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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Arndt's über die Stellung Friedrichs des Großen zur deutschen Nation und
über das Verhältniß der Geistescultur in Preußen zu der im übrigen Deutsch¬
land genauer kennen zu lernen, da sie zu Vergleichungen mit seinen späteren
Anschauungen Anlaß geben. Er sagt (S, 315 ff.) : "Fremd war der Sinn
der preußischen Monarchie (unter Friedrich dem Großen) allem, was deutsch
heißt, und ist es noch; daher die Abneigung, ja fast der Abscheu der kleinen
Staaten Deutschlands, wann es heißt, der preußische Adler soll über ihren
Thoren seine mächtigen Fittiche ausspreiten. Der deutsche Sinn liebt das
Gerechte und Gleiche, dazu das Formale. In den untern Regionen des Le¬
bens ist er gern üppig und gutmüthig fröhlich, ohne mit Polizei und Aufsicht
so viel zu thun zu haben, als im preußischen Staat, wo alles aristokratisch,
streng und despotisch herrscht, ohne die kleinen Freuden und Freiheiten des
Lebens zu achten, ohne welche die großen in der Regel nichts werth sind,
weil sie ohne sie kaum sind. Der norddeutsche Sinn an sich ist schon streng
und spröd, despotisch angestrengt ist er dem waidlichen süddeutschen noch viel
fremder geworden, und wenn ja noch etwas Gemeinsames zwischen dem Nor¬
den und Süden Deutschlands stand, so hat die preußische Monarchie es völlig
aufgehoben. An deutsche Begeisterung und Theilnahme für diesen Staat war
also nie zu denken." "Es ist nichts lächerlicher als Friedrich dem Großen
patriotisch-deutsche Ideen beilegen zu wollen. So patriotisch hat Richelieu
und Louvois an Deutschland gedacht und darüber gesprochen, so patriotisch
führt jetzt Bonaparte und Talleyrand, sein Knecht, und die deutschen Kur¬
fürsten, seine Knechte, den Namen Deutschland und Deutschlands Freiheit
im Munde." Ueber die Bildung im preußischen Staat äußert sich Arndt
folgendermaßen (S. 322 ff.)-. "Friedrich der Große hat Akademien und Phi¬
losophen und Poeten besoldet, aber die meisten waren Fremde, und die Besse¬
ren und Edleren meines Volks konnten von solchen nichts lernen, die sie
hassen mußten." "Norddeutschland und die Mark haben von jeher viel Wind,
vielen Lärm und Sand gehabt, und die Berliner, wie die Gascogner, haben
häufig die Ausrufer dessen gemacht, was anderwo gethan und gemacht war.
Geh nach Schwaben und nach dem Rheinstrom, da klingen dir die Namen
der höheren Genien Germaniens entgegen; manche kleine Reichsstadt hat
Deutschlands edlerer Bildung eben soviel gegeben als der ganze märkische
Sand. Es ist auch unmöglich, daß in einem so strenge gehaltenen und ge¬
spannten Soldatenstaate je das Genialische und Künstlerische aufblühe, was
Lebensfröhlichkeit und Gemüthlichkeit bei den Menschen will. Die sind in
diesen Klimaten selten, in diesen Regierungen nie."

Die Entgegnungen, welche durch diese Aeußerungen Arndt's hervorge¬
rufen wurden, waren der heftigsten Art. C. A. von Kamptz, der bekannte
Verfolger der demokratischen Partei, und Fr. von Cölln, dessen Ansichten in


Arndt's über die Stellung Friedrichs des Großen zur deutschen Nation und
über das Verhältniß der Geistescultur in Preußen zu der im übrigen Deutsch¬
land genauer kennen zu lernen, da sie zu Vergleichungen mit seinen späteren
Anschauungen Anlaß geben. Er sagt (S, 315 ff.) : „Fremd war der Sinn
der preußischen Monarchie (unter Friedrich dem Großen) allem, was deutsch
heißt, und ist es noch; daher die Abneigung, ja fast der Abscheu der kleinen
Staaten Deutschlands, wann es heißt, der preußische Adler soll über ihren
Thoren seine mächtigen Fittiche ausspreiten. Der deutsche Sinn liebt das
Gerechte und Gleiche, dazu das Formale. In den untern Regionen des Le¬
bens ist er gern üppig und gutmüthig fröhlich, ohne mit Polizei und Aufsicht
so viel zu thun zu haben, als im preußischen Staat, wo alles aristokratisch,
streng und despotisch herrscht, ohne die kleinen Freuden und Freiheiten des
Lebens zu achten, ohne welche die großen in der Regel nichts werth sind,
weil sie ohne sie kaum sind. Der norddeutsche Sinn an sich ist schon streng
und spröd, despotisch angestrengt ist er dem waidlichen süddeutschen noch viel
fremder geworden, und wenn ja noch etwas Gemeinsames zwischen dem Nor¬
den und Süden Deutschlands stand, so hat die preußische Monarchie es völlig
aufgehoben. An deutsche Begeisterung und Theilnahme für diesen Staat war
also nie zu denken." „Es ist nichts lächerlicher als Friedrich dem Großen
patriotisch-deutsche Ideen beilegen zu wollen. So patriotisch hat Richelieu
und Louvois an Deutschland gedacht und darüber gesprochen, so patriotisch
führt jetzt Bonaparte und Talleyrand, sein Knecht, und die deutschen Kur¬
fürsten, seine Knechte, den Namen Deutschland und Deutschlands Freiheit
im Munde." Ueber die Bildung im preußischen Staat äußert sich Arndt
folgendermaßen (S. 322 ff.)-. „Friedrich der Große hat Akademien und Phi¬
losophen und Poeten besoldet, aber die meisten waren Fremde, und die Besse¬
ren und Edleren meines Volks konnten von solchen nichts lernen, die sie
hassen mußten." „Norddeutschland und die Mark haben von jeher viel Wind,
vielen Lärm und Sand gehabt, und die Berliner, wie die Gascogner, haben
häufig die Ausrufer dessen gemacht, was anderwo gethan und gemacht war.
Geh nach Schwaben und nach dem Rheinstrom, da klingen dir die Namen
der höheren Genien Germaniens entgegen; manche kleine Reichsstadt hat
Deutschlands edlerer Bildung eben soviel gegeben als der ganze märkische
Sand. Es ist auch unmöglich, daß in einem so strenge gehaltenen und ge¬
spannten Soldatenstaate je das Genialische und Künstlerische aufblühe, was
Lebensfröhlichkeit und Gemüthlichkeit bei den Menschen will. Die sind in
diesen Klimaten selten, in diesen Regierungen nie."

Die Entgegnungen, welche durch diese Aeußerungen Arndt's hervorge¬
rufen wurden, waren der heftigsten Art. C. A. von Kamptz, der bekannte
Verfolger der demokratischen Partei, und Fr. von Cölln, dessen Ansichten in


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[0397] Arndt's über die Stellung Friedrichs des Großen zur deutschen Nation und über das Verhältniß der Geistescultur in Preußen zu der im übrigen Deutsch¬ land genauer kennen zu lernen, da sie zu Vergleichungen mit seinen späteren Anschauungen Anlaß geben. Er sagt (S, 315 ff.) : „Fremd war der Sinn der preußischen Monarchie (unter Friedrich dem Großen) allem, was deutsch heißt, und ist es noch; daher die Abneigung, ja fast der Abscheu der kleinen Staaten Deutschlands, wann es heißt, der preußische Adler soll über ihren Thoren seine mächtigen Fittiche ausspreiten. Der deutsche Sinn liebt das Gerechte und Gleiche, dazu das Formale. In den untern Regionen des Le¬ bens ist er gern üppig und gutmüthig fröhlich, ohne mit Polizei und Aufsicht so viel zu thun zu haben, als im preußischen Staat, wo alles aristokratisch, streng und despotisch herrscht, ohne die kleinen Freuden und Freiheiten des Lebens zu achten, ohne welche die großen in der Regel nichts werth sind, weil sie ohne sie kaum sind. Der norddeutsche Sinn an sich ist schon streng und spröd, despotisch angestrengt ist er dem waidlichen süddeutschen noch viel fremder geworden, und wenn ja noch etwas Gemeinsames zwischen dem Nor¬ den und Süden Deutschlands stand, so hat die preußische Monarchie es völlig aufgehoben. An deutsche Begeisterung und Theilnahme für diesen Staat war also nie zu denken." „Es ist nichts lächerlicher als Friedrich dem Großen patriotisch-deutsche Ideen beilegen zu wollen. So patriotisch hat Richelieu und Louvois an Deutschland gedacht und darüber gesprochen, so patriotisch führt jetzt Bonaparte und Talleyrand, sein Knecht, und die deutschen Kur¬ fürsten, seine Knechte, den Namen Deutschland und Deutschlands Freiheit im Munde." Ueber die Bildung im preußischen Staat äußert sich Arndt folgendermaßen (S. 322 ff.)-. „Friedrich der Große hat Akademien und Phi¬ losophen und Poeten besoldet, aber die meisten waren Fremde, und die Besse¬ ren und Edleren meines Volks konnten von solchen nichts lernen, die sie hassen mußten." „Norddeutschland und die Mark haben von jeher viel Wind, vielen Lärm und Sand gehabt, und die Berliner, wie die Gascogner, haben häufig die Ausrufer dessen gemacht, was anderwo gethan und gemacht war. Geh nach Schwaben und nach dem Rheinstrom, da klingen dir die Namen der höheren Genien Germaniens entgegen; manche kleine Reichsstadt hat Deutschlands edlerer Bildung eben soviel gegeben als der ganze märkische Sand. Es ist auch unmöglich, daß in einem so strenge gehaltenen und ge¬ spannten Soldatenstaate je das Genialische und Künstlerische aufblühe, was Lebensfröhlichkeit und Gemüthlichkeit bei den Menschen will. Die sind in diesen Klimaten selten, in diesen Regierungen nie." Die Entgegnungen, welche durch diese Aeußerungen Arndt's hervorge¬ rufen wurden, waren der heftigsten Art. C. A. von Kamptz, der bekannte Verfolger der demokratischen Partei, und Fr. von Cölln, dessen Ansichten in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/397>, abgerufen am 25.07.2024.