Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von 1806, trotz seines Titels. Dieser erklärt sich aber dadurch, daß sie so
gehalten ist, daß sie sich mit einer zuversichtlichen Hoffnung auf eine bessere
Zukunft vertrug. Es heißt darin, was die Unentschlossenheit der preußischen
Feldherren in den ersten drei Wochen, was des Herzogs von Braunschweig
Verwundung und der kleinliche Neid einiger Generale verschuldet hätten, da¬
für hätten die Sieger der Schlacht bei Jena in der Beurtheilung ihrer Gegner
alle büßen lassen, und in diesen Ton hätten die Erklärer der Zeit, die Aus¬
rufer und Schriftsteller mehr als recht eingestimmt, indem sie den Franzosen
getreulich nachgeprahlt und nachgekrächzt hätten. Arndt sah das Kriegsge¬
tümmel in der Nähe und muß bestätigen, daß einzelne Schaaren von Flüch¬
tigen, von einen Fähndrich oder einem alten Unterofficier befehligt, umhergeirrt
seien, während Officiere mit Wagen und Gepäck, mit Pferden und Gold, auch
wohl mit Weibern und Kindern ihnen voranreisten und sich zu Verwandten
retteten. Auch hat er den Schrecken und die magische Behexung erlebt, welche
der Tag bei Jena bis hinter die stärksten Festungsmauern verbreitete. Aber
wer Wahrheit suche, sagt er, müsse Ehre von Schande sondern, auf daß Ehre
wieder auferstehe.

Das Bielersee sind ihm in der Zeit des "allgemeinen Unheils, das noch
nicht allgemeiner Aufstand deutscher Nation werden will", die Schmeicheleien
und Knechtsstimmen deutscher Herren, deutscher Männer und Schriftsteller,
die "von der Großmuth, dem unermeßlichen Genie, den hohen Ansichten des
Mannes von europäischer Verfassung die Backen voll haben". Nachdem die
alten Einrichtungen Deutschlands unwiderruflich zerstört sind, kann er das
Heil nur von einer gänzlichen Neugestaltung erwarten. Deutschlands Grenzen
lägen wie ein niedergetretener Zaun da, über den die freche Sau in den
schönen Garten gedrungen sei und stets aufs neue ihren Weg finden werde,
wenn nicht gründlich abgeholfen werde. Dazu sei nicht nothwendig, daß die
kleinen deutschen Fürsten vernichtet würden, aber gehorchen lernen müßten
sie den beiden größeren deutschen Herrschern für das Vaterland, wie sie jetzt
dem Fremden gehorchten gegen das Vaterland. Die deutschen Männer, die
mitziehen zur Unterdrückung, die mithelfen zur Schändung des Vaterlands,
werden ermahnt, die Zeit zu erkennen. Es sei ja nichts übrig von der alten
Zeit und ihren Verhältnissen, es fechte ja der Sachse nicht gegen den Branden¬
burger, der Oesterreicher nicht gegen den Preußen und Baiern; es sei ja nicht
der kleine Streit um einige Aemter und Städte, es sei der große um ewige
Ehre und ewige Schmach.

Das dritte Stück ist betitelt: "Friedensrede eines Deutschen
gesprochen den 13. Juli 1807." Auch der Abschluß des Friedens zu
Tilsit vermochte nicht die zähe Widerstandskraft Arndts zu schwächen und
seine Ueberzeugungstreue zu erschüttern. Dahin, sagt er, sei es mit uns ge-


von 1806, trotz seines Titels. Dieser erklärt sich aber dadurch, daß sie so
gehalten ist, daß sie sich mit einer zuversichtlichen Hoffnung auf eine bessere
Zukunft vertrug. Es heißt darin, was die Unentschlossenheit der preußischen
Feldherren in den ersten drei Wochen, was des Herzogs von Braunschweig
Verwundung und der kleinliche Neid einiger Generale verschuldet hätten, da¬
für hätten die Sieger der Schlacht bei Jena in der Beurtheilung ihrer Gegner
alle büßen lassen, und in diesen Ton hätten die Erklärer der Zeit, die Aus¬
rufer und Schriftsteller mehr als recht eingestimmt, indem sie den Franzosen
getreulich nachgeprahlt und nachgekrächzt hätten. Arndt sah das Kriegsge¬
tümmel in der Nähe und muß bestätigen, daß einzelne Schaaren von Flüch¬
tigen, von einen Fähndrich oder einem alten Unterofficier befehligt, umhergeirrt
seien, während Officiere mit Wagen und Gepäck, mit Pferden und Gold, auch
wohl mit Weibern und Kindern ihnen voranreisten und sich zu Verwandten
retteten. Auch hat er den Schrecken und die magische Behexung erlebt, welche
der Tag bei Jena bis hinter die stärksten Festungsmauern verbreitete. Aber
wer Wahrheit suche, sagt er, müsse Ehre von Schande sondern, auf daß Ehre
wieder auferstehe.

Das Bielersee sind ihm in der Zeit des „allgemeinen Unheils, das noch
nicht allgemeiner Aufstand deutscher Nation werden will", die Schmeicheleien
und Knechtsstimmen deutscher Herren, deutscher Männer und Schriftsteller,
die „von der Großmuth, dem unermeßlichen Genie, den hohen Ansichten des
Mannes von europäischer Verfassung die Backen voll haben". Nachdem die
alten Einrichtungen Deutschlands unwiderruflich zerstört sind, kann er das
Heil nur von einer gänzlichen Neugestaltung erwarten. Deutschlands Grenzen
lägen wie ein niedergetretener Zaun da, über den die freche Sau in den
schönen Garten gedrungen sei und stets aufs neue ihren Weg finden werde,
wenn nicht gründlich abgeholfen werde. Dazu sei nicht nothwendig, daß die
kleinen deutschen Fürsten vernichtet würden, aber gehorchen lernen müßten
sie den beiden größeren deutschen Herrschern für das Vaterland, wie sie jetzt
dem Fremden gehorchten gegen das Vaterland. Die deutschen Männer, die
mitziehen zur Unterdrückung, die mithelfen zur Schändung des Vaterlands,
werden ermahnt, die Zeit zu erkennen. Es sei ja nichts übrig von der alten
Zeit und ihren Verhältnissen, es fechte ja der Sachse nicht gegen den Branden¬
burger, der Oesterreicher nicht gegen den Preußen und Baiern; es sei ja nicht
der kleine Streit um einige Aemter und Städte, es sei der große um ewige
Ehre und ewige Schmach.

Das dritte Stück ist betitelt: „Friedensrede eines Deutschen
gesprochen den 13. Juli 1807." Auch der Abschluß des Friedens zu
Tilsit vermochte nicht die zähe Widerstandskraft Arndts zu schwächen und
seine Ueberzeugungstreue zu erschüttern. Dahin, sagt er, sei es mit uns ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126676"/>
            <p xml:id="ID_1214" prev="#ID_1213"> von 1806, trotz seines Titels. Dieser erklärt sich aber dadurch, daß sie so<lb/>
gehalten ist, daß sie sich mit einer zuversichtlichen Hoffnung auf eine bessere<lb/>
Zukunft vertrug. Es heißt darin, was die Unentschlossenheit der preußischen<lb/>
Feldherren in den ersten drei Wochen, was des Herzogs von Braunschweig<lb/>
Verwundung und der kleinliche Neid einiger Generale verschuldet hätten, da¬<lb/>
für hätten die Sieger der Schlacht bei Jena in der Beurtheilung ihrer Gegner<lb/>
alle büßen lassen, und in diesen Ton hätten die Erklärer der Zeit, die Aus¬<lb/>
rufer und Schriftsteller mehr als recht eingestimmt, indem sie den Franzosen<lb/>
getreulich nachgeprahlt und nachgekrächzt hätten. Arndt sah das Kriegsge¬<lb/>
tümmel in der Nähe und muß bestätigen, daß einzelne Schaaren von Flüch¬<lb/>
tigen, von einen Fähndrich oder einem alten Unterofficier befehligt, umhergeirrt<lb/>
seien, während Officiere mit Wagen und Gepäck, mit Pferden und Gold, auch<lb/>
wohl mit Weibern und Kindern ihnen voranreisten und sich zu Verwandten<lb/>
retteten. Auch hat er den Schrecken und die magische Behexung erlebt, welche<lb/>
der Tag bei Jena bis hinter die stärksten Festungsmauern verbreitete. Aber<lb/>
wer Wahrheit suche, sagt er, müsse Ehre von Schande sondern, auf daß Ehre<lb/>
wieder auferstehe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1215"> Das Bielersee sind ihm in der Zeit des &#x201E;allgemeinen Unheils, das noch<lb/>
nicht allgemeiner Aufstand deutscher Nation werden will", die Schmeicheleien<lb/>
und Knechtsstimmen deutscher Herren, deutscher Männer und Schriftsteller,<lb/>
die &#x201E;von der Großmuth, dem unermeßlichen Genie, den hohen Ansichten des<lb/>
Mannes von europäischer Verfassung die Backen voll haben". Nachdem die<lb/>
alten Einrichtungen Deutschlands unwiderruflich zerstört sind, kann er das<lb/>
Heil nur von einer gänzlichen Neugestaltung erwarten. Deutschlands Grenzen<lb/>
lägen wie ein niedergetretener Zaun da, über den die freche Sau in den<lb/>
schönen Garten gedrungen sei und stets aufs neue ihren Weg finden werde,<lb/>
wenn nicht gründlich abgeholfen werde. Dazu sei nicht nothwendig, daß die<lb/>
kleinen deutschen Fürsten vernichtet würden, aber gehorchen lernen müßten<lb/>
sie den beiden größeren deutschen Herrschern für das Vaterland, wie sie jetzt<lb/>
dem Fremden gehorchten gegen das Vaterland. Die deutschen Männer, die<lb/>
mitziehen zur Unterdrückung, die mithelfen zur Schändung des Vaterlands,<lb/>
werden ermahnt, die Zeit zu erkennen. Es sei ja nichts übrig von der alten<lb/>
Zeit und ihren Verhältnissen, es fechte ja der Sachse nicht gegen den Branden¬<lb/>
burger, der Oesterreicher nicht gegen den Preußen und Baiern; es sei ja nicht<lb/>
der kleine Streit um einige Aemter und Städte, es sei der große um ewige<lb/>
Ehre und ewige Schmach.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1216" next="#ID_1217"> Das dritte Stück ist betitelt: &#x201E;Friedensrede eines Deutschen<lb/>
gesprochen den 13. Juli 1807." Auch der Abschluß des Friedens zu<lb/>
Tilsit vermochte nicht die zähe Widerstandskraft Arndts zu schwächen und<lb/>
seine Ueberzeugungstreue zu erschüttern. Dahin, sagt er, sei es mit uns ge-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] von 1806, trotz seines Titels. Dieser erklärt sich aber dadurch, daß sie so gehalten ist, daß sie sich mit einer zuversichtlichen Hoffnung auf eine bessere Zukunft vertrug. Es heißt darin, was die Unentschlossenheit der preußischen Feldherren in den ersten drei Wochen, was des Herzogs von Braunschweig Verwundung und der kleinliche Neid einiger Generale verschuldet hätten, da¬ für hätten die Sieger der Schlacht bei Jena in der Beurtheilung ihrer Gegner alle büßen lassen, und in diesen Ton hätten die Erklärer der Zeit, die Aus¬ rufer und Schriftsteller mehr als recht eingestimmt, indem sie den Franzosen getreulich nachgeprahlt und nachgekrächzt hätten. Arndt sah das Kriegsge¬ tümmel in der Nähe und muß bestätigen, daß einzelne Schaaren von Flüch¬ tigen, von einen Fähndrich oder einem alten Unterofficier befehligt, umhergeirrt seien, während Officiere mit Wagen und Gepäck, mit Pferden und Gold, auch wohl mit Weibern und Kindern ihnen voranreisten und sich zu Verwandten retteten. Auch hat er den Schrecken und die magische Behexung erlebt, welche der Tag bei Jena bis hinter die stärksten Festungsmauern verbreitete. Aber wer Wahrheit suche, sagt er, müsse Ehre von Schande sondern, auf daß Ehre wieder auferstehe. Das Bielersee sind ihm in der Zeit des „allgemeinen Unheils, das noch nicht allgemeiner Aufstand deutscher Nation werden will", die Schmeicheleien und Knechtsstimmen deutscher Herren, deutscher Männer und Schriftsteller, die „von der Großmuth, dem unermeßlichen Genie, den hohen Ansichten des Mannes von europäischer Verfassung die Backen voll haben". Nachdem die alten Einrichtungen Deutschlands unwiderruflich zerstört sind, kann er das Heil nur von einer gänzlichen Neugestaltung erwarten. Deutschlands Grenzen lägen wie ein niedergetretener Zaun da, über den die freche Sau in den schönen Garten gedrungen sei und stets aufs neue ihren Weg finden werde, wenn nicht gründlich abgeholfen werde. Dazu sei nicht nothwendig, daß die kleinen deutschen Fürsten vernichtet würden, aber gehorchen lernen müßten sie den beiden größeren deutschen Herrschern für das Vaterland, wie sie jetzt dem Fremden gehorchten gegen das Vaterland. Die deutschen Männer, die mitziehen zur Unterdrückung, die mithelfen zur Schändung des Vaterlands, werden ermahnt, die Zeit zu erkennen. Es sei ja nichts übrig von der alten Zeit und ihren Verhältnissen, es fechte ja der Sachse nicht gegen den Branden¬ burger, der Oesterreicher nicht gegen den Preußen und Baiern; es sei ja nicht der kleine Streit um einige Aemter und Städte, es sei der große um ewige Ehre und ewige Schmach. Das dritte Stück ist betitelt: „Friedensrede eines Deutschen gesprochen den 13. Juli 1807." Auch der Abschluß des Friedens zu Tilsit vermochte nicht die zähe Widerstandskraft Arndts zu schwächen und seine Ueberzeugungstreue zu erschüttern. Dahin, sagt er, sei es mit uns ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/400>, abgerufen am 25.07.2024.