Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es keins hat, keines haben kann. Sonst wissen wir, daß es sich um die
Frage der Menschlichkeit wenig scheren würde." Aber, wiewohl auch, nachdem
das Comite seinen Bericht erstattet, die öffentliche Meinung in Paris in die
Regierung drang, einen Entschluß zu fassen, zögerte dieselbe noch immer,
und zuletzt schrieb der Admiral Fleuriot de Langle den Erfindern des griechi¬
schen Feuers:

"In Folge von Betrachtungen, die aus dem Interesse der Vertheidigung
geschöpft wurden, ist beschlossen worden, daß von diesen Zerstörungsmaschinen,
welche das Petroleum zur Basis haben, oder andern kein Gebrauch gemacht
werden soll. Es müßte überdieß in Betreff Ihrer Erfindung die größte Vor¬
sicht beobachtet werden. Jede Veröffentlichung in dieser Hinsicht würde in der
That vom Feinde ausgebeutet werden, welcher daraus den Schluß, daß davon
gegen ihn Gebrauch gemacht worden, ziehen und davon den Vorwand her¬
nehmen würde, seinerseits Gebrauch von Mitteln zu machen, die bis heute
durch die Regierungen und die Völker verschmäht worden sind."

Die Moral aus diesen Journalartikeln und dieser officiellen Aeußerung
herauszufinden, dürfen wir wohl den Lesern überlassen.

Es ist wahr, daß die Franzosen zu Anfang des Krieges uns nicht bloß
"niedersicheln" (kg-ueder), sondern uns auch Moral lehren wollten. Das
"Paris-Journal" schrieb damals edelmüthig: "Beklagen wir die Preußen,
ahmen wir sie nicht nach, und wenn wir die Oberhand gewonnen haben,
tragen wir ihnen unser Gesetzbuch der Civilisation zu, lehren wir ihnen das
Völkerrecht und die christliche Moral."

Als aber die Niederlagen kamen, ging die Pariser Presse ohne Weiteres
von der christlichen Moral zu der Moral der wilden Indianer über.

"Jetzt", so redete Herr Gue'route in der "Opinion Nationale" die Deut¬
schen an, "ist es nicht mehr ein Krieg, den wir gegen euch führen wollen,
sondern eine Jagd auf reißende Thiere."

Der "Figaro" ließ sich am 17. August, angeblich von einem Belgier,
schreiben: "Muth, Franzosen! Wenn ihr keine Chassepots mehr habt, so
habt ihr noch Messer, und wenn euch diese Waffe auch fehlt, nun -- dann
bleibt euch Arsenik."

Zu derselben Zeit veröffentlichte der "Charivari" -- damit die Kanniba¬
len der Pariser Boulevards was zu lachen hätten -- das Bild eines Zuaven,
der einem gefangenen Preußen die Augen ausreißt, indem er zu ihm sagt:
"Das eine für Waterloo, das andere für Sadowa." "Er hätte", meint unsere
Schrift, "noch ein drittes haben sollen -- für Sedan."

Vergessen wir serner nicht den Club, der in Paris gebildet wurde "zur
Jagd auf die Preußen." Man hatte, beim Dessert vermuthlich, einen ganz


es keins hat, keines haben kann. Sonst wissen wir, daß es sich um die
Frage der Menschlichkeit wenig scheren würde." Aber, wiewohl auch, nachdem
das Comite seinen Bericht erstattet, die öffentliche Meinung in Paris in die
Regierung drang, einen Entschluß zu fassen, zögerte dieselbe noch immer,
und zuletzt schrieb der Admiral Fleuriot de Langle den Erfindern des griechi¬
schen Feuers:

»In Folge von Betrachtungen, die aus dem Interesse der Vertheidigung
geschöpft wurden, ist beschlossen worden, daß von diesen Zerstörungsmaschinen,
welche das Petroleum zur Basis haben, oder andern kein Gebrauch gemacht
werden soll. Es müßte überdieß in Betreff Ihrer Erfindung die größte Vor¬
sicht beobachtet werden. Jede Veröffentlichung in dieser Hinsicht würde in der
That vom Feinde ausgebeutet werden, welcher daraus den Schluß, daß davon
gegen ihn Gebrauch gemacht worden, ziehen und davon den Vorwand her¬
nehmen würde, seinerseits Gebrauch von Mitteln zu machen, die bis heute
durch die Regierungen und die Völker verschmäht worden sind."

Die Moral aus diesen Journalartikeln und dieser officiellen Aeußerung
herauszufinden, dürfen wir wohl den Lesern überlassen.

Es ist wahr, daß die Franzosen zu Anfang des Krieges uns nicht bloß
„niedersicheln" (kg-ueder), sondern uns auch Moral lehren wollten. Das
„Paris-Journal" schrieb damals edelmüthig: „Beklagen wir die Preußen,
ahmen wir sie nicht nach, und wenn wir die Oberhand gewonnen haben,
tragen wir ihnen unser Gesetzbuch der Civilisation zu, lehren wir ihnen das
Völkerrecht und die christliche Moral."

Als aber die Niederlagen kamen, ging die Pariser Presse ohne Weiteres
von der christlichen Moral zu der Moral der wilden Indianer über.

„Jetzt", so redete Herr Gue'route in der „Opinion Nationale" die Deut¬
schen an, „ist es nicht mehr ein Krieg, den wir gegen euch führen wollen,
sondern eine Jagd auf reißende Thiere."

Der „Figaro" ließ sich am 17. August, angeblich von einem Belgier,
schreiben: „Muth, Franzosen! Wenn ihr keine Chassepots mehr habt, so
habt ihr noch Messer, und wenn euch diese Waffe auch fehlt, nun — dann
bleibt euch Arsenik."

Zu derselben Zeit veröffentlichte der „Charivari" — damit die Kanniba¬
len der Pariser Boulevards was zu lachen hätten — das Bild eines Zuaven,
der einem gefangenen Preußen die Augen ausreißt, indem er zu ihm sagt:
„Das eine für Waterloo, das andere für Sadowa." „Er hätte", meint unsere
Schrift, „noch ein drittes haben sollen — für Sedan."

Vergessen wir serner nicht den Club, der in Paris gebildet wurde „zur
Jagd auf die Preußen." Man hatte, beim Dessert vermuthlich, einen ganz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126716"/>
          <p xml:id="ID_1330" prev="#ID_1329"> es keins hat, keines haben kann. Sonst wissen wir, daß es sich um die<lb/>
Frage der Menschlichkeit wenig scheren würde." Aber, wiewohl auch, nachdem<lb/>
das Comite seinen Bericht erstattet, die öffentliche Meinung in Paris in die<lb/>
Regierung drang, einen Entschluß zu fassen, zögerte dieselbe noch immer,<lb/>
und zuletzt schrieb der Admiral Fleuriot de Langle den Erfindern des griechi¬<lb/>
schen Feuers:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1331"> »In Folge von Betrachtungen, die aus dem Interesse der Vertheidigung<lb/>
geschöpft wurden, ist beschlossen worden, daß von diesen Zerstörungsmaschinen,<lb/>
welche das Petroleum zur Basis haben, oder andern kein Gebrauch gemacht<lb/>
werden soll. Es müßte überdieß in Betreff Ihrer Erfindung die größte Vor¬<lb/>
sicht beobachtet werden. Jede Veröffentlichung in dieser Hinsicht würde in der<lb/>
That vom Feinde ausgebeutet werden, welcher daraus den Schluß, daß davon<lb/>
gegen ihn Gebrauch gemacht worden, ziehen und davon den Vorwand her¬<lb/>
nehmen würde, seinerseits Gebrauch von Mitteln zu machen, die bis heute<lb/>
durch die Regierungen und die Völker verschmäht worden sind."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1332"> Die Moral aus diesen Journalartikeln und dieser officiellen Aeußerung<lb/>
herauszufinden, dürfen wir wohl den Lesern überlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1333"> Es ist wahr, daß die Franzosen zu Anfang des Krieges uns nicht bloß<lb/>
&#x201E;niedersicheln" (kg-ueder), sondern uns auch Moral lehren wollten. Das<lb/>
&#x201E;Paris-Journal" schrieb damals edelmüthig: &#x201E;Beklagen wir die Preußen,<lb/>
ahmen wir sie nicht nach, und wenn wir die Oberhand gewonnen haben,<lb/>
tragen wir ihnen unser Gesetzbuch der Civilisation zu, lehren wir ihnen das<lb/>
Völkerrecht und die christliche Moral."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1334"> Als aber die Niederlagen kamen, ging die Pariser Presse ohne Weiteres<lb/>
von der christlichen Moral zu der Moral der wilden Indianer über.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1335"> &#x201E;Jetzt", so redete Herr Gue'route in der &#x201E;Opinion Nationale" die Deut¬<lb/>
schen an, &#x201E;ist es nicht mehr ein Krieg, den wir gegen euch führen wollen,<lb/>
sondern eine Jagd auf reißende Thiere."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1336"> Der &#x201E;Figaro" ließ sich am 17. August, angeblich von einem Belgier,<lb/>
schreiben: &#x201E;Muth, Franzosen! Wenn ihr keine Chassepots mehr habt, so<lb/>
habt ihr noch Messer, und wenn euch diese Waffe auch fehlt, nun &#x2014; dann<lb/>
bleibt euch Arsenik."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1337"> Zu derselben Zeit veröffentlichte der &#x201E;Charivari" &#x2014; damit die Kanniba¬<lb/>
len der Pariser Boulevards was zu lachen hätten &#x2014; das Bild eines Zuaven,<lb/>
der einem gefangenen Preußen die Augen ausreißt, indem er zu ihm sagt:<lb/>
&#x201E;Das eine für Waterloo, das andere für Sadowa." &#x201E;Er hätte", meint unsere<lb/>
Schrift, &#x201E;noch ein drittes haben sollen &#x2014; für Sedan."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1338" next="#ID_1339"> Vergessen wir serner nicht den Club, der in Paris gebildet wurde &#x201E;zur<lb/>
Jagd auf die Preußen." Man hatte, beim Dessert vermuthlich, einen ganz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] es keins hat, keines haben kann. Sonst wissen wir, daß es sich um die Frage der Menschlichkeit wenig scheren würde." Aber, wiewohl auch, nachdem das Comite seinen Bericht erstattet, die öffentliche Meinung in Paris in die Regierung drang, einen Entschluß zu fassen, zögerte dieselbe noch immer, und zuletzt schrieb der Admiral Fleuriot de Langle den Erfindern des griechi¬ schen Feuers: »In Folge von Betrachtungen, die aus dem Interesse der Vertheidigung geschöpft wurden, ist beschlossen worden, daß von diesen Zerstörungsmaschinen, welche das Petroleum zur Basis haben, oder andern kein Gebrauch gemacht werden soll. Es müßte überdieß in Betreff Ihrer Erfindung die größte Vor¬ sicht beobachtet werden. Jede Veröffentlichung in dieser Hinsicht würde in der That vom Feinde ausgebeutet werden, welcher daraus den Schluß, daß davon gegen ihn Gebrauch gemacht worden, ziehen und davon den Vorwand her¬ nehmen würde, seinerseits Gebrauch von Mitteln zu machen, die bis heute durch die Regierungen und die Völker verschmäht worden sind." Die Moral aus diesen Journalartikeln und dieser officiellen Aeußerung herauszufinden, dürfen wir wohl den Lesern überlassen. Es ist wahr, daß die Franzosen zu Anfang des Krieges uns nicht bloß „niedersicheln" (kg-ueder), sondern uns auch Moral lehren wollten. Das „Paris-Journal" schrieb damals edelmüthig: „Beklagen wir die Preußen, ahmen wir sie nicht nach, und wenn wir die Oberhand gewonnen haben, tragen wir ihnen unser Gesetzbuch der Civilisation zu, lehren wir ihnen das Völkerrecht und die christliche Moral." Als aber die Niederlagen kamen, ging die Pariser Presse ohne Weiteres von der christlichen Moral zu der Moral der wilden Indianer über. „Jetzt", so redete Herr Gue'route in der „Opinion Nationale" die Deut¬ schen an, „ist es nicht mehr ein Krieg, den wir gegen euch führen wollen, sondern eine Jagd auf reißende Thiere." Der „Figaro" ließ sich am 17. August, angeblich von einem Belgier, schreiben: „Muth, Franzosen! Wenn ihr keine Chassepots mehr habt, so habt ihr noch Messer, und wenn euch diese Waffe auch fehlt, nun — dann bleibt euch Arsenik." Zu derselben Zeit veröffentlichte der „Charivari" — damit die Kanniba¬ len der Pariser Boulevards was zu lachen hätten — das Bild eines Zuaven, der einem gefangenen Preußen die Augen ausreißt, indem er zu ihm sagt: „Das eine für Waterloo, das andere für Sadowa." „Er hätte", meint unsere Schrift, „noch ein drittes haben sollen — für Sedan." Vergessen wir serner nicht den Club, der in Paris gebildet wurde „zur Jagd auf die Preußen." Man hatte, beim Dessert vermuthlich, einen ganz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/440>, abgerufen am 25.07.2024.