Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dienste Englands am Morgen des 25. erhalten haben, England erhielt aber
keine officielle Antwort. Es wurde in dem Schreiben nur eine Ermäßigung
der Forderung von 6 Milliarden Kriegsentschädigung, über welche allein die
englische Regierung unterrichtet sei, gewünscht, "da beide Theile ein Interesse
daran hätten, daß die Entschädigungssumme nicht den Betrag übersteige, von
dem man vernünftiger Weise hoffen könne, daß er bezahlt werden kann."
Die Depesche wurde auch an Odo Russell nach Versailles telegraphirt, von
welchem dann die bekannte Antwort einging.*)

Nachdem einige Anfragen unbeschäftigter Unterhausmitglieder, wie wegen
der Entschädigungsansprüche für das durch den Krieg beschädigte englische
Eigenthum in Frankreich, welche die Kronjuristen nicht begründet fanden, und
über die Contreordre gegen den Rückzug der deutschen Truppen aus Frank¬
reich, beantwortet worden, fand am 31. März die Debatte über den Antrag
des übermüthigen Lord Cochrane statt: die Regierung möge angewiesen wer¬
den, im Interesse der Ruhe Europas ihre guten Dienste zur Geltung zu
bringen, um vor vollständiger Beendigung der Friedensverhandlungen von
der kaiserlich deutschen Regierung eine Milderung der strengen Bedingungen
zu erlangen, welche Frankreich auferlegt worden seien. Cochrane sowohl wie
auch Sir Henry Hoare, der Conservative wie der Radicale vollständige Fran¬
zosenfreunde, warfen in ihren Rückblicken aus den Krieg und die diplomati¬
schen Verhandlungen der Regierung vor, daß sie zu wenig Sympathie für
Frankreich bewiesen, daß sie, statt neutral zu bleiben, Bündnisse zwischen
Frankreich und Italien, Oestreich und Dänemark durch ihren Einspruch ver¬
hindert und solche Einrichtungen getroffen habe, daß ihre Vermittelung bei
den Friedensverhandlungen keine Wirkung haben konnte. Auch sie kamen wie
im Oberhause zu dem Schlüsse, die Regierung habe sich durch ihre Handlungs¬
weise vollständig isolirt.

Der Premierminister beantwortete die Vorwürfe und Angriffe in einer
langen Rede, die nicht nur als Vertheidigung, sondern wegen ihrer Enthül¬
lungen großes Aufsehen machte und namentlich in Oestreich übel aufgenommen



') Sie lautete: "Versailles, 26. Februar. Das Telegramm Ew. Lordschaft vom 24. d.
112/, Nachts bezüglich der Kriegsentschädigung wurde mir gestern Abend um 11 Uhr ausge¬
händigt, kurz nach meiner Rückkehr von einem Besuche im Hauptquartier des Kronprinzen, wo
ich vernommen hatte, daß die Kriegsentschädigung von sechs auf fünf Milliarden herabgesetzt
und von Herrn Thiers genehmigt worden war. Ich ziehe den Schluß, daß das Telegramm
Ew. Lordschaft durch den Grafen Bernstorff gestern früh hier eingetroffen ist; selbst aber
habe ich den Kanzler nicht sehen können; er ist zu sehr durch die französischen
Unterhändler in Anspruch genommen, um heute irgend Jemand empfangen zu können.
Die Unterhandlungen müssen vor Mitternacht geschlossen sein, denn dann endigt der Waffen¬
stillstand und die Feindseligkeiten werden wieder aufgenommen werden, wenn die Präliminarien
nicht angenommen find."

Dienste Englands am Morgen des 25. erhalten haben, England erhielt aber
keine officielle Antwort. Es wurde in dem Schreiben nur eine Ermäßigung
der Forderung von 6 Milliarden Kriegsentschädigung, über welche allein die
englische Regierung unterrichtet sei, gewünscht, „da beide Theile ein Interesse
daran hätten, daß die Entschädigungssumme nicht den Betrag übersteige, von
dem man vernünftiger Weise hoffen könne, daß er bezahlt werden kann."
Die Depesche wurde auch an Odo Russell nach Versailles telegraphirt, von
welchem dann die bekannte Antwort einging.*)

Nachdem einige Anfragen unbeschäftigter Unterhausmitglieder, wie wegen
der Entschädigungsansprüche für das durch den Krieg beschädigte englische
Eigenthum in Frankreich, welche die Kronjuristen nicht begründet fanden, und
über die Contreordre gegen den Rückzug der deutschen Truppen aus Frank¬
reich, beantwortet worden, fand am 31. März die Debatte über den Antrag
des übermüthigen Lord Cochrane statt: die Regierung möge angewiesen wer¬
den, im Interesse der Ruhe Europas ihre guten Dienste zur Geltung zu
bringen, um vor vollständiger Beendigung der Friedensverhandlungen von
der kaiserlich deutschen Regierung eine Milderung der strengen Bedingungen
zu erlangen, welche Frankreich auferlegt worden seien. Cochrane sowohl wie
auch Sir Henry Hoare, der Conservative wie der Radicale vollständige Fran¬
zosenfreunde, warfen in ihren Rückblicken aus den Krieg und die diplomati¬
schen Verhandlungen der Regierung vor, daß sie zu wenig Sympathie für
Frankreich bewiesen, daß sie, statt neutral zu bleiben, Bündnisse zwischen
Frankreich und Italien, Oestreich und Dänemark durch ihren Einspruch ver¬
hindert und solche Einrichtungen getroffen habe, daß ihre Vermittelung bei
den Friedensverhandlungen keine Wirkung haben konnte. Auch sie kamen wie
im Oberhause zu dem Schlüsse, die Regierung habe sich durch ihre Handlungs¬
weise vollständig isolirt.

Der Premierminister beantwortete die Vorwürfe und Angriffe in einer
langen Rede, die nicht nur als Vertheidigung, sondern wegen ihrer Enthül¬
lungen großes Aufsehen machte und namentlich in Oestreich übel aufgenommen



') Sie lautete: „Versailles, 26. Februar. Das Telegramm Ew. Lordschaft vom 24. d.
112/, Nachts bezüglich der Kriegsentschädigung wurde mir gestern Abend um 11 Uhr ausge¬
händigt, kurz nach meiner Rückkehr von einem Besuche im Hauptquartier des Kronprinzen, wo
ich vernommen hatte, daß die Kriegsentschädigung von sechs auf fünf Milliarden herabgesetzt
und von Herrn Thiers genehmigt worden war. Ich ziehe den Schluß, daß das Telegramm
Ew. Lordschaft durch den Grafen Bernstorff gestern früh hier eingetroffen ist; selbst aber
habe ich den Kanzler nicht sehen können; er ist zu sehr durch die französischen
Unterhändler in Anspruch genommen, um heute irgend Jemand empfangen zu können.
Die Unterhandlungen müssen vor Mitternacht geschlossen sein, denn dann endigt der Waffen¬
stillstand und die Feindseligkeiten werden wieder aufgenommen werden, wenn die Präliminarien
nicht angenommen find."
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126691"/>
            <p xml:id="ID_1250" prev="#ID_1249"> Dienste Englands am Morgen des 25. erhalten haben, England erhielt aber<lb/>
keine officielle Antwort. Es wurde in dem Schreiben nur eine Ermäßigung<lb/>
der Forderung von 6 Milliarden Kriegsentschädigung, über welche allein die<lb/>
englische Regierung unterrichtet sei, gewünscht, &#x201E;da beide Theile ein Interesse<lb/>
daran hätten, daß die Entschädigungssumme nicht den Betrag übersteige, von<lb/>
dem man vernünftiger Weise hoffen könne, daß er bezahlt werden kann."<lb/>
Die Depesche wurde auch an Odo Russell nach Versailles telegraphirt, von<lb/>
welchem dann die bekannte Antwort einging.*)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1251"> Nachdem einige Anfragen unbeschäftigter Unterhausmitglieder, wie wegen<lb/>
der Entschädigungsansprüche für das durch den Krieg beschädigte englische<lb/>
Eigenthum in Frankreich, welche die Kronjuristen nicht begründet fanden, und<lb/>
über die Contreordre gegen den Rückzug der deutschen Truppen aus Frank¬<lb/>
reich, beantwortet worden, fand am 31. März die Debatte über den Antrag<lb/>
des übermüthigen Lord Cochrane statt: die Regierung möge angewiesen wer¬<lb/>
den, im Interesse der Ruhe Europas ihre guten Dienste zur Geltung zu<lb/>
bringen, um vor vollständiger Beendigung der Friedensverhandlungen von<lb/>
der kaiserlich deutschen Regierung eine Milderung der strengen Bedingungen<lb/>
zu erlangen, welche Frankreich auferlegt worden seien. Cochrane sowohl wie<lb/>
auch Sir Henry Hoare, der Conservative wie der Radicale vollständige Fran¬<lb/>
zosenfreunde, warfen in ihren Rückblicken aus den Krieg und die diplomati¬<lb/>
schen Verhandlungen der Regierung vor, daß sie zu wenig Sympathie für<lb/>
Frankreich bewiesen, daß sie, statt neutral zu bleiben, Bündnisse zwischen<lb/>
Frankreich und Italien, Oestreich und Dänemark durch ihren Einspruch ver¬<lb/>
hindert und solche Einrichtungen getroffen habe, daß ihre Vermittelung bei<lb/>
den Friedensverhandlungen keine Wirkung haben konnte. Auch sie kamen wie<lb/>
im Oberhause zu dem Schlüsse, die Regierung habe sich durch ihre Handlungs¬<lb/>
weise vollständig isolirt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1252" next="#ID_1253"> Der Premierminister beantwortete die Vorwürfe und Angriffe in einer<lb/>
langen Rede, die nicht nur als Vertheidigung, sondern wegen ihrer Enthül¬<lb/>
lungen großes Aufsehen machte und namentlich in Oestreich übel aufgenommen</p><lb/>
            <note xml:id="FID_55" place="foot"> ') Sie lautete: &#x201E;Versailles, 26. Februar. Das Telegramm Ew. Lordschaft vom 24. d.<lb/>
112/, Nachts bezüglich der Kriegsentschädigung wurde mir gestern Abend um 11 Uhr ausge¬<lb/>
händigt, kurz nach meiner Rückkehr von einem Besuche im Hauptquartier des Kronprinzen, wo<lb/>
ich vernommen hatte, daß die Kriegsentschädigung von sechs auf fünf Milliarden herabgesetzt<lb/>
und von Herrn Thiers genehmigt worden war. Ich ziehe den Schluß, daß das Telegramm<lb/>
Ew. Lordschaft durch den Grafen Bernstorff gestern früh hier eingetroffen ist; selbst aber<lb/>
habe ich den Kanzler nicht sehen können; er ist zu sehr durch die französischen<lb/>
Unterhändler in Anspruch genommen, um heute irgend Jemand empfangen zu können.<lb/>
Die Unterhandlungen müssen vor Mitternacht geschlossen sein, denn dann endigt der Waffen¬<lb/>
stillstand und die Feindseligkeiten werden wieder aufgenommen werden, wenn die Präliminarien<lb/>
nicht angenommen find."</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0415] Dienste Englands am Morgen des 25. erhalten haben, England erhielt aber keine officielle Antwort. Es wurde in dem Schreiben nur eine Ermäßigung der Forderung von 6 Milliarden Kriegsentschädigung, über welche allein die englische Regierung unterrichtet sei, gewünscht, „da beide Theile ein Interesse daran hätten, daß die Entschädigungssumme nicht den Betrag übersteige, von dem man vernünftiger Weise hoffen könne, daß er bezahlt werden kann." Die Depesche wurde auch an Odo Russell nach Versailles telegraphirt, von welchem dann die bekannte Antwort einging.*) Nachdem einige Anfragen unbeschäftigter Unterhausmitglieder, wie wegen der Entschädigungsansprüche für das durch den Krieg beschädigte englische Eigenthum in Frankreich, welche die Kronjuristen nicht begründet fanden, und über die Contreordre gegen den Rückzug der deutschen Truppen aus Frank¬ reich, beantwortet worden, fand am 31. März die Debatte über den Antrag des übermüthigen Lord Cochrane statt: die Regierung möge angewiesen wer¬ den, im Interesse der Ruhe Europas ihre guten Dienste zur Geltung zu bringen, um vor vollständiger Beendigung der Friedensverhandlungen von der kaiserlich deutschen Regierung eine Milderung der strengen Bedingungen zu erlangen, welche Frankreich auferlegt worden seien. Cochrane sowohl wie auch Sir Henry Hoare, der Conservative wie der Radicale vollständige Fran¬ zosenfreunde, warfen in ihren Rückblicken aus den Krieg und die diplomati¬ schen Verhandlungen der Regierung vor, daß sie zu wenig Sympathie für Frankreich bewiesen, daß sie, statt neutral zu bleiben, Bündnisse zwischen Frankreich und Italien, Oestreich und Dänemark durch ihren Einspruch ver¬ hindert und solche Einrichtungen getroffen habe, daß ihre Vermittelung bei den Friedensverhandlungen keine Wirkung haben konnte. Auch sie kamen wie im Oberhause zu dem Schlüsse, die Regierung habe sich durch ihre Handlungs¬ weise vollständig isolirt. Der Premierminister beantwortete die Vorwürfe und Angriffe in einer langen Rede, die nicht nur als Vertheidigung, sondern wegen ihrer Enthül¬ lungen großes Aufsehen machte und namentlich in Oestreich übel aufgenommen ') Sie lautete: „Versailles, 26. Februar. Das Telegramm Ew. Lordschaft vom 24. d. 112/, Nachts bezüglich der Kriegsentschädigung wurde mir gestern Abend um 11 Uhr ausge¬ händigt, kurz nach meiner Rückkehr von einem Besuche im Hauptquartier des Kronprinzen, wo ich vernommen hatte, daß die Kriegsentschädigung von sechs auf fünf Milliarden herabgesetzt und von Herrn Thiers genehmigt worden war. Ich ziehe den Schluß, daß das Telegramm Ew. Lordschaft durch den Grafen Bernstorff gestern früh hier eingetroffen ist; selbst aber habe ich den Kanzler nicht sehen können; er ist zu sehr durch die französischen Unterhändler in Anspruch genommen, um heute irgend Jemand empfangen zu können. Die Unterhandlungen müssen vor Mitternacht geschlossen sein, denn dann endigt der Waffen¬ stillstand und die Feindseligkeiten werden wieder aufgenommen werden, wenn die Präliminarien nicht angenommen find."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/415
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/415>, abgerufen am 25.07.2024.