Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fall derselben eine Menge Arbeit und Kosten, die den betreffenden Staaten
aufgebürdet wären, beseitigt würden. Der Krieg von 1866 schien diese An¬
sichten zu bestätigen und deren Anhänger verstiegen sich nun so hoch, daß sie
erklärten: überhaupt alle festen Plätze müßten überflüssig werden, indem in
neuerer Zeit die Entscheidungen ernster Völker-Conflicte nur noch im offenen
Felde durch Schlachten herbeigeführt würden. Das Letztere ist allerdings
unleugbar; daß aber auch die festen Plätze noch eine Rolle, und zwar eine
nicht zu unterschätzende Rolle spielen, hat der letzte Krieg zur Evidenz be¬
wiesen. Wir kamen dabei wieder, man möchte sagen unverhofft, zu einem
Festungs- und Belagerungskrieg, wie ihn in seiner Großartigkeit die Vorzeit
nicht aufzuweisen vermag. Dabei ist nun wohl zu beachten, daß die genannten
Schriften vor diesem Kriege erschienen, deren Verfasser mithin die Resultate
in dieser Beziehung und Tragweite nicht ahnen konnte. --- Trotzdem nun der
Verfasser der beiden Schriften gegen die Stadtbefestigungen, Militair war. so
schien er diese doch weniger für seine Berufsgen offen, als für ein anderes
Publicum geschrieben zu haben. Zunächst bekämpfte er die Ansicht des be¬
rühmten General v. Clausewitz: "Die Vertheidigung ist die stärkere Form
des Kampfes" und meint, daß dieses Wort zur "Phrase" resp. "Unwahrheit"
geworden sei. Dagegen stellt er bei der Frage, Stadtbefestigung oder reine
Militairfestung? die Behauptung auf: daß das Gleichgewicht zwischen An¬
griff und Vertheidigung zum Nachtheil der letzteren gestört sei. Dabei faßt
er zunächst zwei Punkte in's Auge: "die Rayongesetze," diese nie versiegende
Quelle des Haders, und dann den "Trümmerhaufen" in den der Feind die
befestigte Stadt, in die er einziehen will, erst umzuwandeln hat. -- Weiter
wird gesagt: daß die Stadtbefestigungen nur so lange gerechtfertigt, ja ge¬
boten gewesen seien, als die Bewohner eines möglichst starken Schutzes be¬
durften, um gegen Raub, Mord, Brand, Plünderung und Sklavenverkaus
gesichert zu sein; da aber neuerer Zeit die Kriege humaner als sonst geführt
würden, so müßten befestigte Stadtplätze jetzt nur noch als "geschichtliche
Reminiscenzen" gelten.

Der Raum gestattet nicht, näher auf die hier angeführten Behauptungen
einzugehen; diese sollen überhaupt nur maßgebend für die Ansichten sein, die
jetzt nach dieser Richtung hin im Allgemeinen vertreten werden, und denen
das unter dem obigen Titel vorliegende Buch zum Theil entgegentritt.

Zunächst ging die Agitation natürlich von Städten aus, die in den
Festungsgürtel während des Friedens eingezwängt und im Kriege der Misere
einer Belagerung zunächst ausgesetzt waren. Den offenen Städten gegenüber
stehen sie somit immerhin im Nachtheil. Dabei tritt an uns zunächst die Frage
heran: ob im Interesse des Ganzen und Allgemeinen liegt, die


fall derselben eine Menge Arbeit und Kosten, die den betreffenden Staaten
aufgebürdet wären, beseitigt würden. Der Krieg von 1866 schien diese An¬
sichten zu bestätigen und deren Anhänger verstiegen sich nun so hoch, daß sie
erklärten: überhaupt alle festen Plätze müßten überflüssig werden, indem in
neuerer Zeit die Entscheidungen ernster Völker-Conflicte nur noch im offenen
Felde durch Schlachten herbeigeführt würden. Das Letztere ist allerdings
unleugbar; daß aber auch die festen Plätze noch eine Rolle, und zwar eine
nicht zu unterschätzende Rolle spielen, hat der letzte Krieg zur Evidenz be¬
wiesen. Wir kamen dabei wieder, man möchte sagen unverhofft, zu einem
Festungs- und Belagerungskrieg, wie ihn in seiner Großartigkeit die Vorzeit
nicht aufzuweisen vermag. Dabei ist nun wohl zu beachten, daß die genannten
Schriften vor diesem Kriege erschienen, deren Verfasser mithin die Resultate
in dieser Beziehung und Tragweite nicht ahnen konnte. —- Trotzdem nun der
Verfasser der beiden Schriften gegen die Stadtbefestigungen, Militair war. so
schien er diese doch weniger für seine Berufsgen offen, als für ein anderes
Publicum geschrieben zu haben. Zunächst bekämpfte er die Ansicht des be¬
rühmten General v. Clausewitz: „Die Vertheidigung ist die stärkere Form
des Kampfes" und meint, daß dieses Wort zur „Phrase" resp. „Unwahrheit"
geworden sei. Dagegen stellt er bei der Frage, Stadtbefestigung oder reine
Militairfestung? die Behauptung auf: daß das Gleichgewicht zwischen An¬
griff und Vertheidigung zum Nachtheil der letzteren gestört sei. Dabei faßt
er zunächst zwei Punkte in's Auge: „die Rayongesetze," diese nie versiegende
Quelle des Haders, und dann den „Trümmerhaufen" in den der Feind die
befestigte Stadt, in die er einziehen will, erst umzuwandeln hat. — Weiter
wird gesagt: daß die Stadtbefestigungen nur so lange gerechtfertigt, ja ge¬
boten gewesen seien, als die Bewohner eines möglichst starken Schutzes be¬
durften, um gegen Raub, Mord, Brand, Plünderung und Sklavenverkaus
gesichert zu sein; da aber neuerer Zeit die Kriege humaner als sonst geführt
würden, so müßten befestigte Stadtplätze jetzt nur noch als „geschichtliche
Reminiscenzen" gelten.

Der Raum gestattet nicht, näher auf die hier angeführten Behauptungen
einzugehen; diese sollen überhaupt nur maßgebend für die Ansichten sein, die
jetzt nach dieser Richtung hin im Allgemeinen vertreten werden, und denen
das unter dem obigen Titel vorliegende Buch zum Theil entgegentritt.

Zunächst ging die Agitation natürlich von Städten aus, die in den
Festungsgürtel während des Friedens eingezwängt und im Kriege der Misere
einer Belagerung zunächst ausgesetzt waren. Den offenen Städten gegenüber
stehen sie somit immerhin im Nachtheil. Dabei tritt an uns zunächst die Frage
heran: ob im Interesse des Ganzen und Allgemeinen liegt, die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126664"/>
          <p xml:id="ID_1178" prev="#ID_1177"> fall derselben eine Menge Arbeit und Kosten, die den betreffenden Staaten<lb/>
aufgebürdet wären, beseitigt würden. Der Krieg von 1866 schien diese An¬<lb/>
sichten zu bestätigen und deren Anhänger verstiegen sich nun so hoch, daß sie<lb/>
erklärten: überhaupt alle festen Plätze müßten überflüssig werden, indem in<lb/>
neuerer Zeit die Entscheidungen ernster Völker-Conflicte nur noch im offenen<lb/>
Felde durch Schlachten herbeigeführt würden. Das Letztere ist allerdings<lb/>
unleugbar; daß aber auch die festen Plätze noch eine Rolle, und zwar eine<lb/>
nicht zu unterschätzende Rolle spielen, hat der letzte Krieg zur Evidenz be¬<lb/>
wiesen. Wir kamen dabei wieder, man möchte sagen unverhofft, zu einem<lb/>
Festungs- und Belagerungskrieg, wie ihn in seiner Großartigkeit die Vorzeit<lb/>
nicht aufzuweisen vermag. Dabei ist nun wohl zu beachten, daß die genannten<lb/>
Schriften vor diesem Kriege erschienen, deren Verfasser mithin die Resultate<lb/>
in dieser Beziehung und Tragweite nicht ahnen konnte. &#x2014;- Trotzdem nun der<lb/>
Verfasser der beiden Schriften gegen die Stadtbefestigungen, Militair war. so<lb/>
schien er diese doch weniger für seine Berufsgen offen, als für ein anderes<lb/>
Publicum geschrieben zu haben. Zunächst bekämpfte er die Ansicht des be¬<lb/>
rühmten General v. Clausewitz: &#x201E;Die Vertheidigung ist die stärkere Form<lb/>
des Kampfes" und meint, daß dieses Wort zur &#x201E;Phrase" resp. &#x201E;Unwahrheit"<lb/>
geworden sei. Dagegen stellt er bei der Frage, Stadtbefestigung oder reine<lb/>
Militairfestung? die Behauptung auf: daß das Gleichgewicht zwischen An¬<lb/>
griff und Vertheidigung zum Nachtheil der letzteren gestört sei. Dabei faßt<lb/>
er zunächst zwei Punkte in's Auge: &#x201E;die Rayongesetze," diese nie versiegende<lb/>
Quelle des Haders, und dann den &#x201E;Trümmerhaufen" in den der Feind die<lb/>
befestigte Stadt, in die er einziehen will, erst umzuwandeln hat. &#x2014; Weiter<lb/>
wird gesagt: daß die Stadtbefestigungen nur so lange gerechtfertigt, ja ge¬<lb/>
boten gewesen seien, als die Bewohner eines möglichst starken Schutzes be¬<lb/>
durften, um gegen Raub, Mord, Brand, Plünderung und Sklavenverkaus<lb/>
gesichert zu sein; da aber neuerer Zeit die Kriege humaner als sonst geführt<lb/>
würden, so müßten befestigte Stadtplätze jetzt nur noch als &#x201E;geschichtliche<lb/>
Reminiscenzen" gelten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1179"> Der Raum gestattet nicht, näher auf die hier angeführten Behauptungen<lb/>
einzugehen; diese sollen überhaupt nur maßgebend für die Ansichten sein, die<lb/>
jetzt nach dieser Richtung hin im Allgemeinen vertreten werden, und denen<lb/>
das unter dem obigen Titel vorliegende Buch zum Theil entgegentritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1180" next="#ID_1181"> Zunächst ging die Agitation natürlich von Städten aus, die in den<lb/>
Festungsgürtel während des Friedens eingezwängt und im Kriege der Misere<lb/>
einer Belagerung zunächst ausgesetzt waren. Den offenen Städten gegenüber<lb/>
stehen sie somit immerhin im Nachtheil. Dabei tritt an uns zunächst die Frage<lb/>
heran: ob im Interesse des Ganzen und Allgemeinen liegt, die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0388] fall derselben eine Menge Arbeit und Kosten, die den betreffenden Staaten aufgebürdet wären, beseitigt würden. Der Krieg von 1866 schien diese An¬ sichten zu bestätigen und deren Anhänger verstiegen sich nun so hoch, daß sie erklärten: überhaupt alle festen Plätze müßten überflüssig werden, indem in neuerer Zeit die Entscheidungen ernster Völker-Conflicte nur noch im offenen Felde durch Schlachten herbeigeführt würden. Das Letztere ist allerdings unleugbar; daß aber auch die festen Plätze noch eine Rolle, und zwar eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, hat der letzte Krieg zur Evidenz be¬ wiesen. Wir kamen dabei wieder, man möchte sagen unverhofft, zu einem Festungs- und Belagerungskrieg, wie ihn in seiner Großartigkeit die Vorzeit nicht aufzuweisen vermag. Dabei ist nun wohl zu beachten, daß die genannten Schriften vor diesem Kriege erschienen, deren Verfasser mithin die Resultate in dieser Beziehung und Tragweite nicht ahnen konnte. —- Trotzdem nun der Verfasser der beiden Schriften gegen die Stadtbefestigungen, Militair war. so schien er diese doch weniger für seine Berufsgen offen, als für ein anderes Publicum geschrieben zu haben. Zunächst bekämpfte er die Ansicht des be¬ rühmten General v. Clausewitz: „Die Vertheidigung ist die stärkere Form des Kampfes" und meint, daß dieses Wort zur „Phrase" resp. „Unwahrheit" geworden sei. Dagegen stellt er bei der Frage, Stadtbefestigung oder reine Militairfestung? die Behauptung auf: daß das Gleichgewicht zwischen An¬ griff und Vertheidigung zum Nachtheil der letzteren gestört sei. Dabei faßt er zunächst zwei Punkte in's Auge: „die Rayongesetze," diese nie versiegende Quelle des Haders, und dann den „Trümmerhaufen" in den der Feind die befestigte Stadt, in die er einziehen will, erst umzuwandeln hat. — Weiter wird gesagt: daß die Stadtbefestigungen nur so lange gerechtfertigt, ja ge¬ boten gewesen seien, als die Bewohner eines möglichst starken Schutzes be¬ durften, um gegen Raub, Mord, Brand, Plünderung und Sklavenverkaus gesichert zu sein; da aber neuerer Zeit die Kriege humaner als sonst geführt würden, so müßten befestigte Stadtplätze jetzt nur noch als „geschichtliche Reminiscenzen" gelten. Der Raum gestattet nicht, näher auf die hier angeführten Behauptungen einzugehen; diese sollen überhaupt nur maßgebend für die Ansichten sein, die jetzt nach dieser Richtung hin im Allgemeinen vertreten werden, und denen das unter dem obigen Titel vorliegende Buch zum Theil entgegentritt. Zunächst ging die Agitation natürlich von Städten aus, die in den Festungsgürtel während des Friedens eingezwängt und im Kriege der Misere einer Belagerung zunächst ausgesetzt waren. Den offenen Städten gegenüber stehen sie somit immerhin im Nachtheil. Dabei tritt an uns zunächst die Frage heran: ob im Interesse des Ganzen und Allgemeinen liegt, die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/388
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/388>, abgerufen am 24.07.2024.