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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Herbert zog darauf seinen Antrag zurück. -- Gladstone konnte sehr wohl
behaupten, daß keiner der Kriegführenden Englands Einmischung wünsche,
nachdem Deutschland dieselbe zurückgewiesen. Auch war es trotz aller Be¬
mühungen hoher Persönlichkeiten und ungeachtet der Unterstützung einiger Kreise
der Finanzwelt in der Presse, besonders in Winkelblättern, nicht hinreichend
gelungen, durch Erzählung der haarsträubendsten Dinge über Grausamkeiten
der deutschen Truppen und Mittheilung von angeblichen Plänen Bismarcks
zur Unterdrückung Englands, Verbreitung von Carricaturen der schamlosesten
Art und Placaten, -- die Sympathien der mittleren und unteren Volks¬
classen in England für Deutschland in das Gegentheil zu verwandeln. Aber
die Mitglieder des Unterhauses trugen auch ihr Theil zur Verbreitung der
Aufregung bei, indem sie sich bei jeder Gelegenheit die Anmaßung zu Schul¬
den kommen ließen, als müsse England Schiedsrichter der ganzen Welt sein.
Da macht ihnen das Gerücht von einem Vertrage zwischen Rußland und
Preußen Unruhe und Gerüchte von Plünderungen der Deutschen in Frank¬
reich; sie tadeln die Haltung der Regierung, die ihnen nicht energisch genug
einzuwirken scheint. Die 14 Actenstücke über die Versenkung englischer Schiffe
bei Duclair konnten nicht zu demselben Zweck ausgebeutet werden, da dieselben
zugleich die Erledigung der Sache in materieller Weise enthielten oder doch
in Aussicht stellten.

Sobald dagegen die Friedenspräliminarien bekannt geworden, war ein
reicher Stoff für die Raisonnements gegeben. Die Journale eiferten "sehr
hart, zu hart!" die Parlamentsmitglieder folgten bald nach. Lord Cochrane
hatte schon im Februar von der Regierung verlangt, sie solle den Einzug der
deutschen Truppen in Paris mit allen Kräften zu verhindern suchen; es sei
zu bedauern, daß dieselbe solchen ungemessenen Uebermuth nicht energisch zu¬
rückwies. Sie erklärte gegen Ottway, die Attaches Hozier und Walker seien
angewiesen, die deutsche Armee bei irgend einem Triumphzuge nach Paris
nicht zu begleiten. Demselben Interpellanten gab Lord Enfield über die Hal¬
tung Englands bei Feststellung der Präliminarien Auskunft: Die englische
Regierung habe, nachdem sie durch den eben angekommenen Botschafter von
den Wünschen Frankreichs benachrichtigt worden, am 24. Februar eine ent¬
sprechende Depesche an Lord Loftus in Berlin gerichtet und dieselbe dem
Grafen Bernstorff mit der Bitte mitgetheilt, ihren Inhalt an Bismarck zu
telegraphiren.*) Enfield glaubte, Bismarck dürfte das Anerbieten der guten



Die große Bereitwilligkeit, für Frankreich etwas zu thun, ging daraus recht klar hervor,
daß während der Herzog von Broglie am 24. Februar Morgens in London erst angekommen
war, um lO'/z Granville schon eine Zusammenkunft mit ihm hatte, ihn um N/2 ^br der
Königin vorstellte, gleich darauf das von demselben gestellte Verlangen einem eigens einbe¬
rufenen Cabinetsrathe unterbreitete und den darin gefaßten Beschluß sofort nach Berlin be¬
förderte.

Herbert zog darauf seinen Antrag zurück. — Gladstone konnte sehr wohl
behaupten, daß keiner der Kriegführenden Englands Einmischung wünsche,
nachdem Deutschland dieselbe zurückgewiesen. Auch war es trotz aller Be¬
mühungen hoher Persönlichkeiten und ungeachtet der Unterstützung einiger Kreise
der Finanzwelt in der Presse, besonders in Winkelblättern, nicht hinreichend
gelungen, durch Erzählung der haarsträubendsten Dinge über Grausamkeiten
der deutschen Truppen und Mittheilung von angeblichen Plänen Bismarcks
zur Unterdrückung Englands, Verbreitung von Carricaturen der schamlosesten
Art und Placaten, — die Sympathien der mittleren und unteren Volks¬
classen in England für Deutschland in das Gegentheil zu verwandeln. Aber
die Mitglieder des Unterhauses trugen auch ihr Theil zur Verbreitung der
Aufregung bei, indem sie sich bei jeder Gelegenheit die Anmaßung zu Schul¬
den kommen ließen, als müsse England Schiedsrichter der ganzen Welt sein.
Da macht ihnen das Gerücht von einem Vertrage zwischen Rußland und
Preußen Unruhe und Gerüchte von Plünderungen der Deutschen in Frank¬
reich; sie tadeln die Haltung der Regierung, die ihnen nicht energisch genug
einzuwirken scheint. Die 14 Actenstücke über die Versenkung englischer Schiffe
bei Duclair konnten nicht zu demselben Zweck ausgebeutet werden, da dieselben
zugleich die Erledigung der Sache in materieller Weise enthielten oder doch
in Aussicht stellten.

Sobald dagegen die Friedenspräliminarien bekannt geworden, war ein
reicher Stoff für die Raisonnements gegeben. Die Journale eiferten „sehr
hart, zu hart!" die Parlamentsmitglieder folgten bald nach. Lord Cochrane
hatte schon im Februar von der Regierung verlangt, sie solle den Einzug der
deutschen Truppen in Paris mit allen Kräften zu verhindern suchen; es sei
zu bedauern, daß dieselbe solchen ungemessenen Uebermuth nicht energisch zu¬
rückwies. Sie erklärte gegen Ottway, die Attaches Hozier und Walker seien
angewiesen, die deutsche Armee bei irgend einem Triumphzuge nach Paris
nicht zu begleiten. Demselben Interpellanten gab Lord Enfield über die Hal¬
tung Englands bei Feststellung der Präliminarien Auskunft: Die englische
Regierung habe, nachdem sie durch den eben angekommenen Botschafter von
den Wünschen Frankreichs benachrichtigt worden, am 24. Februar eine ent¬
sprechende Depesche an Lord Loftus in Berlin gerichtet und dieselbe dem
Grafen Bernstorff mit der Bitte mitgetheilt, ihren Inhalt an Bismarck zu
telegraphiren.*) Enfield glaubte, Bismarck dürfte das Anerbieten der guten



Die große Bereitwilligkeit, für Frankreich etwas zu thun, ging daraus recht klar hervor,
daß während der Herzog von Broglie am 24. Februar Morgens in London erst angekommen
war, um lO'/z Granville schon eine Zusammenkunft mit ihm hatte, ihn um N/2 ^br der
Königin vorstellte, gleich darauf das von demselben gestellte Verlangen einem eigens einbe¬
rufenen Cabinetsrathe unterbreitete und den darin gefaßten Beschluß sofort nach Berlin be¬
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[0414] Herbert zog darauf seinen Antrag zurück. — Gladstone konnte sehr wohl behaupten, daß keiner der Kriegführenden Englands Einmischung wünsche, nachdem Deutschland dieselbe zurückgewiesen. Auch war es trotz aller Be¬ mühungen hoher Persönlichkeiten und ungeachtet der Unterstützung einiger Kreise der Finanzwelt in der Presse, besonders in Winkelblättern, nicht hinreichend gelungen, durch Erzählung der haarsträubendsten Dinge über Grausamkeiten der deutschen Truppen und Mittheilung von angeblichen Plänen Bismarcks zur Unterdrückung Englands, Verbreitung von Carricaturen der schamlosesten Art und Placaten, — die Sympathien der mittleren und unteren Volks¬ classen in England für Deutschland in das Gegentheil zu verwandeln. Aber die Mitglieder des Unterhauses trugen auch ihr Theil zur Verbreitung der Aufregung bei, indem sie sich bei jeder Gelegenheit die Anmaßung zu Schul¬ den kommen ließen, als müsse England Schiedsrichter der ganzen Welt sein. Da macht ihnen das Gerücht von einem Vertrage zwischen Rußland und Preußen Unruhe und Gerüchte von Plünderungen der Deutschen in Frank¬ reich; sie tadeln die Haltung der Regierung, die ihnen nicht energisch genug einzuwirken scheint. Die 14 Actenstücke über die Versenkung englischer Schiffe bei Duclair konnten nicht zu demselben Zweck ausgebeutet werden, da dieselben zugleich die Erledigung der Sache in materieller Weise enthielten oder doch in Aussicht stellten. Sobald dagegen die Friedenspräliminarien bekannt geworden, war ein reicher Stoff für die Raisonnements gegeben. Die Journale eiferten „sehr hart, zu hart!" die Parlamentsmitglieder folgten bald nach. Lord Cochrane hatte schon im Februar von der Regierung verlangt, sie solle den Einzug der deutschen Truppen in Paris mit allen Kräften zu verhindern suchen; es sei zu bedauern, daß dieselbe solchen ungemessenen Uebermuth nicht energisch zu¬ rückwies. Sie erklärte gegen Ottway, die Attaches Hozier und Walker seien angewiesen, die deutsche Armee bei irgend einem Triumphzuge nach Paris nicht zu begleiten. Demselben Interpellanten gab Lord Enfield über die Hal¬ tung Englands bei Feststellung der Präliminarien Auskunft: Die englische Regierung habe, nachdem sie durch den eben angekommenen Botschafter von den Wünschen Frankreichs benachrichtigt worden, am 24. Februar eine ent¬ sprechende Depesche an Lord Loftus in Berlin gerichtet und dieselbe dem Grafen Bernstorff mit der Bitte mitgetheilt, ihren Inhalt an Bismarck zu telegraphiren.*) Enfield glaubte, Bismarck dürfte das Anerbieten der guten Die große Bereitwilligkeit, für Frankreich etwas zu thun, ging daraus recht klar hervor, daß während der Herzog von Broglie am 24. Februar Morgens in London erst angekommen war, um lO'/z Granville schon eine Zusammenkunft mit ihm hatte, ihn um N/2 ^br der Königin vorstellte, gleich darauf das von demselben gestellte Verlangen einem eigens einbe¬ rufenen Cabinetsrathe unterbreitete und den darin gefaßten Beschluß sofort nach Berlin be¬ förderte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/414>, abgerufen am 25.07.2024.