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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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werden mußte, obwohl sie im Uebrigen versöhnlicher Art war. Auf die
Ansicht Cochranes, man hätte in den Tagen vor dem wirklichen Ausbruche
des Krieges die Mißbilligung über Frankreichs Gebühren stärker zum Aus¬
drucke bringen müssen, gab Gladstone zu bedenken, wie schwer es sei, in der
angegebenen Weise seinen Gefühlen Luft zu machen, ohne großes Unheil an¬
zurichten. Wenn das ganze Parlament auch nach Kräften gegen den Krieg
geeifert hätte, fo wäre derselbe doch nicht abzuwenden gewesen, denn in der
Hitze der Leidenschaft seien Großmächte nicht sonderlich geneigt, auf neutrale
Meinungsäußerungen zu hören. Die Negierung habe amtlich ihre Ansicht
zum Ausdruck gebracht, Frankreich habe bezüglich der unmittelbaren Ursache
des Krieges Unrecht, was auch von den späteren Machthabern anerkannt
worden sei. "Indessen trotz der entschiedenen Ansicht über die unmittelbare
Ursache zum Kriege konnten wir doch nicht die Erinnerung an die lange und
freundliche Allianz verwischen, welche zwischen Frankreich und uns bestanden
hatte. Hinsichtlich Deutschlands hatten wir unsertwegen nicht nur keine Ver¬
anlassung zur Entfremdung, sondern im Gegentheil allen Grund und volle
Neigung (?), die intimsten und freundlichsten Beziehungen mit ihm zu pflegen.
Während wir aber mit herzlicher Theilnahme zum Theil nur wegen der be¬
sonderen hierbei gebrauchten Mittel, welche uns wenig angingen, auf die
Vorgänge blickten, welche Deutschland durch die Einheit Stärke verliehen, so
hatten wir doch auf der andern Seite sicher nicht die angenehmste Erinnerung
an den Streit mit Dänemark, und über alles dieses hinaus kam noch der
Umstand, daß beim Ausbruch des Krieges durch die sonderbare (!) und be¬
unruhigende Enthüllung des sog. Benedetti-Vertrages eine Unklarheit über
die ganze Angelegenheit verbreitet wurde, welche uns vor Allem an die Noth¬
wendigkeit mahnte, auf unserer Hut zu sein." Bezüglich des angeblichen
Bündnißversuches zwischen Frankreich und Italien sowie mit Oestreich, der
durch England verhindert worden sein soll, habe es sich nicht um einen Ver¬
trag gehandelt, dem Italien gern beigetreten wäre, sondern um eine Mög¬
lichkeit, daß man Italien ein solches Bündniß abgedrungen habe. "Oestreich
wurde allerdings," fährt der Premier fort, "von Lord Granville gemahnt,
daß Umstände vorlagen oder doch als vorliegend angenommen würden, welche
einen Verdacht auf seine Neutralität werfen könnten. Unter welchen Ver¬
hältnissen wurde aber diese Warnung an Oestreich gerichtet? Unter den fol¬
genden: Wir waren über eine gewisse Neigung auf Seiten Oestreichs im
Klaren, zwar nicht allein handelnd aufzutreten, aber im Falle sich die Ereig¬
nisse günstig (!) gestalten sollten, sich an Frankreich anzulehnen. Wir wußten
aber auch, daß das erste Anzeichen einer entschiedenen Absicht in dieser Richtung,
Rußland auf Seiten Deutschlands in den Kampf geführt hätte. War das nicht
eine höchst furchtbare Möglichkeit für Europa? War es nicht die Pflicht Lord


werden mußte, obwohl sie im Uebrigen versöhnlicher Art war. Auf die
Ansicht Cochranes, man hätte in den Tagen vor dem wirklichen Ausbruche
des Krieges die Mißbilligung über Frankreichs Gebühren stärker zum Aus¬
drucke bringen müssen, gab Gladstone zu bedenken, wie schwer es sei, in der
angegebenen Weise seinen Gefühlen Luft zu machen, ohne großes Unheil an¬
zurichten. Wenn das ganze Parlament auch nach Kräften gegen den Krieg
geeifert hätte, fo wäre derselbe doch nicht abzuwenden gewesen, denn in der
Hitze der Leidenschaft seien Großmächte nicht sonderlich geneigt, auf neutrale
Meinungsäußerungen zu hören. Die Negierung habe amtlich ihre Ansicht
zum Ausdruck gebracht, Frankreich habe bezüglich der unmittelbaren Ursache
des Krieges Unrecht, was auch von den späteren Machthabern anerkannt
worden sei. „Indessen trotz der entschiedenen Ansicht über die unmittelbare
Ursache zum Kriege konnten wir doch nicht die Erinnerung an die lange und
freundliche Allianz verwischen, welche zwischen Frankreich und uns bestanden
hatte. Hinsichtlich Deutschlands hatten wir unsertwegen nicht nur keine Ver¬
anlassung zur Entfremdung, sondern im Gegentheil allen Grund und volle
Neigung (?), die intimsten und freundlichsten Beziehungen mit ihm zu pflegen.
Während wir aber mit herzlicher Theilnahme zum Theil nur wegen der be¬
sonderen hierbei gebrauchten Mittel, welche uns wenig angingen, auf die
Vorgänge blickten, welche Deutschland durch die Einheit Stärke verliehen, so
hatten wir doch auf der andern Seite sicher nicht die angenehmste Erinnerung
an den Streit mit Dänemark, und über alles dieses hinaus kam noch der
Umstand, daß beim Ausbruch des Krieges durch die sonderbare (!) und be¬
unruhigende Enthüllung des sog. Benedetti-Vertrages eine Unklarheit über
die ganze Angelegenheit verbreitet wurde, welche uns vor Allem an die Noth¬
wendigkeit mahnte, auf unserer Hut zu sein." Bezüglich des angeblichen
Bündnißversuches zwischen Frankreich und Italien sowie mit Oestreich, der
durch England verhindert worden sein soll, habe es sich nicht um einen Ver¬
trag gehandelt, dem Italien gern beigetreten wäre, sondern um eine Mög¬
lichkeit, daß man Italien ein solches Bündniß abgedrungen habe. „Oestreich
wurde allerdings," fährt der Premier fort, „von Lord Granville gemahnt,
daß Umstände vorlagen oder doch als vorliegend angenommen würden, welche
einen Verdacht auf seine Neutralität werfen könnten. Unter welchen Ver¬
hältnissen wurde aber diese Warnung an Oestreich gerichtet? Unter den fol¬
genden: Wir waren über eine gewisse Neigung auf Seiten Oestreichs im
Klaren, zwar nicht allein handelnd aufzutreten, aber im Falle sich die Ereig¬
nisse günstig (!) gestalten sollten, sich an Frankreich anzulehnen. Wir wußten
aber auch, daß das erste Anzeichen einer entschiedenen Absicht in dieser Richtung,
Rußland auf Seiten Deutschlands in den Kampf geführt hätte. War das nicht
eine höchst furchtbare Möglichkeit für Europa? War es nicht die Pflicht Lord


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/416>, abgerufen am 24.07.2024.