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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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was er zu sagen hat, "gleichsam sein letzter Wille" und der Ausdruck seiner
"letzten Hoffnung zu seinem Volke" sein.

Arndt beginnt mit einer Gegenüberstellung der Begriffe des Realen und
des Idealen, die er in der Weise gebraucht, daß er das, was ist oder geschieht,
als das Reale, dagegen das Gefühl, womit es ist, und den Sinn, womit es
geschieht, als das wahrhaft Wirkliche oder Ideale bezeichnet. Ideal, sagt er,
ist alles, wo der Mensch sich in dem Allgemeinen vergißt und zu einem innig
mitfühlenden Theil der Welt und der Gottheit wird; real ist alles, wo der
Mensch das Ganze auf seine einzelne Nichtigkeit bezieht und Gott und die
Welt zu seinen kleinen Zwecken erniedrigt. Wer nicht sterben kann, wenn
Pflicht und Ehre ihn rufen, der ist der größte Realist, weil er an die ewige
Herrlichkeit des Menschengeschlechts keinen Glauben hat. Bei der Betrachtung
der Geschichte, heißt es weiter, erschließe sich sowohl dem auf das Ideale ge¬
richteten als dem in der Weise des Naturforschers ohne Haß und Liebe
prüfenden Blicke das Walten einer Nothwendigkeit. Aber ebenso gewiß trage
jeder Mensch in sich den Anspruch auf eine von jedem äußeren Zwange unab¬
hängige Selbstmacht, aus ein sittliches Vermögen, dessen bewußt er von Ehre
und Schande, Tugend und Laster, Güte und Bosheit spreche. Nur Feigheit
sei es, wenn jetzt die abscheuliche Lehre, die alle Menschenwürde und Männer¬
ehre ertödte, in Büchern, auf den Gassen, auf Kanzeln, in Palästen schamlos
verkündet und auf den Götzen Franzosen und den Götzen Bonaparte ange¬
wendet werde, daß in einzelnen 'Menschen etwas so Unwiderstehliches und
Schicksalgleiches walte, daß es eine Thorheit, ja wohl gar ein Verbrechen
sei, sich widersetzen zu wollen. Schicksalsrecht stehe im Kampfe mit einem
gleichgebornen Wesen jedem Menschen zu.

Die französische Revolution, die auch die europäische Revolution heißen
könnte, hat nach Arndt vorwiegend die Bedeutung einer geistigen, viel weni¬
ger die einer politischen Umwälzung. Für das endliche Ziel der durch sie
eingeleiteten geistigen Bewegung hält er Zurückführung der Verfassungen,
Sitten und Wissenschaften auf einfachere Gesetze, Einsetzung der Vernunft in
die während des achtzehnten Jahrhunderts von dem Verstände usurpirte oberste
Herrschaft, und dieses Ziel, meint er. werde erreicht werden ohne Universal¬
monarchien und Universalreligionen, deren Abscheulichkeit und Unsinn jeder
freie Mann verfluche. Denn nimmer werde Bonaparte der Zukunft gebieten,
der in seiner Zerstörungsthätigkeit zwar nach außen hin den schrecklichen
Dienst des Zeitalters thue, aber doch nur das Alte und Erbärmliche mit
neuem Glanz aufzufrischen und für Neues zu verkaufen suche und in nichts
die Kraft und den Sinn eines neuen Zeitalters zeige, wenn man ihn auch
nicht nach dem beurtheile, was er thue, sondern nur nach dem, was er mache
und einrichte.


was er zu sagen hat, „gleichsam sein letzter Wille" und der Ausdruck seiner
„letzten Hoffnung zu seinem Volke" sein.

Arndt beginnt mit einer Gegenüberstellung der Begriffe des Realen und
des Idealen, die er in der Weise gebraucht, daß er das, was ist oder geschieht,
als das Reale, dagegen das Gefühl, womit es ist, und den Sinn, womit es
geschieht, als das wahrhaft Wirkliche oder Ideale bezeichnet. Ideal, sagt er,
ist alles, wo der Mensch sich in dem Allgemeinen vergißt und zu einem innig
mitfühlenden Theil der Welt und der Gottheit wird; real ist alles, wo der
Mensch das Ganze auf seine einzelne Nichtigkeit bezieht und Gott und die
Welt zu seinen kleinen Zwecken erniedrigt. Wer nicht sterben kann, wenn
Pflicht und Ehre ihn rufen, der ist der größte Realist, weil er an die ewige
Herrlichkeit des Menschengeschlechts keinen Glauben hat. Bei der Betrachtung
der Geschichte, heißt es weiter, erschließe sich sowohl dem auf das Ideale ge¬
richteten als dem in der Weise des Naturforschers ohne Haß und Liebe
prüfenden Blicke das Walten einer Nothwendigkeit. Aber ebenso gewiß trage
jeder Mensch in sich den Anspruch auf eine von jedem äußeren Zwange unab¬
hängige Selbstmacht, aus ein sittliches Vermögen, dessen bewußt er von Ehre
und Schande, Tugend und Laster, Güte und Bosheit spreche. Nur Feigheit
sei es, wenn jetzt die abscheuliche Lehre, die alle Menschenwürde und Männer¬
ehre ertödte, in Büchern, auf den Gassen, auf Kanzeln, in Palästen schamlos
verkündet und auf den Götzen Franzosen und den Götzen Bonaparte ange¬
wendet werde, daß in einzelnen 'Menschen etwas so Unwiderstehliches und
Schicksalgleiches walte, daß es eine Thorheit, ja wohl gar ein Verbrechen
sei, sich widersetzen zu wollen. Schicksalsrecht stehe im Kampfe mit einem
gleichgebornen Wesen jedem Menschen zu.

Die französische Revolution, die auch die europäische Revolution heißen
könnte, hat nach Arndt vorwiegend die Bedeutung einer geistigen, viel weni¬
ger die einer politischen Umwälzung. Für das endliche Ziel der durch sie
eingeleiteten geistigen Bewegung hält er Zurückführung der Verfassungen,
Sitten und Wissenschaften auf einfachere Gesetze, Einsetzung der Vernunft in
die während des achtzehnten Jahrhunderts von dem Verstände usurpirte oberste
Herrschaft, und dieses Ziel, meint er. werde erreicht werden ohne Universal¬
monarchien und Universalreligionen, deren Abscheulichkeit und Unsinn jeder
freie Mann verfluche. Denn nimmer werde Bonaparte der Zukunft gebieten,
der in seiner Zerstörungsthätigkeit zwar nach außen hin den schrecklichen
Dienst des Zeitalters thue, aber doch nur das Alte und Erbärmliche mit
neuem Glanz aufzufrischen und für Neues zu verkaufen suche und in nichts
die Kraft und den Sinn eines neuen Zeitalters zeige, wenn man ihn auch
nicht nach dem beurtheile, was er thue, sondern nur nach dem, was er mache
und einrichte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/402>, abgerufen am 24.07.2024.