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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Bewußtseins natürlich durchaus nicht die Rede war. Die Kirche, sobald sie
nur auf die Herrschaft im Staate verzichtete, erschien selbst freigeistig gesinn¬
ten und religiös indifferenten Staatsmännern als eine der Grundlagen der
gesellschaftlichen Ordnung.

So hatte sich das Verhältniß der Kirche zur Julimonarchie allmälig
ziemlich günstig gestaltet. Ueber die legitimistischen Neigungen eines Theils
des Clerus konnte die Regierung hinwegsehen, seit die legitimistische Partei
ihre Selbständigkeit in dem Bündniß mit den äußersten liberalen Parteien
eingebüßt hatte. Im Ganzen wirkte der Clerus im conservativen Sinne und
das um so eifriger, da das Beispiel Lamennais ihn mit tiefem Mißtrauen
erfüllt hatte gegen jeden Versuch, dem politischen Liberalismus oder vielmehr
Radicalismus eine Stätte aus kirchlichem Boden zu bereiten. Lamennais,
einst der glühende Vertreter des schroffsten Kirchenthums, hatte, zum Theil
wohl angeregt durch Se. Simonistische Ideen, die Kirche zur Trägerin der
Freiheit und des demokratischen Princips machen wollen. Aber je tiefer er sich
in seine demokratischen Ideen eingesponnen, um so weiter hatte er sich von
dem kirchlichen Standpunkt entfernt, von dem er ausgegangen war; es war
von dem Kirchenthum eben Nichts übrig geblieben als die religiöse Färbung
seiner Lehre und besonders seiner Darstellung. Romanisch war er geblieben,
aber er hatte aufgehört, ein Sohn der Kirche zu fein.

Diese und ähnliche Erfahrungen also ließen der Kirche, trotz ihrer Ab¬
neigung gegen das politische Princip der Bürgermonarchie, den gewaltsamen
Fall des Julithrons keineswegs als ein erwünschtes Ereigniß erscheinen. Sie
hatte entschiedene Fortschritte gemacht und die Gefahr lag nahe, daß die sieg¬
reiche Revolution ihre Spitze grade gegen die Geistlichkeit wenden möchte.
Indessen stellte sich nach den Februarereignissen bald heraus, daß diese Be¬
sorgnisse unbegründet waren. Entschieden kirchenfeindliche Gesinnungen, wie
1793 und auch 1830, fanden sich im Grunde bei keiner Partei, selbst bei den
Socialdemokraten nicht, die in der Herrschaft des absoluten Autoritätsprin¬
cips in der Kirche einen ihrem eignen Wesen verwandten Zug, wenn nicht
klar erkannten, doch ahnten, und denen vor Allem der Kampf gegen das
Bürgerthum keine Muße ließ, sich um Bischöfe und Pfarrer zu kümmern.
Die gemäßigten Republikaner, ganz abgesehen davon, daß unter den Führern
Mehrere entschieden kirchlich gesinnt (wenn auch keineswegs Freunde der hierar¬
chischen Bestrebungen) waren, dachten nicht daran, durch eine kirchenfeind¬
liche Haltung die Zahl ihrer Gegner zu vermehren. Die große konservative
Partei in allen ihren Schattirungen aber betrachtete den Clerus als ihren
natürlichen Verbündeten. So sah sich die Kirche bald von allen Seiten um¬
worben und sie verstand, diese Gunst der Verhältnisse mit meisterhafter
Geschicklichkeit auszubeuten.


Bewußtseins natürlich durchaus nicht die Rede war. Die Kirche, sobald sie
nur auf die Herrschaft im Staate verzichtete, erschien selbst freigeistig gesinn¬
ten und religiös indifferenten Staatsmännern als eine der Grundlagen der
gesellschaftlichen Ordnung.

So hatte sich das Verhältniß der Kirche zur Julimonarchie allmälig
ziemlich günstig gestaltet. Ueber die legitimistischen Neigungen eines Theils
des Clerus konnte die Regierung hinwegsehen, seit die legitimistische Partei
ihre Selbständigkeit in dem Bündniß mit den äußersten liberalen Parteien
eingebüßt hatte. Im Ganzen wirkte der Clerus im conservativen Sinne und
das um so eifriger, da das Beispiel Lamennais ihn mit tiefem Mißtrauen
erfüllt hatte gegen jeden Versuch, dem politischen Liberalismus oder vielmehr
Radicalismus eine Stätte aus kirchlichem Boden zu bereiten. Lamennais,
einst der glühende Vertreter des schroffsten Kirchenthums, hatte, zum Theil
wohl angeregt durch Se. Simonistische Ideen, die Kirche zur Trägerin der
Freiheit und des demokratischen Princips machen wollen. Aber je tiefer er sich
in seine demokratischen Ideen eingesponnen, um so weiter hatte er sich von
dem kirchlichen Standpunkt entfernt, von dem er ausgegangen war; es war
von dem Kirchenthum eben Nichts übrig geblieben als die religiöse Färbung
seiner Lehre und besonders seiner Darstellung. Romanisch war er geblieben,
aber er hatte aufgehört, ein Sohn der Kirche zu fein.

Diese und ähnliche Erfahrungen also ließen der Kirche, trotz ihrer Ab¬
neigung gegen das politische Princip der Bürgermonarchie, den gewaltsamen
Fall des Julithrons keineswegs als ein erwünschtes Ereigniß erscheinen. Sie
hatte entschiedene Fortschritte gemacht und die Gefahr lag nahe, daß die sieg¬
reiche Revolution ihre Spitze grade gegen die Geistlichkeit wenden möchte.
Indessen stellte sich nach den Februarereignissen bald heraus, daß diese Be¬
sorgnisse unbegründet waren. Entschieden kirchenfeindliche Gesinnungen, wie
1793 und auch 1830, fanden sich im Grunde bei keiner Partei, selbst bei den
Socialdemokraten nicht, die in der Herrschaft des absoluten Autoritätsprin¬
cips in der Kirche einen ihrem eignen Wesen verwandten Zug, wenn nicht
klar erkannten, doch ahnten, und denen vor Allem der Kampf gegen das
Bürgerthum keine Muße ließ, sich um Bischöfe und Pfarrer zu kümmern.
Die gemäßigten Republikaner, ganz abgesehen davon, daß unter den Führern
Mehrere entschieden kirchlich gesinnt (wenn auch keineswegs Freunde der hierar¬
chischen Bestrebungen) waren, dachten nicht daran, durch eine kirchenfeind¬
liche Haltung die Zahl ihrer Gegner zu vermehren. Die große konservative
Partei in allen ihren Schattirungen aber betrachtete den Clerus als ihren
natürlichen Verbündeten. So sah sich die Kirche bald von allen Seiten um¬
worben und sie verstand, diese Gunst der Verhältnisse mit meisterhafter
Geschicklichkeit auszubeuten.


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[0333] Bewußtseins natürlich durchaus nicht die Rede war. Die Kirche, sobald sie nur auf die Herrschaft im Staate verzichtete, erschien selbst freigeistig gesinn¬ ten und religiös indifferenten Staatsmännern als eine der Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung. So hatte sich das Verhältniß der Kirche zur Julimonarchie allmälig ziemlich günstig gestaltet. Ueber die legitimistischen Neigungen eines Theils des Clerus konnte die Regierung hinwegsehen, seit die legitimistische Partei ihre Selbständigkeit in dem Bündniß mit den äußersten liberalen Parteien eingebüßt hatte. Im Ganzen wirkte der Clerus im conservativen Sinne und das um so eifriger, da das Beispiel Lamennais ihn mit tiefem Mißtrauen erfüllt hatte gegen jeden Versuch, dem politischen Liberalismus oder vielmehr Radicalismus eine Stätte aus kirchlichem Boden zu bereiten. Lamennais, einst der glühende Vertreter des schroffsten Kirchenthums, hatte, zum Theil wohl angeregt durch Se. Simonistische Ideen, die Kirche zur Trägerin der Freiheit und des demokratischen Princips machen wollen. Aber je tiefer er sich in seine demokratischen Ideen eingesponnen, um so weiter hatte er sich von dem kirchlichen Standpunkt entfernt, von dem er ausgegangen war; es war von dem Kirchenthum eben Nichts übrig geblieben als die religiöse Färbung seiner Lehre und besonders seiner Darstellung. Romanisch war er geblieben, aber er hatte aufgehört, ein Sohn der Kirche zu fein. Diese und ähnliche Erfahrungen also ließen der Kirche, trotz ihrer Ab¬ neigung gegen das politische Princip der Bürgermonarchie, den gewaltsamen Fall des Julithrons keineswegs als ein erwünschtes Ereigniß erscheinen. Sie hatte entschiedene Fortschritte gemacht und die Gefahr lag nahe, daß die sieg¬ reiche Revolution ihre Spitze grade gegen die Geistlichkeit wenden möchte. Indessen stellte sich nach den Februarereignissen bald heraus, daß diese Be¬ sorgnisse unbegründet waren. Entschieden kirchenfeindliche Gesinnungen, wie 1793 und auch 1830, fanden sich im Grunde bei keiner Partei, selbst bei den Socialdemokraten nicht, die in der Herrschaft des absoluten Autoritätsprin¬ cips in der Kirche einen ihrem eignen Wesen verwandten Zug, wenn nicht klar erkannten, doch ahnten, und denen vor Allem der Kampf gegen das Bürgerthum keine Muße ließ, sich um Bischöfe und Pfarrer zu kümmern. Die gemäßigten Republikaner, ganz abgesehen davon, daß unter den Führern Mehrere entschieden kirchlich gesinnt (wenn auch keineswegs Freunde der hierar¬ chischen Bestrebungen) waren, dachten nicht daran, durch eine kirchenfeind¬ liche Haltung die Zahl ihrer Gegner zu vermehren. Die große konservative Partei in allen ihren Schattirungen aber betrachtete den Clerus als ihren natürlichen Verbündeten. So sah sich die Kirche bald von allen Seiten um¬ worben und sie verstand, diese Gunst der Verhältnisse mit meisterhafter Geschicklichkeit auszubeuten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/333>, abgerufen am 28.06.2024.