Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Es war für die katholische Kirche ein großer Vortheil, daß sie in keiner
Weise an ein bestimmtes politisches System gebunden war. Wie sie ohne
Bedenken das Wohl des Staates ihren kirchlichen Bestrebungen unterordnete,
so war ihr auch die Staatsform verhältnißmäßig gleichgültig. Einer ihrer be¬
gabtesten Führer, Falloux, besann sich in den Tagen nach der Februarrevolu¬
tion keinen Augenblick, seine alten legitimistischen Ueberzeugungen zu verleug¬
nen, und der Republik und den Republikanern seine wärmsten Huldigungen
darzubringen. Er feierte die edelmüthigen Instincte des siegreichen Pariser
Volkes mit den überschwänglichsten Lobsprüchen. Alle Männer von besonne¬
ner Ueberlegung können nach ihm gar nichts besseres thun, als sich nach dem
Beispiel richten, welches die Pariser im doppelten Taumel der Gefahr und
des Triumphes gegeben baben. Um seine ultramontanen Wähler für die Re¬
publik zu begeistern, verweist er sie auf die Freiheit, welche in den vereinigten
Staaten von Nordamerika die katholische Kirche genieße. Auch der streitbare,
Skandal- und händelsüchtige journalistische Vorkämpfer des Ultramontanismus,
Louis Beuillot, säumte nicht, der Republik den Zoll der Ehrerbietung und
Bewunderung darzubringen und die Monarchie als abgenutzte Institution in
die politische Rumpelkammer zu werfen. Wenige Monate vergehen, und wir
sehen die seltsamen Republikaner ihren ganzen Einfluß für die Wahl des
Prinzen Louis Napoleon Bonaparte zum Präsidenten aufbieten, grade
wie Thiers und viele andere Politiker der alten Schule es thaten, aber mit
dem Unterschiede, daß die Clericalen bei der Unterstützung, die sie dem Prä¬
tendenten gewährten, ihren Vortheil ganz anders im Auge behielten, als die
kurzsichtigen Conservativen. Sie traten zu dem Prinzen gewissermaßen in ein
Vertragsverhältniß; sie verpflichteten sich für ihn zu wirken, er versprach
ihnen für die weltliche Macht des Papstes einzutreten. Dies Bündniß war für
beide Theile von unschätzbarem Werthe. Napoleon zog diejenige Fraction der
großen conservativen Partei, die allein im Stande war, einen Einfluß auf
die Massen auszuüben, in seinen besonderen Dienst, und die Clericalen waren
überzeugt, daß der Prinz ihnen den versprochenen Lohn nicht werde vorent¬
halten können, weil derselbe ihrer Unterstützung nicht nur zur Erwerbung,
sondern auch zur Erhaltung der Herrschaft bedürfte und folglich auch für die
Zukunft ihres Wohlwollens nicht entbehren konnte. Sollte der lange geplante
Staatsstreich, der in Paris leicht genug durchzuführen war, dem Prinzen
Frucht bringen, so mußte er von der nachträglichen Zustimmung der Bauern
sanctionirt werden. Auf diese Zustimmung konnte er nur in dem Falle mit
Sicherheit rechnen, wenn die Geistlichkeit für die napoleonischen Ideen wirkte.
Und was für das nächste Plebiscit galt, das galt voraussichtlich auch für die
späteren Wahlen, bei denen es sich ja doch immer um eine feierliche Kundge¬
bung für oder gegen den Herrscher selbst und seine persönliche Politik handelte.


Es war für die katholische Kirche ein großer Vortheil, daß sie in keiner
Weise an ein bestimmtes politisches System gebunden war. Wie sie ohne
Bedenken das Wohl des Staates ihren kirchlichen Bestrebungen unterordnete,
so war ihr auch die Staatsform verhältnißmäßig gleichgültig. Einer ihrer be¬
gabtesten Führer, Falloux, besann sich in den Tagen nach der Februarrevolu¬
tion keinen Augenblick, seine alten legitimistischen Ueberzeugungen zu verleug¬
nen, und der Republik und den Republikanern seine wärmsten Huldigungen
darzubringen. Er feierte die edelmüthigen Instincte des siegreichen Pariser
Volkes mit den überschwänglichsten Lobsprüchen. Alle Männer von besonne¬
ner Ueberlegung können nach ihm gar nichts besseres thun, als sich nach dem
Beispiel richten, welches die Pariser im doppelten Taumel der Gefahr und
des Triumphes gegeben baben. Um seine ultramontanen Wähler für die Re¬
publik zu begeistern, verweist er sie auf die Freiheit, welche in den vereinigten
Staaten von Nordamerika die katholische Kirche genieße. Auch der streitbare,
Skandal- und händelsüchtige journalistische Vorkämpfer des Ultramontanismus,
Louis Beuillot, säumte nicht, der Republik den Zoll der Ehrerbietung und
Bewunderung darzubringen und die Monarchie als abgenutzte Institution in
die politische Rumpelkammer zu werfen. Wenige Monate vergehen, und wir
sehen die seltsamen Republikaner ihren ganzen Einfluß für die Wahl des
Prinzen Louis Napoleon Bonaparte zum Präsidenten aufbieten, grade
wie Thiers und viele andere Politiker der alten Schule es thaten, aber mit
dem Unterschiede, daß die Clericalen bei der Unterstützung, die sie dem Prä¬
tendenten gewährten, ihren Vortheil ganz anders im Auge behielten, als die
kurzsichtigen Conservativen. Sie traten zu dem Prinzen gewissermaßen in ein
Vertragsverhältniß; sie verpflichteten sich für ihn zu wirken, er versprach
ihnen für die weltliche Macht des Papstes einzutreten. Dies Bündniß war für
beide Theile von unschätzbarem Werthe. Napoleon zog diejenige Fraction der
großen conservativen Partei, die allein im Stande war, einen Einfluß auf
die Massen auszuüben, in seinen besonderen Dienst, und die Clericalen waren
überzeugt, daß der Prinz ihnen den versprochenen Lohn nicht werde vorent¬
halten können, weil derselbe ihrer Unterstützung nicht nur zur Erwerbung,
sondern auch zur Erhaltung der Herrschaft bedürfte und folglich auch für die
Zukunft ihres Wohlwollens nicht entbehren konnte. Sollte der lange geplante
Staatsstreich, der in Paris leicht genug durchzuführen war, dem Prinzen
Frucht bringen, so mußte er von der nachträglichen Zustimmung der Bauern
sanctionirt werden. Auf diese Zustimmung konnte er nur in dem Falle mit
Sicherheit rechnen, wenn die Geistlichkeit für die napoleonischen Ideen wirkte.
Und was für das nächste Plebiscit galt, das galt voraussichtlich auch für die
späteren Wahlen, bei denen es sich ja doch immer um eine feierliche Kundge¬
bung für oder gegen den Herrscher selbst und seine persönliche Politik handelte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126610"/>
            <p xml:id="ID_1028" next="#ID_1029"> Es war für die katholische Kirche ein großer Vortheil, daß sie in keiner<lb/>
Weise an ein bestimmtes politisches System gebunden war. Wie sie ohne<lb/>
Bedenken das Wohl des Staates ihren kirchlichen Bestrebungen unterordnete,<lb/>
so war ihr auch die Staatsform verhältnißmäßig gleichgültig. Einer ihrer be¬<lb/>
gabtesten Führer, Falloux, besann sich in den Tagen nach der Februarrevolu¬<lb/>
tion keinen Augenblick, seine alten legitimistischen Ueberzeugungen zu verleug¬<lb/>
nen, und der Republik und den Republikanern seine wärmsten Huldigungen<lb/>
darzubringen. Er feierte die edelmüthigen Instincte des siegreichen Pariser<lb/>
Volkes mit den überschwänglichsten Lobsprüchen. Alle Männer von besonne¬<lb/>
ner Ueberlegung können nach ihm gar nichts besseres thun, als sich nach dem<lb/>
Beispiel richten, welches die Pariser im doppelten Taumel der Gefahr und<lb/>
des Triumphes gegeben baben. Um seine ultramontanen Wähler für die Re¬<lb/>
publik zu begeistern, verweist er sie auf die Freiheit, welche in den vereinigten<lb/>
Staaten von Nordamerika die katholische Kirche genieße. Auch der streitbare,<lb/>
Skandal- und händelsüchtige journalistische Vorkämpfer des Ultramontanismus,<lb/>
Louis Beuillot, säumte nicht, der Republik den Zoll der Ehrerbietung und<lb/>
Bewunderung darzubringen und die Monarchie als abgenutzte Institution in<lb/>
die politische Rumpelkammer zu werfen. Wenige Monate vergehen, und wir<lb/>
sehen die seltsamen Republikaner ihren ganzen Einfluß für die Wahl des<lb/>
Prinzen Louis Napoleon Bonaparte zum Präsidenten aufbieten, grade<lb/>
wie Thiers und viele andere Politiker der alten Schule es thaten, aber mit<lb/>
dem Unterschiede, daß die Clericalen bei der Unterstützung, die sie dem Prä¬<lb/>
tendenten gewährten, ihren Vortheil ganz anders im Auge behielten, als die<lb/>
kurzsichtigen Conservativen. Sie traten zu dem Prinzen gewissermaßen in ein<lb/>
Vertragsverhältniß; sie verpflichteten sich für ihn zu wirken, er versprach<lb/>
ihnen für die weltliche Macht des Papstes einzutreten. Dies Bündniß war für<lb/>
beide Theile von unschätzbarem Werthe. Napoleon zog diejenige Fraction der<lb/>
großen conservativen Partei, die allein im Stande war, einen Einfluß auf<lb/>
die Massen auszuüben, in seinen besonderen Dienst, und die Clericalen waren<lb/>
überzeugt, daß der Prinz ihnen den versprochenen Lohn nicht werde vorent¬<lb/>
halten können, weil derselbe ihrer Unterstützung nicht nur zur Erwerbung,<lb/>
sondern auch zur Erhaltung der Herrschaft bedürfte und folglich auch für die<lb/>
Zukunft ihres Wohlwollens nicht entbehren konnte. Sollte der lange geplante<lb/>
Staatsstreich, der in Paris leicht genug durchzuführen war, dem Prinzen<lb/>
Frucht bringen, so mußte er von der nachträglichen Zustimmung der Bauern<lb/>
sanctionirt werden. Auf diese Zustimmung konnte er nur in dem Falle mit<lb/>
Sicherheit rechnen, wenn die Geistlichkeit für die napoleonischen Ideen wirkte.<lb/>
Und was für das nächste Plebiscit galt, das galt voraussichtlich auch für die<lb/>
späteren Wahlen, bei denen es sich ja doch immer um eine feierliche Kundge¬<lb/>
bung für oder gegen den Herrscher selbst und seine persönliche Politik handelte.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Es war für die katholische Kirche ein großer Vortheil, daß sie in keiner Weise an ein bestimmtes politisches System gebunden war. Wie sie ohne Bedenken das Wohl des Staates ihren kirchlichen Bestrebungen unterordnete, so war ihr auch die Staatsform verhältnißmäßig gleichgültig. Einer ihrer be¬ gabtesten Führer, Falloux, besann sich in den Tagen nach der Februarrevolu¬ tion keinen Augenblick, seine alten legitimistischen Ueberzeugungen zu verleug¬ nen, und der Republik und den Republikanern seine wärmsten Huldigungen darzubringen. Er feierte die edelmüthigen Instincte des siegreichen Pariser Volkes mit den überschwänglichsten Lobsprüchen. Alle Männer von besonne¬ ner Ueberlegung können nach ihm gar nichts besseres thun, als sich nach dem Beispiel richten, welches die Pariser im doppelten Taumel der Gefahr und des Triumphes gegeben baben. Um seine ultramontanen Wähler für die Re¬ publik zu begeistern, verweist er sie auf die Freiheit, welche in den vereinigten Staaten von Nordamerika die katholische Kirche genieße. Auch der streitbare, Skandal- und händelsüchtige journalistische Vorkämpfer des Ultramontanismus, Louis Beuillot, säumte nicht, der Republik den Zoll der Ehrerbietung und Bewunderung darzubringen und die Monarchie als abgenutzte Institution in die politische Rumpelkammer zu werfen. Wenige Monate vergehen, und wir sehen die seltsamen Republikaner ihren ganzen Einfluß für die Wahl des Prinzen Louis Napoleon Bonaparte zum Präsidenten aufbieten, grade wie Thiers und viele andere Politiker der alten Schule es thaten, aber mit dem Unterschiede, daß die Clericalen bei der Unterstützung, die sie dem Prä¬ tendenten gewährten, ihren Vortheil ganz anders im Auge behielten, als die kurzsichtigen Conservativen. Sie traten zu dem Prinzen gewissermaßen in ein Vertragsverhältniß; sie verpflichteten sich für ihn zu wirken, er versprach ihnen für die weltliche Macht des Papstes einzutreten. Dies Bündniß war für beide Theile von unschätzbarem Werthe. Napoleon zog diejenige Fraction der großen conservativen Partei, die allein im Stande war, einen Einfluß auf die Massen auszuüben, in seinen besonderen Dienst, und die Clericalen waren überzeugt, daß der Prinz ihnen den versprochenen Lohn nicht werde vorent¬ halten können, weil derselbe ihrer Unterstützung nicht nur zur Erwerbung, sondern auch zur Erhaltung der Herrschaft bedürfte und folglich auch für die Zukunft ihres Wohlwollens nicht entbehren konnte. Sollte der lange geplante Staatsstreich, der in Paris leicht genug durchzuführen war, dem Prinzen Frucht bringen, so mußte er von der nachträglichen Zustimmung der Bauern sanctionirt werden. Auf diese Zustimmung konnte er nur in dem Falle mit Sicherheit rechnen, wenn die Geistlichkeit für die napoleonischen Ideen wirkte. Und was für das nächste Plebiscit galt, das galt voraussichtlich auch für die späteren Wahlen, bei denen es sich ja doch immer um eine feierliche Kundge¬ bung für oder gegen den Herrscher selbst und seine persönliche Politik handelte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/334>, abgerufen am 30.06.2024.