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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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frieden Bedenken der verschiedensten Art veranlaßte, denen man durch Inter¬
pellationen, die neben den Debatten über die Pontusfrage hergingen, Lust
machte. In der Sitzung vom 17. Februar klagte Mr. Herbert die Regie¬
rung an, gegen Frankreich die Rolle eines "Schadenstifters" gespielt zusahen,
denn sie habe die andern Neutralen verhindert, ihm zu Hülfe zu kommen.
Hätten die Neutralen (das ist eben Herberts Meinung) zusammengehandelt,
so würde der Friede schon längst hergestellt sein. Dies ergebe sich aus den
farblosen Seiten des Blaubuchs. Er wünscht nicht, daß das Land jetzt zu
den Waffen greife, sondern seine Ansicht über die großen Uebel, welche von
unmäßigen Forderungen kommen müssen, offen und gerade ausspreche; denn
eine gewaltsame Annexion von Ländergebiet sei nicht bloß eine unmäßige Be¬
dingung, sondern eine verderbliche Gabe für Deutschland selbst. Sein Antrag
ging dahin: "Das Haus ist der Meinung, daß es die Pflicht der Negierung
ist, im EinVerständniß mit den andern neutralen Mächten zu handeln, um
mäßigere Friedensbedingungen zu erlangen als die jetzigen, welche die Unab¬
hängigkeit Frankreichs beeinträchtigen oder die künftige Ruhe Europas be¬
drohen könnten." Sir Robert Peel bezeichnete vom Standpunkte des eng¬
lischen Interesses die Politik der Regierung als die der Vernichtung und
selbstsüchtigen Jsolirung. Sie habe die Erniedrigung des Charakters und
Credits von England zu Stande gebracht, so daß sich alle Welt seiner schäme.
-- Da kam aber über viele Mitglieder des Hauses das Gefühl, vielleicht dun¬
kel, aber dringlich, daß die Regierung nicht anders konnte, daß sie eben keinen
Einfluß mehr auszuüben Vermochte. So ward sie von vielen Seiten ver¬
theidigt und die Schuld der Lage lediglich den Franzosen beigemessen; diese
hätten, wie Cartwright und Lord Royston ausführten, selbst den Anstoß zur
Annexionspolitik gegeben, und müßten sich auf einen hohen Preis gefaßt
machen, da sie an ihrem Unglück selbst schuld wären. Mr. Horsman empfahl
die Zurückziehung der Resolution. Nach Sir H. Bulwer, Sir Hoare und
Cochrane nahm endlich Gladstone das Wort gegen Peels Borwurf der selbst¬
süchtigen Jsolirung. Vor Empfang der Gortschakoffschen Note sei der eng¬
lische Gesandte in Petersburg, laut einer Depesche des Blaubuchs, angewiesen
worden, dort Erkundigungen einzuziehen hinsichtlich der Möglichkeit einer ge¬
meinsamen Handlung mit Nußland; es sei dann das unerwartete Erscheinen
von Gortschakoffs Note hindernd in den Weg getreten, den Gedanken weiter
zu entwickeln. Die Intervention habe keiner der Kriegführenden verlangt, es
hielten vielmehr beide Theile das vorzeitige Anerbieten der guten Dienste für
schädlich. Er warnt das Haus, die Meinung Englands nicht zu überschätzen
(das ist deutlich!), denn die Stärke der Handlung der Neutralen bestehe
darin, daß sie alle repräsentirt würden. Die Friedensbedingungen seien eine
Angelegenheit aufmerksamer Theilnahme für die Neutralen u. s. w. Sir


frieden Bedenken der verschiedensten Art veranlaßte, denen man durch Inter¬
pellationen, die neben den Debatten über die Pontusfrage hergingen, Lust
machte. In der Sitzung vom 17. Februar klagte Mr. Herbert die Regie¬
rung an, gegen Frankreich die Rolle eines „Schadenstifters" gespielt zusahen,
denn sie habe die andern Neutralen verhindert, ihm zu Hülfe zu kommen.
Hätten die Neutralen (das ist eben Herberts Meinung) zusammengehandelt,
so würde der Friede schon längst hergestellt sein. Dies ergebe sich aus den
farblosen Seiten des Blaubuchs. Er wünscht nicht, daß das Land jetzt zu
den Waffen greife, sondern seine Ansicht über die großen Uebel, welche von
unmäßigen Forderungen kommen müssen, offen und gerade ausspreche; denn
eine gewaltsame Annexion von Ländergebiet sei nicht bloß eine unmäßige Be¬
dingung, sondern eine verderbliche Gabe für Deutschland selbst. Sein Antrag
ging dahin: „Das Haus ist der Meinung, daß es die Pflicht der Negierung
ist, im EinVerständniß mit den andern neutralen Mächten zu handeln, um
mäßigere Friedensbedingungen zu erlangen als die jetzigen, welche die Unab¬
hängigkeit Frankreichs beeinträchtigen oder die künftige Ruhe Europas be¬
drohen könnten." Sir Robert Peel bezeichnete vom Standpunkte des eng¬
lischen Interesses die Politik der Regierung als die der Vernichtung und
selbstsüchtigen Jsolirung. Sie habe die Erniedrigung des Charakters und
Credits von England zu Stande gebracht, so daß sich alle Welt seiner schäme.
— Da kam aber über viele Mitglieder des Hauses das Gefühl, vielleicht dun¬
kel, aber dringlich, daß die Regierung nicht anders konnte, daß sie eben keinen
Einfluß mehr auszuüben Vermochte. So ward sie von vielen Seiten ver¬
theidigt und die Schuld der Lage lediglich den Franzosen beigemessen; diese
hätten, wie Cartwright und Lord Royston ausführten, selbst den Anstoß zur
Annexionspolitik gegeben, und müßten sich auf einen hohen Preis gefaßt
machen, da sie an ihrem Unglück selbst schuld wären. Mr. Horsman empfahl
die Zurückziehung der Resolution. Nach Sir H. Bulwer, Sir Hoare und
Cochrane nahm endlich Gladstone das Wort gegen Peels Borwurf der selbst¬
süchtigen Jsolirung. Vor Empfang der Gortschakoffschen Note sei der eng¬
lische Gesandte in Petersburg, laut einer Depesche des Blaubuchs, angewiesen
worden, dort Erkundigungen einzuziehen hinsichtlich der Möglichkeit einer ge¬
meinsamen Handlung mit Nußland; es sei dann das unerwartete Erscheinen
von Gortschakoffs Note hindernd in den Weg getreten, den Gedanken weiter
zu entwickeln. Die Intervention habe keiner der Kriegführenden verlangt, es
hielten vielmehr beide Theile das vorzeitige Anerbieten der guten Dienste für
schädlich. Er warnt das Haus, die Meinung Englands nicht zu überschätzen
(das ist deutlich!), denn die Stärke der Handlung der Neutralen bestehe
darin, daß sie alle repräsentirt würden. Die Friedensbedingungen seien eine
Angelegenheit aufmerksamer Theilnahme für die Neutralen u. s. w. Sir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/413>, abgerufen am 25.07.2024.