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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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das Buch habe in mehr als einer Beziehung den bedeutendsten Einfluß auf
ihn selbst gehabt und habe seine schriftstellerische Bahn und sein Leben, zum
Theil mit bestimmt, es seien noch, die es für das Buch erklärten, welches er
am besten geschrieben habe. Entstanden ist es im November und De¬
cember 1805.

Arndt beginnt mit einer Charakteristik des Gesammtzustandes seines
"geistigen" und "klugen" Zeitalters und des Jahrhunderts der Aufklärung,
in dem man "gelehrt, fein, schlau" genug war, aber "Weisheit, Zucht, Be¬
geisterung und das heilige os magus, sonaturum für Freiheit und Kraft"
fehlten, und geht dann zu einer Schilderung der Hauptepochen in der Geschichte
des Alterthums über, um zu zeigen, durch welche "Begebenheiten und Künste
Völker, deren Bildung mit der unsrigen Aehnlichkeit hatte, stiegen oder sanken,
durch welche List und Tapferkeit auf der einen, durch welche Trägheit und
Zwietracht auf der andern Seite Herrschaft und Knechtschaft verdient ward."
Nach dieser Darstellung kommt er auf die neuen Völker, in deren Schilderung
er mit den Deutschen anfängt. Die deutsche Geschichte verfolgt er bis auf
"die letzte große Scission deutscher Nation, die unheilbare, die vielleicht mit dem
Volke endigen wird" unter Friedrich dem Großen. Hier hält er der kosmo¬
politischen, nationalitätslosen Weltanschauung entgegen, daß "ohne das Volk
keine Menschheit und ohne den freien Bürger kein freier Mensch" sei. "Ein
Mensch sei selten so erhaben, daß er äußere Knechtschaft und Verachtung
dulden könne, ohne schlechter zu werden, ein ganzes Volk sei es nie. Die
edelsten Geister würden nur aus dem ganzen Volke geboren."

Im Folgenden, wo von den übrigen Völkern der Neuzeit die Rede ist,
findet Arndt bei einem jeden, Italienern. Spaniern, selbst die Türken nicht
ausgenommen, Anlaß zu einem Wort der Liebe oder der Bewunderung. Nur
wo er auf die Franzosen zu sprechen kommt, fängt er mit den Worten an:
"müssen einem die Thoren doch immer begegnen, auf den Jahrmärkten und
auf den Landstraßen. Von jeher habe ich nicht gern viel mit ihnen zu thun
gehabt, und nun besetzen sie alle Zugänge und Wege der Geschichte so breit
und übermüthig, daß man nicht einen Schritt thun kann, ohne auf sie zu
stoßen." Dieselben Franzosen, sährt er fort, welche die kriechendsten und
elendesten Sklaven eines Einzigen geworden seien, der sie nur durch gemeine
List und prunkende Aefferei beherrsche, könnten unmöglich einen Anspruch da¬
rauf haben, die Beglücker und Herren Anderer zu werden. Redlichkeit, Treue,
Gerechtigkeit und Mäßigkeit feien die Eigenschaften, welche ein großes Volk
machten. Die Bildung der Franzosen habe vor den andern Europäern, die
nicht tiefer dringen, nur den äußeren Firniß und die Abglättung voraus.
Von jeher habe ihnen die volle südliche Naturkraft und die schwärmerische
nordische Tiefe des Gemüths gefehlt, sodaß sie in einer kümmerlichen Mitte


das Buch habe in mehr als einer Beziehung den bedeutendsten Einfluß auf
ihn selbst gehabt und habe seine schriftstellerische Bahn und sein Leben, zum
Theil mit bestimmt, es seien noch, die es für das Buch erklärten, welches er
am besten geschrieben habe. Entstanden ist es im November und De¬
cember 1805.

Arndt beginnt mit einer Charakteristik des Gesammtzustandes seines
„geistigen" und „klugen" Zeitalters und des Jahrhunderts der Aufklärung,
in dem man „gelehrt, fein, schlau" genug war, aber „Weisheit, Zucht, Be¬
geisterung und das heilige os magus, sonaturum für Freiheit und Kraft"
fehlten, und geht dann zu einer Schilderung der Hauptepochen in der Geschichte
des Alterthums über, um zu zeigen, durch welche „Begebenheiten und Künste
Völker, deren Bildung mit der unsrigen Aehnlichkeit hatte, stiegen oder sanken,
durch welche List und Tapferkeit auf der einen, durch welche Trägheit und
Zwietracht auf der andern Seite Herrschaft und Knechtschaft verdient ward."
Nach dieser Darstellung kommt er auf die neuen Völker, in deren Schilderung
er mit den Deutschen anfängt. Die deutsche Geschichte verfolgt er bis auf
„die letzte große Scission deutscher Nation, die unheilbare, die vielleicht mit dem
Volke endigen wird" unter Friedrich dem Großen. Hier hält er der kosmo¬
politischen, nationalitätslosen Weltanschauung entgegen, daß „ohne das Volk
keine Menschheit und ohne den freien Bürger kein freier Mensch" sei. „Ein
Mensch sei selten so erhaben, daß er äußere Knechtschaft und Verachtung
dulden könne, ohne schlechter zu werden, ein ganzes Volk sei es nie. Die
edelsten Geister würden nur aus dem ganzen Volke geboren."

Im Folgenden, wo von den übrigen Völkern der Neuzeit die Rede ist,
findet Arndt bei einem jeden, Italienern. Spaniern, selbst die Türken nicht
ausgenommen, Anlaß zu einem Wort der Liebe oder der Bewunderung. Nur
wo er auf die Franzosen zu sprechen kommt, fängt er mit den Worten an:
„müssen einem die Thoren doch immer begegnen, auf den Jahrmärkten und
auf den Landstraßen. Von jeher habe ich nicht gern viel mit ihnen zu thun
gehabt, und nun besetzen sie alle Zugänge und Wege der Geschichte so breit
und übermüthig, daß man nicht einen Schritt thun kann, ohne auf sie zu
stoßen." Dieselben Franzosen, sährt er fort, welche die kriechendsten und
elendesten Sklaven eines Einzigen geworden seien, der sie nur durch gemeine
List und prunkende Aefferei beherrsche, könnten unmöglich einen Anspruch da¬
rauf haben, die Beglücker und Herren Anderer zu werden. Redlichkeit, Treue,
Gerechtigkeit und Mäßigkeit feien die Eigenschaften, welche ein großes Volk
machten. Die Bildung der Franzosen habe vor den andern Europäern, die
nicht tiefer dringen, nur den äußeren Firniß und die Abglättung voraus.
Von jeher habe ihnen die volle südliche Naturkraft und die schwärmerische
nordische Tiefe des Gemüths gefehlt, sodaß sie in einer kümmerlichen Mitte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/395>, abgerufen am 24.07.2024.