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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Zu einer die Massen beherrschenden Macht wurden jene zum Uebermaß geprie¬
senen napoleonischen Ideen erst, nachdem ihnen die Kirche ihr Siegel aufge¬
drückt hatte.

Zwar zog sich ein Theil der Stimmführer des Ultramontanismus, von
dem Augenblicke an, wo die Herrschaftspläne des Prinzen unverhüllt ein's
Tageslicht traten, von dem Bündnisse zurück: so Fallour selbst, der sich kurz
vor dem Staatsstreich der großen konservativen Majorität anschloß und sich
an den ohnmächtigen Protesten derselben gegen die bonapartistischen Gewalt¬
thaten betheiligte, mehr um einer Anstandspflicht zu genügen, als um einen
Erfolg zu erzielen. Aeußerte er doch selbst gegen Persigny, der ihn während
seiner Haft besuchte: Ich gestehe es Ihnen, in Rücksicht auf meine Collegen
aber nur ganz leise, ein, im Grunde denke ich, daß Sie wohl gethan haben.

Uebrigens waren die Proteste der Conservativen dem Präsidenten ebenso
gleichgültig, wie die der Republikaner. Es war zu spät, ihn aus seiner
wohl befestigten Stellung zu drängen. Das Bündniß mit den Ultramontanen
hatte die Dienste geleistet, die man von denselben erwartet hatte: die Pro¬
vinzen waren mit Hülfe der Geistlichkeit gewonnen worden; die Landbevölke¬
rung bildete jetzt eine große, jede Volksabstimmung beherrschende Partei, in
der katholische und bonapartistische Interessen sich eng mit einander verschmol¬
zen hatten und eine solidarische, durch verspätete Versuche einzelner Führer
nicht mehr zu lösende Verbindung eingegangen waren. Damit hatte der
Kaiser denn in der That seiner Macht eine breitere Grundlage gegeben, als
sie die vorhergehenden Regierungen besessen, eine Grundlage, die unerschütter¬
lich war, -- so lange Napoleon die Pariser im Zaum zu halten vermochte.

So stehen sich denn während der Kaiserzeit drei Parteien gegenüber:
1) die parlamentarische, die aus gemäßigten Republikanern und Orleanisten
zusammengesetzt ist, und denen sich die Legitimisten, die nicht im Stande
waren, selbstständig zu handeln, anschlössen; 2) die Socialisten, und 3) die
durch die römische Frage mit den Katholiken eng verknüpften Bonapartisten.
Was dieser Parteibildung ihre Bedeutung gibt, ist, daß sie genau den ver¬
schiedenen Gesellschaftsclassen entspricht. Die parlamentarische Parteigruppe
vertritt das gebildete und wohlhabende Bürgerthum, der radicale Socialis¬
mus das großstädtische Arbeiterproletariat, der Bonapartismus hat Wurzeln
geschlagen in der breiten Masse der ländlichen Bevölkerung.

Die Bourgeoisie, gleichviel ob sie zu einer verfassungsmäßigen Monarchie
hinneigte, oder für eine ideale Republik schwärmte, war noch immer die Trä¬
gerin und Pflegerin der politischen wie der allgemeinen Bildung- Aber diese
Bildung hatte in den ziellosen und unfruchtbaren Kämpfen den größten Theil
ihres idealen Gehalts eingebüßt und damit auch die Macht über die Gemü¬
ther verloren. Die Literatur war nach der glänzenden, aber rasch erbleichen-


Zu einer die Massen beherrschenden Macht wurden jene zum Uebermaß geprie¬
senen napoleonischen Ideen erst, nachdem ihnen die Kirche ihr Siegel aufge¬
drückt hatte.

Zwar zog sich ein Theil der Stimmführer des Ultramontanismus, von
dem Augenblicke an, wo die Herrschaftspläne des Prinzen unverhüllt ein's
Tageslicht traten, von dem Bündnisse zurück: so Fallour selbst, der sich kurz
vor dem Staatsstreich der großen konservativen Majorität anschloß und sich
an den ohnmächtigen Protesten derselben gegen die bonapartistischen Gewalt¬
thaten betheiligte, mehr um einer Anstandspflicht zu genügen, als um einen
Erfolg zu erzielen. Aeußerte er doch selbst gegen Persigny, der ihn während
seiner Haft besuchte: Ich gestehe es Ihnen, in Rücksicht auf meine Collegen
aber nur ganz leise, ein, im Grunde denke ich, daß Sie wohl gethan haben.

Uebrigens waren die Proteste der Conservativen dem Präsidenten ebenso
gleichgültig, wie die der Republikaner. Es war zu spät, ihn aus seiner
wohl befestigten Stellung zu drängen. Das Bündniß mit den Ultramontanen
hatte die Dienste geleistet, die man von denselben erwartet hatte: die Pro¬
vinzen waren mit Hülfe der Geistlichkeit gewonnen worden; die Landbevölke¬
rung bildete jetzt eine große, jede Volksabstimmung beherrschende Partei, in
der katholische und bonapartistische Interessen sich eng mit einander verschmol¬
zen hatten und eine solidarische, durch verspätete Versuche einzelner Führer
nicht mehr zu lösende Verbindung eingegangen waren. Damit hatte der
Kaiser denn in der That seiner Macht eine breitere Grundlage gegeben, als
sie die vorhergehenden Regierungen besessen, eine Grundlage, die unerschütter¬
lich war, — so lange Napoleon die Pariser im Zaum zu halten vermochte.

So stehen sich denn während der Kaiserzeit drei Parteien gegenüber:
1) die parlamentarische, die aus gemäßigten Republikanern und Orleanisten
zusammengesetzt ist, und denen sich die Legitimisten, die nicht im Stande
waren, selbstständig zu handeln, anschlössen; 2) die Socialisten, und 3) die
durch die römische Frage mit den Katholiken eng verknüpften Bonapartisten.
Was dieser Parteibildung ihre Bedeutung gibt, ist, daß sie genau den ver¬
schiedenen Gesellschaftsclassen entspricht. Die parlamentarische Parteigruppe
vertritt das gebildete und wohlhabende Bürgerthum, der radicale Socialis¬
mus das großstädtische Arbeiterproletariat, der Bonapartismus hat Wurzeln
geschlagen in der breiten Masse der ländlichen Bevölkerung.

Die Bourgeoisie, gleichviel ob sie zu einer verfassungsmäßigen Monarchie
hinneigte, oder für eine ideale Republik schwärmte, war noch immer die Trä¬
gerin und Pflegerin der politischen wie der allgemeinen Bildung- Aber diese
Bildung hatte in den ziellosen und unfruchtbaren Kämpfen den größten Theil
ihres idealen Gehalts eingebüßt und damit auch die Macht über die Gemü¬
ther verloren. Die Literatur war nach der glänzenden, aber rasch erbleichen-


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[0335] Zu einer die Massen beherrschenden Macht wurden jene zum Uebermaß geprie¬ senen napoleonischen Ideen erst, nachdem ihnen die Kirche ihr Siegel aufge¬ drückt hatte. Zwar zog sich ein Theil der Stimmführer des Ultramontanismus, von dem Augenblicke an, wo die Herrschaftspläne des Prinzen unverhüllt ein's Tageslicht traten, von dem Bündnisse zurück: so Fallour selbst, der sich kurz vor dem Staatsstreich der großen konservativen Majorität anschloß und sich an den ohnmächtigen Protesten derselben gegen die bonapartistischen Gewalt¬ thaten betheiligte, mehr um einer Anstandspflicht zu genügen, als um einen Erfolg zu erzielen. Aeußerte er doch selbst gegen Persigny, der ihn während seiner Haft besuchte: Ich gestehe es Ihnen, in Rücksicht auf meine Collegen aber nur ganz leise, ein, im Grunde denke ich, daß Sie wohl gethan haben. Uebrigens waren die Proteste der Conservativen dem Präsidenten ebenso gleichgültig, wie die der Republikaner. Es war zu spät, ihn aus seiner wohl befestigten Stellung zu drängen. Das Bündniß mit den Ultramontanen hatte die Dienste geleistet, die man von denselben erwartet hatte: die Pro¬ vinzen waren mit Hülfe der Geistlichkeit gewonnen worden; die Landbevölke¬ rung bildete jetzt eine große, jede Volksabstimmung beherrschende Partei, in der katholische und bonapartistische Interessen sich eng mit einander verschmol¬ zen hatten und eine solidarische, durch verspätete Versuche einzelner Führer nicht mehr zu lösende Verbindung eingegangen waren. Damit hatte der Kaiser denn in der That seiner Macht eine breitere Grundlage gegeben, als sie die vorhergehenden Regierungen besessen, eine Grundlage, die unerschütter¬ lich war, — so lange Napoleon die Pariser im Zaum zu halten vermochte. So stehen sich denn während der Kaiserzeit drei Parteien gegenüber: 1) die parlamentarische, die aus gemäßigten Republikanern und Orleanisten zusammengesetzt ist, und denen sich die Legitimisten, die nicht im Stande waren, selbstständig zu handeln, anschlössen; 2) die Socialisten, und 3) die durch die römische Frage mit den Katholiken eng verknüpften Bonapartisten. Was dieser Parteibildung ihre Bedeutung gibt, ist, daß sie genau den ver¬ schiedenen Gesellschaftsclassen entspricht. Die parlamentarische Parteigruppe vertritt das gebildete und wohlhabende Bürgerthum, der radicale Socialis¬ mus das großstädtische Arbeiterproletariat, der Bonapartismus hat Wurzeln geschlagen in der breiten Masse der ländlichen Bevölkerung. Die Bourgeoisie, gleichviel ob sie zu einer verfassungsmäßigen Monarchie hinneigte, oder für eine ideale Republik schwärmte, war noch immer die Trä¬ gerin und Pflegerin der politischen wie der allgemeinen Bildung- Aber diese Bildung hatte in den ziellosen und unfruchtbaren Kämpfen den größten Theil ihres idealen Gehalts eingebüßt und damit auch die Macht über die Gemü¬ ther verloren. Die Literatur war nach der glänzenden, aber rasch erbleichen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/335>, abgerufen am 02.07.2024.