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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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zwischen beiden befangen gewesen seien. Ein so bethörtes und so bethörendes
Volk, wie sie, könne keinen frischen, freudigen Stock auf die Menschheit setzen.

Ein besonderer Abschnitt ist dem "Emporgekommenen" gewidmet, den er
nicht als den verruchten Bösewicht angesehen wissen will, zu dem ihn Manche
im Hasse machen. Er habe geherrscht, wo man diente, geboten, wo man nach¬
gab, feine gewaltige Kraft oft planvoll, öfter unbewußt fortgetrieben, wo kein
Widerstand war. Aber man dürfe ihn, der selber einer blinden Macht in
seinem Inneren folge, nicht den weisen und sicheren Führer nennen, man
dürfe nicht groß nennen, was klein, kühn, was grausam, weise, was hinter¬
listig sei. Das Hohe der Menschheit habe er nie gedacht, die Bildung und
das heiligste Verhältniß Europas fänden in seinem System keine Stelle. Ehe
man indeß über ihn aburtheilen könne, müsse man abwarten, ob er bestehen
werde, wenn er einmal ein würdiges und anhaltendes Gegengewicht gefunden
haben werde. Er erscheine als das Abbild der großen römischen Helden: kalt
und doch begeistert, in sich das tiefversteckte Feuer des Südens, das strenge,
erbarmungslose Gemüth des korsischen Insulaners. Zum Krieger sei er ge¬
boren, nicht zum Regenten: er übe sein Talent und werde es üben.

Bei dem Verhältniß zwischen den Kräften Napoleons und der noch un-
unterworfenen Völker hält Arndt es nicht für unmöglich, daß eine "allgemeine
Umstürzung der Dinge und Nationen, wie im Mittelalter" eintrete und eine
"Universalmonarchie" sich bilde. In den deutschen Fürsten sei die Kraft fo
ausgestorben, daß keiner "die Majestät des Unglücks kenne, die allmächtige,
die das Schwert des Wütherichs aufhält und aus dem Todten und Hülflosen
Begeisterung und Rettung weckt". Sie hätten das Undeutsche nie thun, sondern
hassen und strafen müssen an Andern, damit sich tausend und hunderttausend
Arme bewaffneten und die Nation, die ihre Fürsten erkannte, sich selbst er¬
kennen lernte. Die Stärke des Feindes wachse nicht sowohl mit der Schwäche,
sondern vor Allem mit der Schlechtigkeit seines Gegners. Denn ein Feind,
der den unwürdigen und verächtlichen in den Staub hinabstoße, erscheine als
ein Rächer Gottes, und die Völker sehen ihm gleichgültig zu. Bonaparte
wisse, was das bedeute, und gebrauche es.

Hatte Arndt durch seinen "Geist der Zeit" den Franzosen seine Verach¬
tung gezeigt und sich als ihr Feind hervorgethan, so erweckte er sich mit dem
Buche doch auch Gegner auf deutscher Seite, indem er die Staatsmaximen
Friedrichs des Großen angriff und von ihnen sagte, sie hätten auf dem Irr¬
thum seines Zeitalters beruht, daß List und Klugheit die Welt beherrsche und
daß der künstlichste Staatsorganismus der beste sei, indem er ferner den Basler
Frieden ungünstig beurtheilte und ausführte, daß von Süden und aus der Mitte
Germaniens deutsche Kunst und jede edlere Bildung gekommen sei und da
von jeher ihre Sitze gehabt hätten. Es ist von Interesse, die Aeußerungen


zwischen beiden befangen gewesen seien. Ein so bethörtes und so bethörendes
Volk, wie sie, könne keinen frischen, freudigen Stock auf die Menschheit setzen.

Ein besonderer Abschnitt ist dem „Emporgekommenen" gewidmet, den er
nicht als den verruchten Bösewicht angesehen wissen will, zu dem ihn Manche
im Hasse machen. Er habe geherrscht, wo man diente, geboten, wo man nach¬
gab, feine gewaltige Kraft oft planvoll, öfter unbewußt fortgetrieben, wo kein
Widerstand war. Aber man dürfe ihn, der selber einer blinden Macht in
seinem Inneren folge, nicht den weisen und sicheren Führer nennen, man
dürfe nicht groß nennen, was klein, kühn, was grausam, weise, was hinter¬
listig sei. Das Hohe der Menschheit habe er nie gedacht, die Bildung und
das heiligste Verhältniß Europas fänden in seinem System keine Stelle. Ehe
man indeß über ihn aburtheilen könne, müsse man abwarten, ob er bestehen
werde, wenn er einmal ein würdiges und anhaltendes Gegengewicht gefunden
haben werde. Er erscheine als das Abbild der großen römischen Helden: kalt
und doch begeistert, in sich das tiefversteckte Feuer des Südens, das strenge,
erbarmungslose Gemüth des korsischen Insulaners. Zum Krieger sei er ge¬
boren, nicht zum Regenten: er übe sein Talent und werde es üben.

Bei dem Verhältniß zwischen den Kräften Napoleons und der noch un-
unterworfenen Völker hält Arndt es nicht für unmöglich, daß eine „allgemeine
Umstürzung der Dinge und Nationen, wie im Mittelalter" eintrete und eine
„Universalmonarchie" sich bilde. In den deutschen Fürsten sei die Kraft fo
ausgestorben, daß keiner „die Majestät des Unglücks kenne, die allmächtige,
die das Schwert des Wütherichs aufhält und aus dem Todten und Hülflosen
Begeisterung und Rettung weckt". Sie hätten das Undeutsche nie thun, sondern
hassen und strafen müssen an Andern, damit sich tausend und hunderttausend
Arme bewaffneten und die Nation, die ihre Fürsten erkannte, sich selbst er¬
kennen lernte. Die Stärke des Feindes wachse nicht sowohl mit der Schwäche,
sondern vor Allem mit der Schlechtigkeit seines Gegners. Denn ein Feind,
der den unwürdigen und verächtlichen in den Staub hinabstoße, erscheine als
ein Rächer Gottes, und die Völker sehen ihm gleichgültig zu. Bonaparte
wisse, was das bedeute, und gebrauche es.

Hatte Arndt durch seinen „Geist der Zeit" den Franzosen seine Verach¬
tung gezeigt und sich als ihr Feind hervorgethan, so erweckte er sich mit dem
Buche doch auch Gegner auf deutscher Seite, indem er die Staatsmaximen
Friedrichs des Großen angriff und von ihnen sagte, sie hätten auf dem Irr¬
thum seines Zeitalters beruht, daß List und Klugheit die Welt beherrsche und
daß der künstlichste Staatsorganismus der beste sei, indem er ferner den Basler
Frieden ungünstig beurtheilte und ausführte, daß von Süden und aus der Mitte
Germaniens deutsche Kunst und jede edlere Bildung gekommen sei und da
von jeher ihre Sitze gehabt hätten. Es ist von Interesse, die Aeußerungen


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[0396] zwischen beiden befangen gewesen seien. Ein so bethörtes und so bethörendes Volk, wie sie, könne keinen frischen, freudigen Stock auf die Menschheit setzen. Ein besonderer Abschnitt ist dem „Emporgekommenen" gewidmet, den er nicht als den verruchten Bösewicht angesehen wissen will, zu dem ihn Manche im Hasse machen. Er habe geherrscht, wo man diente, geboten, wo man nach¬ gab, feine gewaltige Kraft oft planvoll, öfter unbewußt fortgetrieben, wo kein Widerstand war. Aber man dürfe ihn, der selber einer blinden Macht in seinem Inneren folge, nicht den weisen und sicheren Führer nennen, man dürfe nicht groß nennen, was klein, kühn, was grausam, weise, was hinter¬ listig sei. Das Hohe der Menschheit habe er nie gedacht, die Bildung und das heiligste Verhältniß Europas fänden in seinem System keine Stelle. Ehe man indeß über ihn aburtheilen könne, müsse man abwarten, ob er bestehen werde, wenn er einmal ein würdiges und anhaltendes Gegengewicht gefunden haben werde. Er erscheine als das Abbild der großen römischen Helden: kalt und doch begeistert, in sich das tiefversteckte Feuer des Südens, das strenge, erbarmungslose Gemüth des korsischen Insulaners. Zum Krieger sei er ge¬ boren, nicht zum Regenten: er übe sein Talent und werde es üben. Bei dem Verhältniß zwischen den Kräften Napoleons und der noch un- unterworfenen Völker hält Arndt es nicht für unmöglich, daß eine „allgemeine Umstürzung der Dinge und Nationen, wie im Mittelalter" eintrete und eine „Universalmonarchie" sich bilde. In den deutschen Fürsten sei die Kraft fo ausgestorben, daß keiner „die Majestät des Unglücks kenne, die allmächtige, die das Schwert des Wütherichs aufhält und aus dem Todten und Hülflosen Begeisterung und Rettung weckt". Sie hätten das Undeutsche nie thun, sondern hassen und strafen müssen an Andern, damit sich tausend und hunderttausend Arme bewaffneten und die Nation, die ihre Fürsten erkannte, sich selbst er¬ kennen lernte. Die Stärke des Feindes wachse nicht sowohl mit der Schwäche, sondern vor Allem mit der Schlechtigkeit seines Gegners. Denn ein Feind, der den unwürdigen und verächtlichen in den Staub hinabstoße, erscheine als ein Rächer Gottes, und die Völker sehen ihm gleichgültig zu. Bonaparte wisse, was das bedeute, und gebrauche es. Hatte Arndt durch seinen „Geist der Zeit" den Franzosen seine Verach¬ tung gezeigt und sich als ihr Feind hervorgethan, so erweckte er sich mit dem Buche doch auch Gegner auf deutscher Seite, indem er die Staatsmaximen Friedrichs des Großen angriff und von ihnen sagte, sie hätten auf dem Irr¬ thum seines Zeitalters beruht, daß List und Klugheit die Welt beherrsche und daß der künstlichste Staatsorganismus der beste sei, indem er ferner den Basler Frieden ungünstig beurtheilte und ausführte, daß von Süden und aus der Mitte Germaniens deutsche Kunst und jede edlere Bildung gekommen sei und da von jeher ihre Sitze gehabt hätten. Es ist von Interesse, die Aeußerungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/396>, abgerufen am 24.07.2024.