Napoleonische Kampf gegen Oestreich die gesammte<lb/>
öffentliche Meinung Deutschlands in zwei heftig entgegengesetzte Lager spaltete.<lb/>
Die Einen sahen in der Bekämpfung Oestreichs die Erneuerung der altnapo-<lb/>
leonischen Herrschaftspläne über den europäischen Continent oder doch über<lb/>
dessen Westen und Mitte. Die Anderen sahen in der Schwächung Oestreichs<lb/>
die willkommene Gelegenheit, die unnatürliche und unheilvolle Herrschaft dieses<lb/>
Staates auch in Deutschland zu brechen. Fröbel sah in jedem Zwiespalt<lb/>
westeuropäischer Mächte eine Nerkennung der aus Osten drohenden Haupt¬<lb/>
gefahr. Es schien ihm schon tadelnswert!), daß Napoleon sich gegen Oestreich<lb/>
gewandt hatte, ohne die Unschädlichmachung Rußlands vollendet zu haben.<lb/>
Noch tadelnswerther schien ihm, daß Deutschland die Schwächung Oestreichs<lb/>
zulassen sollte, des natürlichen Führers der europäischen Vertheidigung gegen<lb/>
Nußland. Fröbel betrachtete den resultatlosen Ausgang des Krimkrieges,als<lb/>
das gelungene Werk der überlegenen russischen Diplomatie. In dem Unter¬<lb/>
nehmen Napoleon's gegen Oestreich sah er die vermessene Meinung, den Wider¬<lb/>
stand gegen Nußland an der Spitze der romanischen Welt allein durchführen<lb/>
zu können. Das Bestreben aber, in der damaligen Lage Deutschland von</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] thut, denkt niemals über einen Schritt hinaus. So dachte man auch in Amerika nicht daran, daß der europäische Westen in Rußlands Hand, wenn eine solche Eroberung überhaupt denkbar wäre, für Amerika jedenfalls viel gefährlicher sein würde, als er jetzt irgend sein kann. Fröbel, dessen Herz für die hohen geschichtlichen und sittlichen Werthe schlug, die in der westeuropäischen Cultur als Anlage aufbewahrt liegen, fand diese russisch-amerikanische Sympathie unheimlich. Er sah in derselben das Gefühl verwandter. Naturgewalten, welche gleichmäßig den Westen Europa's bedrängen. Er hätte für eine Thorheit gehalten, den Amerikanern Sym¬ pathie für Europa einflößen zu wollen, aber er fand bedenklich, daß in Europa selbst so wenig Bewußtsein der drohenden Gefahr herrschte, daß die Gedanken hier so wenig auf eine wirksame Abwehr gerichtet waren. Damals lernte Fröbel bei einem Besuch in England Urquhart kennen, jenen merkwürdigen Kopf, der, wie man weiß, ganz eingenommen ist von der einzigen Idee, daß Nußland die Eroberung der alten Welt systematisch betreibe und durch Thei¬ lung, Lähmung, Bestechung sich die zum Widerstand berufenen Nationen für die Unterdrückung vorbereite. Unter dem Eindruck der amerikanischen Aus¬ fassung des russisch-europäischen Conflictes schenkte Fröbel der phantastischen Geschichtsphilosophie Urquhart's ein aufmerksameres Gehör, als sie verdienen mag. Er wurde eine Zeit lang ihr Verfechter. Es kam das Jahr 1859. Aus dem Feldherrn einer antirussischen Koali¬ tion wurde Napoleon III. der Bekämpfer von Oestreichs italienischer Ober¬ herrschaft. Damals kehrte Fröbel dauernd nach Deutschland zurück. Man erinnert sich, wie der Napoleonische Kampf gegen Oestreich die gesammte öffentliche Meinung Deutschlands in zwei heftig entgegengesetzte Lager spaltete. Die Einen sahen in der Bekämpfung Oestreichs die Erneuerung der altnapo- leonischen Herrschaftspläne über den europäischen Continent oder doch über dessen Westen und Mitte. Die Anderen sahen in der Schwächung Oestreichs die willkommene Gelegenheit, die unnatürliche und unheilvolle Herrschaft dieses Staates auch in Deutschland zu brechen. Fröbel sah in jedem Zwiespalt westeuropäischer Mächte eine Nerkennung der aus Osten drohenden Haupt¬ gefahr. Es schien ihm schon tadelnswert!), daß Napoleon sich gegen Oestreich gewandt hatte, ohne die Unschädlichmachung Rußlands vollendet zu haben. Noch tadelnswerther schien ihm, daß Deutschland die Schwächung Oestreichs zulassen sollte, des natürlichen Führers der europäischen Vertheidigung gegen Nußland. Fröbel betrachtete den resultatlosen Ausgang des Krimkrieges,als das gelungene Werk der überlegenen russischen Diplomatie. In dem Unter¬ nehmen Napoleon's gegen Oestreich sah er die vermessene Meinung, den Wider¬ stand gegen Nußland an der Spitze der romanischen Welt allein durchführen zu können. Das Bestreben aber, in der damaligen Lage Deutschland von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/538>, abgerufen am 25.07.2024.