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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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schönen Plan ausgedüftelt, aber an dem Tage, wo das Wild sich näherte,
verdufteten die Jäger.

Ein republikanischer Präfect (sein Name darf nicht untergehen, er hieß
Luce-Billiard und regierte in der Code - d'Or) übertrug diese hohe Jagd in die
Provinz, indeß substituirte er den gefährlichen Satzungen der Pariser Nimrods
die Regeln dessen, was Falstaff als das bessere Theil der Tapferkeit preist.
Am 21. November richtete er an seine Pflegebefohlenen folgendes Schreiben:
"Das Vaterland verlangt von euch nicht, daß ihr euch in Masse zusammen¬
thun und euch offen dem Feinde entgegenstellen sollt, es erwartet von euch,
daß jeden Morgen 3 bis 4 Leute entschlossen die Gemeinde verlassen und sich
an einem von der Natur selbst bezeichneten Ort aufstellen, von wo sie ohne
Gefahr auf die Preußen schießen können. Ich werde ihnen einen Preis zu¬
kommen und ihre heldenmüthige That in allen Blättern des Departe¬
ments und ebenso im Moniteur Officiel veröffentlichen lassen."

In diesem Concert der französischen Humanität erhebt sich noch die große
prunkhafte Stimme Victor Hugo's: "Wälzet Felsblöcke herbei, reißt das
Pflaster auf, verwandelt die Pflugschare in Beile, verwandelt die Furchen in
Gräben, kämpft mit allem, was euch in die Hand fällt, nehmt Steine von
unserm geheiligten Boden, steinigt die Eindringlinge mit den Knochen unserer
Mutter Frankreich! Mögen die Straßen den Feind verschlingen, möge das
Fenster wüthend sich öffnen, möge das Dach mit seinen Ziegeln werfen, mö¬
gen die Gräber schreien. Harcelirt hier, blitzt dort, reißt den Boden auf.
Freischützen, benutzt den Schatten und die Dämmerung, schlängelt euch
durch Schluchten, schleicht euch heran, duckt euch, macht euch fertig, feuert,
vernichtet."

So geht's fort, jedes Wort den Schaum der Tollwuth vor den Lippen,
vier Seiten lang. Aber im Stil der Wasserscheu gebührt die Palme doch der
"Jndependance Alge'rienne". deren berühmter Aufruf an die "Söhne der Wüste",
von der französischen Presse mit ehrenvoller Erwähnung reproducirt, zur Ver¬
brennung des Schwarzwaldes und zur Verwüstung Badens und Württem¬
bergs aufforderte und mit den sublimen Worten schloß: "Geht, je mehr ihr
Köpfe abschneidet, desto höher wird unsere Achtung vor euch steigen. Weg
mit dem Erbarmen! Weg mit den Gefühlen der Menschlichkeit! Die Frauen
und die Kinder sollen für ihre Gatten und Bäter bezahlen. Ja, die Gnus
werden ihrer Aufgabe gewachsen sein. Es genügt, daß wir ihnen den Zügel
zuwerfen und ihnen sagen: Tod, Plünderung und Brand!"

Diese Sprache eines Schurken hat ihre Früchte getragen; aber nicht die
Deutschen, sondern die Franzosen selbst haben sie essen müssen. Die Com¬
mune hat darnach gehandelt. - Sie hat der Kette, in welcher die Bartholo¬
mäusnacht, die Mordbrennereien in der Pfalz, die Dragonaden, Louvois und


Grenzboten it. 1871. 55

schönen Plan ausgedüftelt, aber an dem Tage, wo das Wild sich näherte,
verdufteten die Jäger.

Ein republikanischer Präfect (sein Name darf nicht untergehen, er hieß
Luce-Billiard und regierte in der Code - d'Or) übertrug diese hohe Jagd in die
Provinz, indeß substituirte er den gefährlichen Satzungen der Pariser Nimrods
die Regeln dessen, was Falstaff als das bessere Theil der Tapferkeit preist.
Am 21. November richtete er an seine Pflegebefohlenen folgendes Schreiben:
„Das Vaterland verlangt von euch nicht, daß ihr euch in Masse zusammen¬
thun und euch offen dem Feinde entgegenstellen sollt, es erwartet von euch,
daß jeden Morgen 3 bis 4 Leute entschlossen die Gemeinde verlassen und sich
an einem von der Natur selbst bezeichneten Ort aufstellen, von wo sie ohne
Gefahr auf die Preußen schießen können. Ich werde ihnen einen Preis zu¬
kommen und ihre heldenmüthige That in allen Blättern des Departe¬
ments und ebenso im Moniteur Officiel veröffentlichen lassen."

In diesem Concert der französischen Humanität erhebt sich noch die große
prunkhafte Stimme Victor Hugo's: „Wälzet Felsblöcke herbei, reißt das
Pflaster auf, verwandelt die Pflugschare in Beile, verwandelt die Furchen in
Gräben, kämpft mit allem, was euch in die Hand fällt, nehmt Steine von
unserm geheiligten Boden, steinigt die Eindringlinge mit den Knochen unserer
Mutter Frankreich! Mögen die Straßen den Feind verschlingen, möge das
Fenster wüthend sich öffnen, möge das Dach mit seinen Ziegeln werfen, mö¬
gen die Gräber schreien. Harcelirt hier, blitzt dort, reißt den Boden auf.
Freischützen, benutzt den Schatten und die Dämmerung, schlängelt euch
durch Schluchten, schleicht euch heran, duckt euch, macht euch fertig, feuert,
vernichtet."

So geht's fort, jedes Wort den Schaum der Tollwuth vor den Lippen,
vier Seiten lang. Aber im Stil der Wasserscheu gebührt die Palme doch der
„Jndependance Alge'rienne". deren berühmter Aufruf an die „Söhne der Wüste",
von der französischen Presse mit ehrenvoller Erwähnung reproducirt, zur Ver¬
brennung des Schwarzwaldes und zur Verwüstung Badens und Württem¬
bergs aufforderte und mit den sublimen Worten schloß: „Geht, je mehr ihr
Köpfe abschneidet, desto höher wird unsere Achtung vor euch steigen. Weg
mit dem Erbarmen! Weg mit den Gefühlen der Menschlichkeit! Die Frauen
und die Kinder sollen für ihre Gatten und Bäter bezahlen. Ja, die Gnus
werden ihrer Aufgabe gewachsen sein. Es genügt, daß wir ihnen den Zügel
zuwerfen und ihnen sagen: Tod, Plünderung und Brand!"

Diese Sprache eines Schurken hat ihre Früchte getragen; aber nicht die
Deutschen, sondern die Franzosen selbst haben sie essen müssen. Die Com¬
mune hat darnach gehandelt. - Sie hat der Kette, in welcher die Bartholo¬
mäusnacht, die Mordbrennereien in der Pfalz, die Dragonaden, Louvois und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/441>, abgerufen am 24.07.2024.