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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Dinge, deren das moderne kosmopolitisch entfaltete Verkehrsleben nicht ent¬
behren kann. Wenige Jahrhunderte zurück liegt eine Vergangenheit, welche
dieser Segnungen noch völlig entbehrte. Vor 1649 hatte unsre, jetzt zur
Kaiserstadt erhobene, preußische Metropole, Berlin, noch kein Postamt. Brief¬
liche Mittheilungen wurden den unsicheren Händen der Boten oder wandern¬
den Metzger anvertraut, oft sehr zum Nachtheile der Correspondenten. Denn
Garzonus klagt "daß die Boten, bereden anderer Untreu, so offtermahls
gespühret wird, die Brieffe aufbrechen, die Siegel verfälschen, Heimlichkeiten
verrathen, auch meisterlich darauf abgerichtet sind, daß sie die Pack und Geld
aufmachen, verspielen, versauffen u. s. w. und geben hernach an, sie seien an¬
gegriffen worden." Als der schwedische Postmeister zu Riga, Johann Becker,
1646 die Rigaer Post über Königsberg hinaus nach Preußen hineinführen
wollte, erkannte des großen Kurfürsten staatsmännischer Geist den Nutzen
einer solchen Einrichtung für die Volkswohlfahrt und beschloß aus den Rath
eines um das Postwesen später hochverdient gewordenen Mannes. Michael
Matthias, an Stelle der Boten-Anstalten ein Staatspostwesen in den
Kurfürstlichen Landen einzurichten (1649). Matthias ging mit großer Ener¬
gie an die Ausführung des Plans, Berlin, das aus dem kleinen Landstädtchen
Cölln a. Spree und dem ehemaligen Fischerdorfe Berlin entstanden, im schnellen
Emporblühen begriffen war, erhielt durch Anlegung von Haupt-Postcoursen
nach Eleve und Memel eine zweimal wöchentliche Verbindung mit dem Westen
und Osten. Die Post von Eleve nach Königsberg brauchte 10 Tage, von
Berlin bis Königsberg 4 Tage, eine, wie Schriftsteller jener Zeit berichten,
ganz "außergewöhnliche Schnelligkeit", so daß man "von fliegenden Posten"
sprach. Die Zerstückelung Deutschlands in zahlreiche Territorien legte der
Ausbreitung der Posten große Hindernisse in den Weg; und bei dem Man¬
gel einer bestimmten Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse des Post¬
Wesens in Deutschland entstanden denn auch zahlreiche Streitigkeiten zwi¬
schen den Patronen der einzelnen Territorial-Postinstitute. Der Denkweise
und den Sitten der "guten alten Zeit'' gemäß kam es dabei oft zu Gewalt¬
thätigkeiten aller Art, Der brandenburgische Oberst von Schwerin ließ pol¬
nische und schwedische Postillone arretiren und ins Gefängniß werfen, die
Briefe aber so lange zurückhalten, bis das Porto an die Kurfürstliche Kasse
bezahlt war. Berühmt sind die langen Fehden Brandenburgs mit der
Taxis'schen Reichspost; ein Theil überfiel des Anderen Posten, und trieb
Passagiere und Postillone auf der Landstraße zu Paaren. Nichts destoweni-
ger vermochte der kosmopolitische Charakter des PostWesens nach und nach
alle Schranken, welche Feudalismus und engherzige Politik gleich chinesischen
Mauern aufgebaut hatten, siegreich zu überschreiten. 1653 wurde eine Post
von Berlin über Dresden nach Regensburg angelegt; 1639 entstand eine.


Dinge, deren das moderne kosmopolitisch entfaltete Verkehrsleben nicht ent¬
behren kann. Wenige Jahrhunderte zurück liegt eine Vergangenheit, welche
dieser Segnungen noch völlig entbehrte. Vor 1649 hatte unsre, jetzt zur
Kaiserstadt erhobene, preußische Metropole, Berlin, noch kein Postamt. Brief¬
liche Mittheilungen wurden den unsicheren Händen der Boten oder wandern¬
den Metzger anvertraut, oft sehr zum Nachtheile der Correspondenten. Denn
Garzonus klagt „daß die Boten, bereden anderer Untreu, so offtermahls
gespühret wird, die Brieffe aufbrechen, die Siegel verfälschen, Heimlichkeiten
verrathen, auch meisterlich darauf abgerichtet sind, daß sie die Pack und Geld
aufmachen, verspielen, versauffen u. s. w. und geben hernach an, sie seien an¬
gegriffen worden." Als der schwedische Postmeister zu Riga, Johann Becker,
1646 die Rigaer Post über Königsberg hinaus nach Preußen hineinführen
wollte, erkannte des großen Kurfürsten staatsmännischer Geist den Nutzen
einer solchen Einrichtung für die Volkswohlfahrt und beschloß aus den Rath
eines um das Postwesen später hochverdient gewordenen Mannes. Michael
Matthias, an Stelle der Boten-Anstalten ein Staatspostwesen in den
Kurfürstlichen Landen einzurichten (1649). Matthias ging mit großer Ener¬
gie an die Ausführung des Plans, Berlin, das aus dem kleinen Landstädtchen
Cölln a. Spree und dem ehemaligen Fischerdorfe Berlin entstanden, im schnellen
Emporblühen begriffen war, erhielt durch Anlegung von Haupt-Postcoursen
nach Eleve und Memel eine zweimal wöchentliche Verbindung mit dem Westen
und Osten. Die Post von Eleve nach Königsberg brauchte 10 Tage, von
Berlin bis Königsberg 4 Tage, eine, wie Schriftsteller jener Zeit berichten,
ganz „außergewöhnliche Schnelligkeit", so daß man „von fliegenden Posten"
sprach. Die Zerstückelung Deutschlands in zahlreiche Territorien legte der
Ausbreitung der Posten große Hindernisse in den Weg; und bei dem Man¬
gel einer bestimmten Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse des Post¬
Wesens in Deutschland entstanden denn auch zahlreiche Streitigkeiten zwi¬
schen den Patronen der einzelnen Territorial-Postinstitute. Der Denkweise
und den Sitten der „guten alten Zeit'' gemäß kam es dabei oft zu Gewalt¬
thätigkeiten aller Art, Der brandenburgische Oberst von Schwerin ließ pol¬
nische und schwedische Postillone arretiren und ins Gefängniß werfen, die
Briefe aber so lange zurückhalten, bis das Porto an die Kurfürstliche Kasse
bezahlt war. Berühmt sind die langen Fehden Brandenburgs mit der
Taxis'schen Reichspost; ein Theil überfiel des Anderen Posten, und trieb
Passagiere und Postillone auf der Landstraße zu Paaren. Nichts destoweni-
ger vermochte der kosmopolitische Charakter des PostWesens nach und nach
alle Schranken, welche Feudalismus und engherzige Politik gleich chinesischen
Mauern aufgebaut hatten, siegreich zu überschreiten. 1653 wurde eine Post
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/517>, abgerufen am 24.07.2024.