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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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In dem Folgenden wird von den Ursachen des Falls der deutschen Na¬
tion gehandelt. Dabei richtet sich Arndt hauptsächlich gegen die Schriftsteller.
Sie, sagt er, hätten uns zuerst verdorben. Der dumme und gutmüthige
Köhlerglaube selbst derjenigen, die zu den besseren gezählt worden seien, habe
die alte Lehre gepredigt, es sei gut, daß Deutschland so ein zerstückeltes Aller¬
lei von verschiedenen Staaten sei. Und solchen deutschen Schriftstellern, die
den französischen Waffen vorgearbeitet hätten, seien nun lügnerische und
schmeichlerische nachgefolgt, die durch Mißbrauch des Mittels der heiligsten
und geistigsten Mittheilung, des gedruckten Wortes zu Hochverräthern an der
Menschheit geworden seien. Wenn Schanden und Schimpfe genug begangen
und gelitten worden seien, wenn das Beschönigen nicht an der Zeit sei, so
mußten doch diejenigen, welche nach dem Einbrechen des nationalen Unglücks
Fehler und Verbrechen aufdeckten, offenbaren, daß sie für Tugend und Recht
glühen, und mußten für ein Volk schreiben im Sinne der gekränkten Würde
und des verletzten Stolzes dieses Volkes, aber nicht für das Hohngelächter
und den Spott des Pöbels ohne Vaterland, Tugend und Ehre.

Die Schaar der schädlichen Schriftsteller bestehe aber nicht bloß aus va¬
terlandslosen Spöttern und verrätherischen Ueberläufern, sondern es kämen
noch hinzu die gelehrten Bänkelsänger, von jeher eine deutsche Pest, die "mit
Vorder-, Hinter- und Mittelsätzen, ja womöglich mit Hinterhinter- und Vor¬
dervordersätzen" aus den schlimmsten Begebenheiten glückliche Fügungen für
das deutsche Volk zu machen verständen und als methodische Einschläferer und
gutherzige Deutler alle die, welche zum Widerstand aufrufen wollten, mit den
Worten: Mäßigung, Hoffnung, Glaube abzuweisen und als Schwärmer,
Stürmer, Enthusiasten darzustellen versuchten. So führe die Gemeinheit und
Schlechtigkeit oder doch die Mittelmäßigkeit in politischen Dingen das Wort,
die Großen und Virtuosen unserer Schriftsteller aber schwiegen furchtbar und
verderblich, da Alle ihre Stimme zu hören verlangten und erhöben sich nicht
einmal zum Adlerfluge, die Luft von dem widerlichen Gesindel zu reinigen.
Darum lägen sie denn auch mit in der allgemeinen Erniedrigung und Ver¬
höhnung ihres Volks.

Die Frage, was Napoleon mit den besiegten Nationen vorhabe, beant¬
wortet Arndt einfach so: er wolle, daß ein Herrscher und ein Herrscher¬
volk werde.. Zur Rettung Deutschlands kennt er nur einen Weg. Als
Oestreich und Preußen noch mächtig da standen, meint er, hätten sie im
großen Sinne nehmen sollen, ohne auf juristische Bedenklichkeiten zu achten,
die vor dem Gesetze der Politik d. h. vor den mit dem Charakter der Maje¬
stät den Herrschern auferlegten Pflichten gegenüber der Mitwelt und vor Allem
der Nachwelt zurückstehen müßten. Preußen hätte die Leitung des nördlichen,
Oestreich die des südlichen Deutschlands an sich bringen, die übrigen denk-


In dem Folgenden wird von den Ursachen des Falls der deutschen Na¬
tion gehandelt. Dabei richtet sich Arndt hauptsächlich gegen die Schriftsteller.
Sie, sagt er, hätten uns zuerst verdorben. Der dumme und gutmüthige
Köhlerglaube selbst derjenigen, die zu den besseren gezählt worden seien, habe
die alte Lehre gepredigt, es sei gut, daß Deutschland so ein zerstückeltes Aller¬
lei von verschiedenen Staaten sei. Und solchen deutschen Schriftstellern, die
den französischen Waffen vorgearbeitet hätten, seien nun lügnerische und
schmeichlerische nachgefolgt, die durch Mißbrauch des Mittels der heiligsten
und geistigsten Mittheilung, des gedruckten Wortes zu Hochverräthern an der
Menschheit geworden seien. Wenn Schanden und Schimpfe genug begangen
und gelitten worden seien, wenn das Beschönigen nicht an der Zeit sei, so
mußten doch diejenigen, welche nach dem Einbrechen des nationalen Unglücks
Fehler und Verbrechen aufdeckten, offenbaren, daß sie für Tugend und Recht
glühen, und mußten für ein Volk schreiben im Sinne der gekränkten Würde
und des verletzten Stolzes dieses Volkes, aber nicht für das Hohngelächter
und den Spott des Pöbels ohne Vaterland, Tugend und Ehre.

Die Schaar der schädlichen Schriftsteller bestehe aber nicht bloß aus va¬
terlandslosen Spöttern und verrätherischen Ueberläufern, sondern es kämen
noch hinzu die gelehrten Bänkelsänger, von jeher eine deutsche Pest, die „mit
Vorder-, Hinter- und Mittelsätzen, ja womöglich mit Hinterhinter- und Vor¬
dervordersätzen" aus den schlimmsten Begebenheiten glückliche Fügungen für
das deutsche Volk zu machen verständen und als methodische Einschläferer und
gutherzige Deutler alle die, welche zum Widerstand aufrufen wollten, mit den
Worten: Mäßigung, Hoffnung, Glaube abzuweisen und als Schwärmer,
Stürmer, Enthusiasten darzustellen versuchten. So führe die Gemeinheit und
Schlechtigkeit oder doch die Mittelmäßigkeit in politischen Dingen das Wort,
die Großen und Virtuosen unserer Schriftsteller aber schwiegen furchtbar und
verderblich, da Alle ihre Stimme zu hören verlangten und erhöben sich nicht
einmal zum Adlerfluge, die Luft von dem widerlichen Gesindel zu reinigen.
Darum lägen sie denn auch mit in der allgemeinen Erniedrigung und Ver¬
höhnung ihres Volks.

Die Frage, was Napoleon mit den besiegten Nationen vorhabe, beant¬
wortet Arndt einfach so: er wolle, daß ein Herrscher und ein Herrscher¬
volk werde.. Zur Rettung Deutschlands kennt er nur einen Weg. Als
Oestreich und Preußen noch mächtig da standen, meint er, hätten sie im
großen Sinne nehmen sollen, ohne auf juristische Bedenklichkeiten zu achten,
die vor dem Gesetze der Politik d. h. vor den mit dem Charakter der Maje¬
stät den Herrschern auferlegten Pflichten gegenüber der Mitwelt und vor Allem
der Nachwelt zurückstehen müßten. Preußen hätte die Leitung des nördlichen,
Oestreich die des südlichen Deutschlands an sich bringen, die übrigen denk-


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[0403] In dem Folgenden wird von den Ursachen des Falls der deutschen Na¬ tion gehandelt. Dabei richtet sich Arndt hauptsächlich gegen die Schriftsteller. Sie, sagt er, hätten uns zuerst verdorben. Der dumme und gutmüthige Köhlerglaube selbst derjenigen, die zu den besseren gezählt worden seien, habe die alte Lehre gepredigt, es sei gut, daß Deutschland so ein zerstückeltes Aller¬ lei von verschiedenen Staaten sei. Und solchen deutschen Schriftstellern, die den französischen Waffen vorgearbeitet hätten, seien nun lügnerische und schmeichlerische nachgefolgt, die durch Mißbrauch des Mittels der heiligsten und geistigsten Mittheilung, des gedruckten Wortes zu Hochverräthern an der Menschheit geworden seien. Wenn Schanden und Schimpfe genug begangen und gelitten worden seien, wenn das Beschönigen nicht an der Zeit sei, so mußten doch diejenigen, welche nach dem Einbrechen des nationalen Unglücks Fehler und Verbrechen aufdeckten, offenbaren, daß sie für Tugend und Recht glühen, und mußten für ein Volk schreiben im Sinne der gekränkten Würde und des verletzten Stolzes dieses Volkes, aber nicht für das Hohngelächter und den Spott des Pöbels ohne Vaterland, Tugend und Ehre. Die Schaar der schädlichen Schriftsteller bestehe aber nicht bloß aus va¬ terlandslosen Spöttern und verrätherischen Ueberläufern, sondern es kämen noch hinzu die gelehrten Bänkelsänger, von jeher eine deutsche Pest, die „mit Vorder-, Hinter- und Mittelsätzen, ja womöglich mit Hinterhinter- und Vor¬ dervordersätzen" aus den schlimmsten Begebenheiten glückliche Fügungen für das deutsche Volk zu machen verständen und als methodische Einschläferer und gutherzige Deutler alle die, welche zum Widerstand aufrufen wollten, mit den Worten: Mäßigung, Hoffnung, Glaube abzuweisen und als Schwärmer, Stürmer, Enthusiasten darzustellen versuchten. So führe die Gemeinheit und Schlechtigkeit oder doch die Mittelmäßigkeit in politischen Dingen das Wort, die Großen und Virtuosen unserer Schriftsteller aber schwiegen furchtbar und verderblich, da Alle ihre Stimme zu hören verlangten und erhöben sich nicht einmal zum Adlerfluge, die Luft von dem widerlichen Gesindel zu reinigen. Darum lägen sie denn auch mit in der allgemeinen Erniedrigung und Ver¬ höhnung ihres Volks. Die Frage, was Napoleon mit den besiegten Nationen vorhabe, beant¬ wortet Arndt einfach so: er wolle, daß ein Herrscher und ein Herrscher¬ volk werde.. Zur Rettung Deutschlands kennt er nur einen Weg. Als Oestreich und Preußen noch mächtig da standen, meint er, hätten sie im großen Sinne nehmen sollen, ohne auf juristische Bedenklichkeiten zu achten, die vor dem Gesetze der Politik d. h. vor den mit dem Charakter der Maje¬ stät den Herrschern auferlegten Pflichten gegenüber der Mitwelt und vor Allem der Nachwelt zurückstehen müßten. Preußen hätte die Leitung des nördlichen, Oestreich die des südlichen Deutschlands an sich bringen, die übrigen denk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/403>, abgerufen am 24.07.2024.