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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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hatte ihrer Bundesgenossenschaft nicht zu entrathen vermocht. Seinen bigot¬
ten Nachfolger hatte die ultrakirchliche Partei stets als einen der Ihrigen
angesehen. Völlig entsprach er als König den Erwartungen der Geistlichkeit
allerdings nicht, da seiner Ergebenheit gegen die Kirche und ihre Diener
seine despotischen Triebe einigermaßen das Gegengewicht hielten. Nichts¬
destoweniger aber war der Einfluß der clericalen Tendenzen in den Regie¬
rungskreisen außerordentlich groß.

Indessen war gerade durch die herrschsüchtige Einmischung des Clerus in
die Staatsangelegenheiten und durch sein enges Bündniß mit der politischen
Reaction das Ansehen der Kirche in der öffentlichen Meinung sehr erschüttert
worden; der Einfluß der Kirche auf die Gemüther, der unmittelbar nach der
Rückkehr der Bourbonen sehr groß gewesen war, hatte in dem Maße abge¬
nommen) als die politische Macht der Kirchenfürsten gewachsen war. Kirche
und Thron hatten sich nach der romantisch - reactionären Theorie gegenseitig
stützen sollen. In Wahrheit hatte aber der Thron die Kirche, die Kirche den
Thron compromittirt. In der Julimonarchie änderte sich dies Verhältniß:
die neue Regierung gestattete den kirchlichen Elementen keinen directen Einfluß
auf die Verwaltung, sie galt sogar vielfach für entschieden kirchenfeindlich.

Diese Ansicht war zwar übertrieben, aber Thatfache war es allerdings,
daß die Geistlichkeit von der Theilnahme an der Herrschaft völlig ausgeschlos¬
sen war und daß selbst der konservativen Partei ein Tendenzbündniß mit
dem Clerus fern lag. Die Kirche war klug genug, sich in die Verhältnisse
zu schicken. Sie verzichtete auf jeden Versuch, sich an der Leitung des Staa¬
tes unmittelbar zu betheiligen; sie vermied, die argwöhnische Aufmerksam¬
keit der öffentlichen Meinung auf sich zu lenken. Aber um so eifriger wirkte
sie im Stillen. Vor Allem suchte sie, auf die von der Verfassung gewährlei¬
stete Freiheit des Unterrichtswesens sich berufend, der Erziehung der Jugend
sich zu bemächtigen. Und mit glänzendem Erfolge. Die unter Martignacs
Verwaltung vertriebenen Jesuiten waren, wenn auch unter falschem Namen,
zurückgekehrt und hatten ihre Unterrichtsanstalten wieder geöffnet, die bald
ebenso in Aufnahme kamen, wie die von verwandten religiösen Gesellschaften
geleiteten Erziehungsanstalten für das weibliche Geschlecht. Zwar mußten
sie nach langwierigen Verhandlungen der von der öffentlichen Meinung ge¬
drängten Regierung mit dem Papste, auf die Weisung des römischen Stuhls
ihre Anstalten schließen. Wesentlich geändert wurde aber Nichts dadurch, da
sie unter neuer Maske neue Anstalten gründeten, die seltsamer Weise auch
von der Jugend der durchaus "voltairisch" gesinnten Kreise besucht wurden.
Es fing eben, seit der Clerus nicht mehr als politische Macht gefürchtet
wurde, an, in der gebildeten Welt Modesache zu werden, sich mit der Kirche
in ein gutes Verhältniß zu setzen, wobei von einer Vertiefung des religiösen


hatte ihrer Bundesgenossenschaft nicht zu entrathen vermocht. Seinen bigot¬
ten Nachfolger hatte die ultrakirchliche Partei stets als einen der Ihrigen
angesehen. Völlig entsprach er als König den Erwartungen der Geistlichkeit
allerdings nicht, da seiner Ergebenheit gegen die Kirche und ihre Diener
seine despotischen Triebe einigermaßen das Gegengewicht hielten. Nichts¬
destoweniger aber war der Einfluß der clericalen Tendenzen in den Regie¬
rungskreisen außerordentlich groß.

Indessen war gerade durch die herrschsüchtige Einmischung des Clerus in
die Staatsangelegenheiten und durch sein enges Bündniß mit der politischen
Reaction das Ansehen der Kirche in der öffentlichen Meinung sehr erschüttert
worden; der Einfluß der Kirche auf die Gemüther, der unmittelbar nach der
Rückkehr der Bourbonen sehr groß gewesen war, hatte in dem Maße abge¬
nommen) als die politische Macht der Kirchenfürsten gewachsen war. Kirche
und Thron hatten sich nach der romantisch - reactionären Theorie gegenseitig
stützen sollen. In Wahrheit hatte aber der Thron die Kirche, die Kirche den
Thron compromittirt. In der Julimonarchie änderte sich dies Verhältniß:
die neue Regierung gestattete den kirchlichen Elementen keinen directen Einfluß
auf die Verwaltung, sie galt sogar vielfach für entschieden kirchenfeindlich.

Diese Ansicht war zwar übertrieben, aber Thatfache war es allerdings,
daß die Geistlichkeit von der Theilnahme an der Herrschaft völlig ausgeschlos¬
sen war und daß selbst der konservativen Partei ein Tendenzbündniß mit
dem Clerus fern lag. Die Kirche war klug genug, sich in die Verhältnisse
zu schicken. Sie verzichtete auf jeden Versuch, sich an der Leitung des Staa¬
tes unmittelbar zu betheiligen; sie vermied, die argwöhnische Aufmerksam¬
keit der öffentlichen Meinung auf sich zu lenken. Aber um so eifriger wirkte
sie im Stillen. Vor Allem suchte sie, auf die von der Verfassung gewährlei¬
stete Freiheit des Unterrichtswesens sich berufend, der Erziehung der Jugend
sich zu bemächtigen. Und mit glänzendem Erfolge. Die unter Martignacs
Verwaltung vertriebenen Jesuiten waren, wenn auch unter falschem Namen,
zurückgekehrt und hatten ihre Unterrichtsanstalten wieder geöffnet, die bald
ebenso in Aufnahme kamen, wie die von verwandten religiösen Gesellschaften
geleiteten Erziehungsanstalten für das weibliche Geschlecht. Zwar mußten
sie nach langwierigen Verhandlungen der von der öffentlichen Meinung ge¬
drängten Regierung mit dem Papste, auf die Weisung des römischen Stuhls
ihre Anstalten schließen. Wesentlich geändert wurde aber Nichts dadurch, da
sie unter neuer Maske neue Anstalten gründeten, die seltsamer Weise auch
von der Jugend der durchaus „voltairisch" gesinnten Kreise besucht wurden.
Es fing eben, seit der Clerus nicht mehr als politische Macht gefürchtet
wurde, an, in der gebildeten Welt Modesache zu werden, sich mit der Kirche
in ein gutes Verhältniß zu setzen, wobei von einer Vertiefung des religiösen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/332>, abgerufen am 23.06.2024.