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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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in den Abgaben und Gesetzen und des Antagonismus zwischen den obersten
Behörden der verschiedenen Provinzen, Verbesserung des Zustandes der Fi¬
nanzen dadurch, daß man die Unterthanen, "ohne die Vorrechte der Stände
und noch viel weniger des Souverains zu beeinträchtigen," sich selbst belasten
läßt (N. Feuerbr., Heft 14, S. 138) sind die Forderungen und Rathschläge,
welche ganz im Sinne der von Stein in den Jahren 1807 und 1808 einge¬
führten oder vorbereiteten Reformen in Betreff der Verwaltungspolitik vor¬
gebracht werden (vergl. Cölln. Rechtfertig., S. 108 f.). Hinsichtlich der Armee
wird verlangt: Aushebung aller Waffenfähigen ohne Unterschied der Stände,
der Religion, des Vermögens, Beseitigung des militärischen Kastengeistes und
aller der Ursachen, welche in dem Officierstande einen dem bürgerlichen feind¬
lich entgegenstehenden ersten Stand erhielten; zu diesem Zwecke und zu son¬
stiger Verbesserung des Heeres Einführung einer Avancementsordnung, welche
statt der adligen Geburt und der Anciennität nur das Verdienst berücksichtigt,
und Ausschließung des Ausländers, sowie Abschaffung des Stocks, damit der
Soldatenstand vom gemeinen Mann an ein geehrter Stand werden könne.
"Nur dann, meint Cölln (V. Br. I., 9. Brief, S. 86), wenn Deutschland
in Masse aufstehen, wenn es alle Hindernisse gebrochen haben wird, die der
Entwicklungsfähigkeit seiner Einwohner im Wege sind, wenn alle Präroga¬
tiven, die nicht die Natur und das Verdienst dem Menschen verlieh, vernichtet
sein werden, nur dann kann es hoffen, mit Frankreich zu balanciren."

Das Verdienst, welches sich Cölln durch seine "Vertrauten Briefe" und
"Feuerbrände" erwarb, kann indeß, abgesehen von den darin hervortretenden
Widersprüchen, auch deßhalb nicht hoch angeschlagen werden, weil die Form
der Darstellung durchweg eine unedle ist und Flüchtigkeit verräth. Wie leicht¬
fertig er das Schriftstellern betrieb, geht u. A. aus einer Stelle der "Ver¬
trauten Briefe" (II., 2. Brief, S. 26 f.) hervor, wo er, der anonyme Her¬
ausgeber, von den Redacteuren des "Hausfreundes", Heinsius und von Cölln,
wie von fremden Personen spricht und von dem letzteren sagt, er sei als ein
heftiger, durchfallender Mann bekannt.

Mit Recht ist von den Zeitgenossen Collus auch der Umstand gerügt
worden, daß dem ersten Band der "Vertrauten Briefe" die Form gegeben
ist, als feien die Briefe vom Jahre 1786 an nach und nach verfaßt worden.
Wenn Cölln auch, wie er angibt (Jntelligenzbl. zu den N. Feuerbr., Bd. 2,
Ur. 45, Sy- 357) seit zwanzig Jahren von ihm gesammelte Materialien be¬
saß, als er im November 1806 an dem ersten Theile der "Vertrauten Briefe"
zu schreiben begann, so nahm er es doch mit der Wahrheit zu leicht, wenn
er die in jener Zeit ausgearbeiteten Briefe zurückdatirte und z. B. unter dem
Jahre 1799 schrieb (V. Br. I.. 18. Brief. S. 137): "Die jetzige preußische
Armee ist die des Hannibals in Capua. Von ihr erwarte ich nichts! Sie


in den Abgaben und Gesetzen und des Antagonismus zwischen den obersten
Behörden der verschiedenen Provinzen, Verbesserung des Zustandes der Fi¬
nanzen dadurch, daß man die Unterthanen, „ohne die Vorrechte der Stände
und noch viel weniger des Souverains zu beeinträchtigen," sich selbst belasten
läßt (N. Feuerbr., Heft 14, S. 138) sind die Forderungen und Rathschläge,
welche ganz im Sinne der von Stein in den Jahren 1807 und 1808 einge¬
führten oder vorbereiteten Reformen in Betreff der Verwaltungspolitik vor¬
gebracht werden (vergl. Cölln. Rechtfertig., S. 108 f.). Hinsichtlich der Armee
wird verlangt: Aushebung aller Waffenfähigen ohne Unterschied der Stände,
der Religion, des Vermögens, Beseitigung des militärischen Kastengeistes und
aller der Ursachen, welche in dem Officierstande einen dem bürgerlichen feind¬
lich entgegenstehenden ersten Stand erhielten; zu diesem Zwecke und zu son¬
stiger Verbesserung des Heeres Einführung einer Avancementsordnung, welche
statt der adligen Geburt und der Anciennität nur das Verdienst berücksichtigt,
und Ausschließung des Ausländers, sowie Abschaffung des Stocks, damit der
Soldatenstand vom gemeinen Mann an ein geehrter Stand werden könne.
„Nur dann, meint Cölln (V. Br. I., 9. Brief, S. 86), wenn Deutschland
in Masse aufstehen, wenn es alle Hindernisse gebrochen haben wird, die der
Entwicklungsfähigkeit seiner Einwohner im Wege sind, wenn alle Präroga¬
tiven, die nicht die Natur und das Verdienst dem Menschen verlieh, vernichtet
sein werden, nur dann kann es hoffen, mit Frankreich zu balanciren."

Das Verdienst, welches sich Cölln durch seine „Vertrauten Briefe" und
„Feuerbrände" erwarb, kann indeß, abgesehen von den darin hervortretenden
Widersprüchen, auch deßhalb nicht hoch angeschlagen werden, weil die Form
der Darstellung durchweg eine unedle ist und Flüchtigkeit verräth. Wie leicht¬
fertig er das Schriftstellern betrieb, geht u. A. aus einer Stelle der „Ver¬
trauten Briefe" (II., 2. Brief, S. 26 f.) hervor, wo er, der anonyme Her¬
ausgeber, von den Redacteuren des „Hausfreundes", Heinsius und von Cölln,
wie von fremden Personen spricht und von dem letzteren sagt, er sei als ein
heftiger, durchfallender Mann bekannt.

Mit Recht ist von den Zeitgenossen Collus auch der Umstand gerügt
worden, daß dem ersten Band der „Vertrauten Briefe" die Form gegeben
ist, als feien die Briefe vom Jahre 1786 an nach und nach verfaßt worden.
Wenn Cölln auch, wie er angibt (Jntelligenzbl. zu den N. Feuerbr., Bd. 2,
Ur. 45, Sy- 357) seit zwanzig Jahren von ihm gesammelte Materialien be¬
saß, als er im November 1806 an dem ersten Theile der „Vertrauten Briefe"
zu schreiben begann, so nahm er es doch mit der Wahrheit zu leicht, wenn
er die in jener Zeit ausgearbeiteten Briefe zurückdatirte und z. B. unter dem
Jahre 1799 schrieb (V. Br. I.. 18. Brief. S. 137): „Die jetzige preußische
Armee ist die des Hannibals in Capua. Von ihr erwarte ich nichts! Sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/430>, abgerufen am 24.07.2024.