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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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hat von außen viel Schimmer, blendendes, lackirtes Wesen; dahinter ist Wurm¬
stiches Holz", obwohl wir bei anderer Gelegenheit erfahren, daß er bis zur
Jenaischen Katastrophe voll Vertrauen auf die Kriegstüchtigkeit der preußi¬
schen Armee war (Jntelligenzbl. zu den N. Feuerbr. Bd. 2, Ur. 16, Sy. 127).
Daß er bei der Herausgabe seiner Schriften nicht von einem bestimmten pa¬
triotischen Zweck geleitet war, geht schon daraus hervor, daß er in Bezug
auf sie sagt (Jntelligenzbl. zu den N. Feuerbr. Bd. 2, Ur. 44, Sy. 345),
er halte es für sehr einseitig und egoistisch von einem Redacteur gehandelt,
wenn er nur Aufsätze in sein Journal aufnehme, die mit seinen Grundsätzen
übereinstimmen; ein Journal, welches für die Geschichte Materialien sammele,
müsse unparteiisch das pro und contra aufnehmen. Auch war Cölln denje¬
nigen politischen Anschauungen, welche Friedrich Buchholz vertrat, nicht fremd.
Er konnte England für den wahren Feind Preußens, Englands Meer¬
despotismus und "Subsidienangel" für die wahre Ursache seines Unglücks
erklären (vergl. a. V. Br. II., 20. Brief, S. 190). In den Friedensbedin¬
gungen, welche er den Continentalmächten zur Beilegung ihrer Feindschaft
vorschlägt (V. Br. II., 8. Brief, S. 69) setzt er als gelehriger Schüler Na¬
poleons fest: "in Deutschland sollen künftig nur Oestreich, Preußen, Baiern,
Sachsen und Württemberg existiren; unter diesen werden alle deutschen Pro¬
vinzen vertheilt und es eristirt kein Deutschland und kein deutscher Kaiser
mehr. Der Rheinbund wird cassirt; dagegen errichten jene fünf Mächte einen
deutschen Bund, Oestreich an der Spitze. Mit Holland wird der Theil von
Westphalen vereinigt, der jenseit der Ems und Lippe liegt. Preußen erhält
bis dahin alle Länder von den Nordseeischen Küsten bis nach Memel, ganz
Niedersachsen und schwedisch-Pommern. An der Saale und in Franken tritt
es seine Provinzen an Sachsen und Baiern ab."

Trotz derartiger Ansichten hatte Cölln Verbindungen mit eifrigen Pa¬
trioten. Einer schreibt (N. Feuerbr., Heft 10, S. 103): "ich habe Nettelbeck
gesehen, gesprochen und nähme nicht zehntausend Thaler, wollte mir einer
jene halbe Stunde abkaufen, in der ich ihn besucht habe." Ein anderer sagt
in einem Artikel über die Landesvertheidigung durch einen Landsturm (ebend.
Heft 15, S. 69), wer bei der Rücksicht aus Preußens jetzige politische Lage
nur darauf sehe, daß es gegen zwei so mächtige Kolossalen, Frankreich und
Rußland, erst wieder aus den Ruinen hervorgehen solle, wer darum verzage,
Muth und Hoffnung verliere, daß Preußen je wieder ein selbstständiges Reich
werden könne, und gegen ihn und feine Vorschläge einwende, es könn? ja
doch nichts nützen, der führe ein Räsonnement, wie es feiner Lage am ge¬
mächlichsten sei und finde eher eine glücklichere Existenz in der Unterwerfung
und im Sclavenjoche, statt zu Anstrengungen sich verstehen zu wollen, die,
wenn sie auch nicht für ihn selbst vortheilhaft seien, doch seinen Nachkommen


hat von außen viel Schimmer, blendendes, lackirtes Wesen; dahinter ist Wurm¬
stiches Holz", obwohl wir bei anderer Gelegenheit erfahren, daß er bis zur
Jenaischen Katastrophe voll Vertrauen auf die Kriegstüchtigkeit der preußi¬
schen Armee war (Jntelligenzbl. zu den N. Feuerbr. Bd. 2, Ur. 16, Sy. 127).
Daß er bei der Herausgabe seiner Schriften nicht von einem bestimmten pa¬
triotischen Zweck geleitet war, geht schon daraus hervor, daß er in Bezug
auf sie sagt (Jntelligenzbl. zu den N. Feuerbr. Bd. 2, Ur. 44, Sy. 345),
er halte es für sehr einseitig und egoistisch von einem Redacteur gehandelt,
wenn er nur Aufsätze in sein Journal aufnehme, die mit seinen Grundsätzen
übereinstimmen; ein Journal, welches für die Geschichte Materialien sammele,
müsse unparteiisch das pro und contra aufnehmen. Auch war Cölln denje¬
nigen politischen Anschauungen, welche Friedrich Buchholz vertrat, nicht fremd.
Er konnte England für den wahren Feind Preußens, Englands Meer¬
despotismus und „Subsidienangel" für die wahre Ursache seines Unglücks
erklären (vergl. a. V. Br. II., 20. Brief, S. 190). In den Friedensbedin¬
gungen, welche er den Continentalmächten zur Beilegung ihrer Feindschaft
vorschlägt (V. Br. II., 8. Brief, S. 69) setzt er als gelehriger Schüler Na¬
poleons fest: „in Deutschland sollen künftig nur Oestreich, Preußen, Baiern,
Sachsen und Württemberg existiren; unter diesen werden alle deutschen Pro¬
vinzen vertheilt und es eristirt kein Deutschland und kein deutscher Kaiser
mehr. Der Rheinbund wird cassirt; dagegen errichten jene fünf Mächte einen
deutschen Bund, Oestreich an der Spitze. Mit Holland wird der Theil von
Westphalen vereinigt, der jenseit der Ems und Lippe liegt. Preußen erhält
bis dahin alle Länder von den Nordseeischen Küsten bis nach Memel, ganz
Niedersachsen und schwedisch-Pommern. An der Saale und in Franken tritt
es seine Provinzen an Sachsen und Baiern ab."

Trotz derartiger Ansichten hatte Cölln Verbindungen mit eifrigen Pa¬
trioten. Einer schreibt (N. Feuerbr., Heft 10, S. 103): „ich habe Nettelbeck
gesehen, gesprochen und nähme nicht zehntausend Thaler, wollte mir einer
jene halbe Stunde abkaufen, in der ich ihn besucht habe." Ein anderer sagt
in einem Artikel über die Landesvertheidigung durch einen Landsturm (ebend.
Heft 15, S. 69), wer bei der Rücksicht aus Preußens jetzige politische Lage
nur darauf sehe, daß es gegen zwei so mächtige Kolossalen, Frankreich und
Rußland, erst wieder aus den Ruinen hervorgehen solle, wer darum verzage,
Muth und Hoffnung verliere, daß Preußen je wieder ein selbstständiges Reich
werden könne, und gegen ihn und feine Vorschläge einwende, es könn? ja
doch nichts nützen, der führe ein Räsonnement, wie es feiner Lage am ge¬
mächlichsten sei und finde eher eine glücklichere Existenz in der Unterwerfung
und im Sclavenjoche, statt zu Anstrengungen sich verstehen zu wollen, die,
wenn sie auch nicht für ihn selbst vortheilhaft seien, doch seinen Nachkommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/431>, abgerufen am 24.07.2024.