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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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zweimal wöchentliche PostVerbindung von Leipzig nach Berlin; die Fahrt
wurde in 48 Stunden zurückgelegt; 1781 mußte Matthias auf Befehl des
Kurfürsten von Brandenburg eine "Geschwindpost" zwischen Leipzig und Ham¬
burg einrichten "zu besserer Beförderung der Commercien", wie denn über¬
haupt dieser große Monarch daraus bedacht war, die Postanlagen nach sei¬
nem eigenen Worte "zu des gemeinen Bestens mehrerem Wesen"
immer weiter auszudehnen und zu vervollkommnen. Namentlich setzte er
auch die Posttaxen herunter. Ein Brief von Berlin nach Magdeburg kostete
damals 1^/z Sgr.; nur das Porto für Geldbriefe war sehr hoch. Wie naiv
dagegen von einigen Regierungen und von zünftigen Corporationen über den
Werth der Posten geurtheilt wurde, zeigt der Ausspruch des Erzbischofs von
Mainz, welcher bei Gelegenheit der Verhandlungen wegen Einrichtung einer
directen Post zwischen den wichtigen Handelsemporien Nürnberg und Ham¬
burg (1710) den Transit der Post verweigerte, weil "die Posten viel zu
schnell gingen, so daß Gastwirthe, Bäcker, Brauer und Wein¬
schenken an den Landstraßen nicht die Nahrung hätten, wie bei
den Lohnfuhrwerken." Ebenso waren die Fuhrherrn-Gilde in Cleve
und die Landkutscher-Innung in Magdeburg eifrige Widersacher der fahren¬
den Posten, weil diese den Reiseverkehr mehr und mehr an sich zogen, auch
mehr leisteten, als veraltete Zunfteinrichtungen vermochten. Der Zustand
der Postwagen war in jener Zeit indeß keineswegs verlockend. Meist waren
dieselben unbedeckt, also jeder Witterung preisgegeben, und hatten ungepol-
sterte Sitze ohne Lehne. Bei schlechten Wegen, wie solche im heiligen römischen
Reiche keine Seltenheit waren, kam vor, daß Passagiere und Postillone durch
die Stöße des Wagens an die Erde geschleudert wurden. Die Postpäckereim
wurden nebst den Futtersäcken der Postillone unter und neben den Sitz der
Passagiere gelegt und strömten nicht selten ein Aroma aus, das wenig an
Arabiens Wohlgerüche erinnerte, wie z. B. jene 90 Hasen aus Halberstadt
oder die sogenannten Häringsposten aus Hamburg auf der Fahrt nach
Berlin. Den Reisenden wurde empfohlen, auf ihr Gepäck selbst zu achten,
"da der Postillon mit seinen Pferden genug zu thun habe" -- ein wahres
Schiboleth für die praktische Anwendung des "Selbst ist der Mann"! Trotz¬
dem müssen die Passagier-Effecten häufig gestohlen worden sein; denn ein
Edict (vergl. Mylius Sammlung) befahl "die Austreibung der Juden,
welche die von den Posten gestohlenen Sachen zu kaufen pfle¬
gen." Das Steckenbleiben der Posten war eine mit der Romantik jener
Tage eng verbundene, häufig vorkommende Abwechselung. Ein ernsteres
Abenteuer war es, wenn bei den Fahrten durch die Litthauischen Wälder die
Pferde, vom Geheul der Wölfe erschreckt, ohne Weiteres Kehrt machten und
über Stock und Stein nach der Station zurückeilten. Im Allgemeinen our-


zweimal wöchentliche PostVerbindung von Leipzig nach Berlin; die Fahrt
wurde in 48 Stunden zurückgelegt; 1781 mußte Matthias auf Befehl des
Kurfürsten von Brandenburg eine „Geschwindpost" zwischen Leipzig und Ham¬
burg einrichten „zu besserer Beförderung der Commercien", wie denn über¬
haupt dieser große Monarch daraus bedacht war, die Postanlagen nach sei¬
nem eigenen Worte „zu des gemeinen Bestens mehrerem Wesen"
immer weiter auszudehnen und zu vervollkommnen. Namentlich setzte er
auch die Posttaxen herunter. Ein Brief von Berlin nach Magdeburg kostete
damals 1^/z Sgr.; nur das Porto für Geldbriefe war sehr hoch. Wie naiv
dagegen von einigen Regierungen und von zünftigen Corporationen über den
Werth der Posten geurtheilt wurde, zeigt der Ausspruch des Erzbischofs von
Mainz, welcher bei Gelegenheit der Verhandlungen wegen Einrichtung einer
directen Post zwischen den wichtigen Handelsemporien Nürnberg und Ham¬
burg (1710) den Transit der Post verweigerte, weil „die Posten viel zu
schnell gingen, so daß Gastwirthe, Bäcker, Brauer und Wein¬
schenken an den Landstraßen nicht die Nahrung hätten, wie bei
den Lohnfuhrwerken." Ebenso waren die Fuhrherrn-Gilde in Cleve
und die Landkutscher-Innung in Magdeburg eifrige Widersacher der fahren¬
den Posten, weil diese den Reiseverkehr mehr und mehr an sich zogen, auch
mehr leisteten, als veraltete Zunfteinrichtungen vermochten. Der Zustand
der Postwagen war in jener Zeit indeß keineswegs verlockend. Meist waren
dieselben unbedeckt, also jeder Witterung preisgegeben, und hatten ungepol-
sterte Sitze ohne Lehne. Bei schlechten Wegen, wie solche im heiligen römischen
Reiche keine Seltenheit waren, kam vor, daß Passagiere und Postillone durch
die Stöße des Wagens an die Erde geschleudert wurden. Die Postpäckereim
wurden nebst den Futtersäcken der Postillone unter und neben den Sitz der
Passagiere gelegt und strömten nicht selten ein Aroma aus, das wenig an
Arabiens Wohlgerüche erinnerte, wie z. B. jene 90 Hasen aus Halberstadt
oder die sogenannten Häringsposten aus Hamburg auf der Fahrt nach
Berlin. Den Reisenden wurde empfohlen, auf ihr Gepäck selbst zu achten,
„da der Postillon mit seinen Pferden genug zu thun habe" — ein wahres
Schiboleth für die praktische Anwendung des „Selbst ist der Mann"! Trotz¬
dem müssen die Passagier-Effecten häufig gestohlen worden sein; denn ein
Edict (vergl. Mylius Sammlung) befahl „die Austreibung der Juden,
welche die von den Posten gestohlenen Sachen zu kaufen pfle¬
gen." Das Steckenbleiben der Posten war eine mit der Romantik jener
Tage eng verbundene, häufig vorkommende Abwechselung. Ein ernsteres
Abenteuer war es, wenn bei den Fahrten durch die Litthauischen Wälder die
Pferde, vom Geheul der Wölfe erschreckt, ohne Weiteres Kehrt machten und
über Stock und Stein nach der Station zurückeilten. Im Allgemeinen our-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/518>, abgerufen am 24.07.2024.