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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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kommen, daß man laut vor ganz Europa ausrufe, es sei zu seinem und unserm
Heile nothwendig, daß wir unter Aufsicht und Vormundschaft gestellt werden,
und so etwas beteten unsere eigenen langohrigten Thiere nach. Immer und
immer wieder kommt er auf den Gedanken zurück, der Jahre lang sein steter
Begleiter war, was der deutschen Nation noth thue, sei ein Mann, der zünden
und führen, der die Herzen mit Gott und mit deutscher Treue anblasen, der
die Flamme dahin werfen könne, wo es lodern werde. Nachdem er zur
Hebung des deutschen Narionalgesühls gesprochen, fährt er fort: "habe ich
stolz gesprochen? Nein. Man kann nie zu stolz sein, wenn andre uns ver¬
gessen oder gar verachten wollen." "Unsterbliche Sehnsucht nach Freiheit,
Standhaftigkeit, Würde und Hochsinn ziemt dem Gefallenen mehr als dem
Stehenden; auch die Thräne ziemt ihm über das Verlorene, aber nur damit
sein Herz heißer schlage und sein Haupt höher rage. Hört, hört! und klagt
und weint mit mir, auf daß ihr mit mir entbrennet und euch aufrichtet."
Seine Zuversicht ist. daß wie natürlich und leicht das Verderben gewesen
sei, so natürlich und leicht einst auch die Rettung sein werde. Das sei ein
schlechter Mann, der die Hoffnung verliere. Zwischen der Weichsel, der Adria,
den Alpen, dem Rhein, der Nordsee und Ostsee werde dereinst das deutsche
Volk frei und einträchtig wohnen, und seine verwandtesten Brüder, die Schweizer
und Niederländer, ohne welche es nicht sicher wohnen könne, in sich auf¬
nehmen. Herrschaft der Vernunft, ewiger Friede, Ein Gott, Ein König, Eine
Familie seien die Worte, die jetzt von Gelehrten und Umgekehrten, in Procla-
mationen und vom Katheder herab verkündet würden. Tausende täuschten
damit und ließen sich täuschen. Aber in die Wirklichkeit eingeführt würden
jene Worte jetzt nur soviel bedeuten als Despotismus, Pfaffenthum, Faulheit,
Tod aller Tugend und Kraft. Denn es gebe nur Ein irdisches Paradies,
welches heiße: Arbeit und Mühe, und Freude und Genuß nach Arbeit und
Mühe. Die Einheit in dem hohen Sinne des Worts, als Form des Voll¬
kommenen, könne nicht in niedrigen zusammenziehenden Banden und groben
Fesseln zum Ausdruck kommen, sondern nur in einer dereinstigen EinHerrschaft
der Vernunft als Erleuchterin und Erlöserin der künftigen Geschlechter.

Das vierte und letzte Stück mit der Ueberschrift: "Letztes Wort an
die Teutschen gesprochen im Herbst 1808" ist eingeleitet mit einem
"Fragment aus einem ungedruckten Trauerspiel Hermann" (welches in der
Sammlung der Gedichte fehlt). Der Titel: "letztes Wort" soll das, was
Arndt zu sagen gedenkt, nichtetwa als eine letzte Aeußerung vor ewigem Schweigen
bezeichnen -- Arndt fürchtet nur, daß dies der Sinn des Titels werden könnte,
wenn die Deutschen ihr entehrendes Joch geduldig tragen würden -- sondern
die Rede, die er seine letzte nennt, soll eine Zusammenfassung des Bedeutendsten


Grenzboten II. 1871. 5g

kommen, daß man laut vor ganz Europa ausrufe, es sei zu seinem und unserm
Heile nothwendig, daß wir unter Aufsicht und Vormundschaft gestellt werden,
und so etwas beteten unsere eigenen langohrigten Thiere nach. Immer und
immer wieder kommt er auf den Gedanken zurück, der Jahre lang sein steter
Begleiter war, was der deutschen Nation noth thue, sei ein Mann, der zünden
und führen, der die Herzen mit Gott und mit deutscher Treue anblasen, der
die Flamme dahin werfen könne, wo es lodern werde. Nachdem er zur
Hebung des deutschen Narionalgesühls gesprochen, fährt er fort: „habe ich
stolz gesprochen? Nein. Man kann nie zu stolz sein, wenn andre uns ver¬
gessen oder gar verachten wollen." „Unsterbliche Sehnsucht nach Freiheit,
Standhaftigkeit, Würde und Hochsinn ziemt dem Gefallenen mehr als dem
Stehenden; auch die Thräne ziemt ihm über das Verlorene, aber nur damit
sein Herz heißer schlage und sein Haupt höher rage. Hört, hört! und klagt
und weint mit mir, auf daß ihr mit mir entbrennet und euch aufrichtet."
Seine Zuversicht ist. daß wie natürlich und leicht das Verderben gewesen
sei, so natürlich und leicht einst auch die Rettung sein werde. Das sei ein
schlechter Mann, der die Hoffnung verliere. Zwischen der Weichsel, der Adria,
den Alpen, dem Rhein, der Nordsee und Ostsee werde dereinst das deutsche
Volk frei und einträchtig wohnen, und seine verwandtesten Brüder, die Schweizer
und Niederländer, ohne welche es nicht sicher wohnen könne, in sich auf¬
nehmen. Herrschaft der Vernunft, ewiger Friede, Ein Gott, Ein König, Eine
Familie seien die Worte, die jetzt von Gelehrten und Umgekehrten, in Procla-
mationen und vom Katheder herab verkündet würden. Tausende täuschten
damit und ließen sich täuschen. Aber in die Wirklichkeit eingeführt würden
jene Worte jetzt nur soviel bedeuten als Despotismus, Pfaffenthum, Faulheit,
Tod aller Tugend und Kraft. Denn es gebe nur Ein irdisches Paradies,
welches heiße: Arbeit und Mühe, und Freude und Genuß nach Arbeit und
Mühe. Die Einheit in dem hohen Sinne des Worts, als Form des Voll¬
kommenen, könne nicht in niedrigen zusammenziehenden Banden und groben
Fesseln zum Ausdruck kommen, sondern nur in einer dereinstigen EinHerrschaft
der Vernunft als Erleuchterin und Erlöserin der künftigen Geschlechter.

Das vierte und letzte Stück mit der Ueberschrift: „Letztes Wort an
die Teutschen gesprochen im Herbst 1808" ist eingeleitet mit einem
„Fragment aus einem ungedruckten Trauerspiel Hermann" (welches in der
Sammlung der Gedichte fehlt). Der Titel: „letztes Wort" soll das, was
Arndt zu sagen gedenkt, nichtetwa als eine letzte Aeußerung vor ewigem Schweigen
bezeichnen — Arndt fürchtet nur, daß dies der Sinn des Titels werden könnte,
wenn die Deutschen ihr entehrendes Joch geduldig tragen würden — sondern
die Rede, die er seine letzte nennt, soll eine Zusammenfassung des Bedeutendsten


Grenzboten II. 1871. 5g
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/401>, abgerufen am 25.07.2024.