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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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gezeichnet werden. Ein solcher Versuch kann sehr geistreich ausfallen und sehr
interessante Beobachtungen zu Tage fördern. Es steht ihm nur eine unüber¬
windliche Schwierigkeit entgegen. Das ist das Geheimniß der Freiheit oder
wenn man lieber will, das Geheimniß der unbekannten Kraft, welches in der
Entwickelung der Völker waltet. Die Statik muß sich gefaßt halten, an der
Stelle plötzlich eine Lücke zu finden, wo sie eine nachhaltige Kraft vorausge¬
setzt, und ebenso eine unberechenbare Kraft sich entfalten zu sehen, wo ein
schwaches Leben sich geregt hatte und als solches in Rechnung gestellt war.
Aehnliche überraschende Erfahrungen waren gerade dem Jcchrzehend vorbe¬
halten, in welchem Fröbel sein neues System der Politik entwarf.

Zunächst mußte er erfahren, daß er sich in Oestreich getäuscht habe. Er
hatte geglaubt, ein System des Liberalismus im Innern, verbunden mit gro߬
artiger Action nach Außen, werde nicht nur die vom Racenhader getrennten
Völkerbruchstücke Oestreichs zusammenführen, sondern ganz Mitteleuropa in
seine Bahnen ziehen können. Da zeigte sich nun zweierlei. Erstlich, daß eine
solche Politik in jedem Fall des Kernes eine-r reich entwickelten, in ihrem
Wollen klaren und kräftigen Nationalität bedarf. Den Deutschen Oestreichs
wird man die lobenswerthesten Eigenschaften der Naturanlage nachrühmen
dürfen. Aber die Fähigkeit, die geistige Führung Mitteleuropa's zu über¬
nehmen, oder was dasselbe ist, zu diesem Werk die nöthigen Kräfte zu stellen,
besaßen sie nicht. Durch welches Wunder hätten die unverdorbenen, weil un¬
mündigen, Kinder eines aristokratisch-jesuitischen Absolutismus diese Fähig¬
keit plötzlich erlangen sollen? Nicht die deutsche Bevölkerung Oestreichs war
der Träger des altöstreichischen Staatswesens und seiner mehr dem Schein
als der That nach großartigen Politik gewesen. Die Aristokratie aller Bruch¬
stücke, welche das östreichische Völkerconglomerat bilden, hätte, geschaart um
die Dynastie, den Staat regiert. Die Folge dieses Zustandes war, daß Oest¬
reich kein Bürgerthum als entscheidendes Staatselement besaß, und ferner, daß
es keinen Beamtenstand als strengen Vertreter der Staatspflicht bis in das
unterste Getriebe des Staats hinein erlangte. Aus diesem Boden konnte der
Liberalismus nichts anderes sein, als eine Maske, hinter der immer wieder
die Aristokratie und der Klerus standen, als die einzigen wirklichen Staats¬
kräfte der Monarchie. Die Führung Mitteleuropa's aber konnten diese Kräfte
nicht behaupten, obwohl sie dieselbe zur Zeit des Fürsten Schwarzenberg ge¬
wonnen zu haben schienen. Sie konnten, was weit schlimmer war, die unter
den bisherigen Regierungsmitteln unaufhaltsame Abnahme der Leistungs¬
fähigkeit des Staates weder heilen noch verbergen.

Fröbel mußte sich vor Allem überzeugen, daß hinter allen Experimenten
der inneren und äußeren Politik in Oestreich kein thatkräftiger Reformgedanke
lag. Das Schmerling'sche System, welches auf einen eentralifirenden Paria-


gezeichnet werden. Ein solcher Versuch kann sehr geistreich ausfallen und sehr
interessante Beobachtungen zu Tage fördern. Es steht ihm nur eine unüber¬
windliche Schwierigkeit entgegen. Das ist das Geheimniß der Freiheit oder
wenn man lieber will, das Geheimniß der unbekannten Kraft, welches in der
Entwickelung der Völker waltet. Die Statik muß sich gefaßt halten, an der
Stelle plötzlich eine Lücke zu finden, wo sie eine nachhaltige Kraft vorausge¬
setzt, und ebenso eine unberechenbare Kraft sich entfalten zu sehen, wo ein
schwaches Leben sich geregt hatte und als solches in Rechnung gestellt war.
Aehnliche überraschende Erfahrungen waren gerade dem Jcchrzehend vorbe¬
halten, in welchem Fröbel sein neues System der Politik entwarf.

Zunächst mußte er erfahren, daß er sich in Oestreich getäuscht habe. Er
hatte geglaubt, ein System des Liberalismus im Innern, verbunden mit gro߬
artiger Action nach Außen, werde nicht nur die vom Racenhader getrennten
Völkerbruchstücke Oestreichs zusammenführen, sondern ganz Mitteleuropa in
seine Bahnen ziehen können. Da zeigte sich nun zweierlei. Erstlich, daß eine
solche Politik in jedem Fall des Kernes eine-r reich entwickelten, in ihrem
Wollen klaren und kräftigen Nationalität bedarf. Den Deutschen Oestreichs
wird man die lobenswerthesten Eigenschaften der Naturanlage nachrühmen
dürfen. Aber die Fähigkeit, die geistige Führung Mitteleuropa's zu über¬
nehmen, oder was dasselbe ist, zu diesem Werk die nöthigen Kräfte zu stellen,
besaßen sie nicht. Durch welches Wunder hätten die unverdorbenen, weil un¬
mündigen, Kinder eines aristokratisch-jesuitischen Absolutismus diese Fähig¬
keit plötzlich erlangen sollen? Nicht die deutsche Bevölkerung Oestreichs war
der Träger des altöstreichischen Staatswesens und seiner mehr dem Schein
als der That nach großartigen Politik gewesen. Die Aristokratie aller Bruch¬
stücke, welche das östreichische Völkerconglomerat bilden, hätte, geschaart um
die Dynastie, den Staat regiert. Die Folge dieses Zustandes war, daß Oest¬
reich kein Bürgerthum als entscheidendes Staatselement besaß, und ferner, daß
es keinen Beamtenstand als strengen Vertreter der Staatspflicht bis in das
unterste Getriebe des Staats hinein erlangte. Aus diesem Boden konnte der
Liberalismus nichts anderes sein, als eine Maske, hinter der immer wieder
die Aristokratie und der Klerus standen, als die einzigen wirklichen Staats¬
kräfte der Monarchie. Die Führung Mitteleuropa's aber konnten diese Kräfte
nicht behaupten, obwohl sie dieselbe zur Zeit des Fürsten Schwarzenberg ge¬
wonnen zu haben schienen. Sie konnten, was weit schlimmer war, die unter
den bisherigen Regierungsmitteln unaufhaltsame Abnahme der Leistungs¬
fähigkeit des Staates weder heilen noch verbergen.

Fröbel mußte sich vor Allem überzeugen, daß hinter allen Experimenten
der inneren und äußeren Politik in Oestreich kein thatkräftiger Reformgedanke
lag. Das Schmerling'sche System, welches auf einen eentralifirenden Paria-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/540>, abgerufen am 24.07.2024.