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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Provinzen kam, die der nationalen Einigung bisher am meisten widerstrebt
hatten. Manchem von ihnen gingen hier die Augen auf, und viele sah man,
wie sie Arm in Arm mit den Soldaten zogen, und sich erzählen ließen, was
die Preußen für "prächtige Kerle" sind.

Einen großen Antheil an der nationalen Bedeutung dieser Festtage hatte
unbestreitbar die Anwesenheit des Kronprinzen. Er verstand es, die Sympa¬
thien für den Norden in wahrhaft unerschöpflicher Weise zu beleben; seine
Erscheinung hatte alle Vorzüge, für die der süddeutsche Volksgeist besonders
empfänglich ist.

Das Ernste, Gemessene, das ihm eigen ist, gab der ganzen Persönlichkeit
etwas Würdevolles, ohne deshalb zu entfremden; denn auf Schritt und
Tritt verband es sich mit einer so schlichten und wahren Herzlichkeit, daß
keiner sich ausgeschlossen fühlte von diesem Wohlwollen. Die Bauern aus
dem bairischen Gebirg, welche den Kronprinzen sahen, waren geradezu ent¬
zückt von seiner kräftigen und treuherzigen Gestalt; die höheren Stände be¬
wunderten die ungezwungene Vornehmheit, mit der der einstige Gebieter von
Deutschland auftrat und was das Bürgerthum betraf, so hatte es ein rich¬
tiges Gefühl und eine angeborne Borliebe für jene echte Gediegenheit, die
das Ergebniß preußischer Disciplin ist.

So war denn der Kronprinz am ersten Tage schon der Liebling der ge°
sammlen Stadt geworden; hundert kleine persönliche Züge wurden von ihm
bekannt, die Herzen Aller flogen ihm entgegen. Und die Herzen, die ihm ge¬
hörten, gehören Deutschland; die nationale Sache war es ja, als deren Herold
er gefeiert ward.

Fassen wir das Gesagte zusammen, dann dürfen wir ohne weiteres be¬
haupten, daß der nationale Aufschwung, welchen Baiern seit wenigen Mo¬
naten genommen hat (wenigstens im Volke!), höchst bedeutend ist; er tritt
so entschieden auf, daß er in dieser Uebersicht nicht übergangen werden darf,
wenn nicht einer der wichtigsten Factoren außer Rechnung bleiben soll. Na¬
türlich sind die Einzugsfeste nicht der Grund hiervon, allein sie geben doch
immerhin die Gelegenheit, bei welcher derselbe zuerst kategorisch hervortrat;
und deshalb schien es uns geboten, eingehend darauf zurückzukommen.

Auf dem Gebiete der inneren Politik ist es noch immer die katholische
Bewegung, die mit ihren ministeriellen Verwicklungen das erste Interesse in
Anspruch nimmt. Auch hier liegen wichtige Ereignisse in Mitte. Bekanntlich
hat das altkatholische Comite in München eine großartige Versammlung für
Ende September angesetzt, um hierdurch den antiinfalliblen Bestrebungen eine
breitere Grundlage und einen internationalen Charakter zu leihen. Das
nähere Programm dieser Zusammenkunft ward durch eine Versammlung in
Heidelberg festgestellt und wenn auch nur wenig über den Inhalt desselben


Grenzboten II. 1871. 4t)

Provinzen kam, die der nationalen Einigung bisher am meisten widerstrebt
hatten. Manchem von ihnen gingen hier die Augen auf, und viele sah man,
wie sie Arm in Arm mit den Soldaten zogen, und sich erzählen ließen, was
die Preußen für „prächtige Kerle" sind.

Einen großen Antheil an der nationalen Bedeutung dieser Festtage hatte
unbestreitbar die Anwesenheit des Kronprinzen. Er verstand es, die Sympa¬
thien für den Norden in wahrhaft unerschöpflicher Weise zu beleben; seine
Erscheinung hatte alle Vorzüge, für die der süddeutsche Volksgeist besonders
empfänglich ist.

Das Ernste, Gemessene, das ihm eigen ist, gab der ganzen Persönlichkeit
etwas Würdevolles, ohne deshalb zu entfremden; denn auf Schritt und
Tritt verband es sich mit einer so schlichten und wahren Herzlichkeit, daß
keiner sich ausgeschlossen fühlte von diesem Wohlwollen. Die Bauern aus
dem bairischen Gebirg, welche den Kronprinzen sahen, waren geradezu ent¬
zückt von seiner kräftigen und treuherzigen Gestalt; die höheren Stände be¬
wunderten die ungezwungene Vornehmheit, mit der der einstige Gebieter von
Deutschland auftrat und was das Bürgerthum betraf, so hatte es ein rich¬
tiges Gefühl und eine angeborne Borliebe für jene echte Gediegenheit, die
das Ergebniß preußischer Disciplin ist.

So war denn der Kronprinz am ersten Tage schon der Liebling der ge°
sammlen Stadt geworden; hundert kleine persönliche Züge wurden von ihm
bekannt, die Herzen Aller flogen ihm entgegen. Und die Herzen, die ihm ge¬
hörten, gehören Deutschland; die nationale Sache war es ja, als deren Herold
er gefeiert ward.

Fassen wir das Gesagte zusammen, dann dürfen wir ohne weiteres be¬
haupten, daß der nationale Aufschwung, welchen Baiern seit wenigen Mo¬
naten genommen hat (wenigstens im Volke!), höchst bedeutend ist; er tritt
so entschieden auf, daß er in dieser Uebersicht nicht übergangen werden darf,
wenn nicht einer der wichtigsten Factoren außer Rechnung bleiben soll. Na¬
türlich sind die Einzugsfeste nicht der Grund hiervon, allein sie geben doch
immerhin die Gelegenheit, bei welcher derselbe zuerst kategorisch hervortrat;
und deshalb schien es uns geboten, eingehend darauf zurückzukommen.

Auf dem Gebiete der inneren Politik ist es noch immer die katholische
Bewegung, die mit ihren ministeriellen Verwicklungen das erste Interesse in
Anspruch nimmt. Auch hier liegen wichtige Ereignisse in Mitte. Bekanntlich
hat das altkatholische Comite in München eine großartige Versammlung für
Ende September angesetzt, um hierdurch den antiinfalliblen Bestrebungen eine
breitere Grundlage und einen internationalen Charakter zu leihen. Das
nähere Programm dieser Zusammenkunft ward durch eine Versammlung in
Heidelberg festgestellt und wenn auch nur wenig über den Inhalt desselben


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[0321] Provinzen kam, die der nationalen Einigung bisher am meisten widerstrebt hatten. Manchem von ihnen gingen hier die Augen auf, und viele sah man, wie sie Arm in Arm mit den Soldaten zogen, und sich erzählen ließen, was die Preußen für „prächtige Kerle" sind. Einen großen Antheil an der nationalen Bedeutung dieser Festtage hatte unbestreitbar die Anwesenheit des Kronprinzen. Er verstand es, die Sympa¬ thien für den Norden in wahrhaft unerschöpflicher Weise zu beleben; seine Erscheinung hatte alle Vorzüge, für die der süddeutsche Volksgeist besonders empfänglich ist. Das Ernste, Gemessene, das ihm eigen ist, gab der ganzen Persönlichkeit etwas Würdevolles, ohne deshalb zu entfremden; denn auf Schritt und Tritt verband es sich mit einer so schlichten und wahren Herzlichkeit, daß keiner sich ausgeschlossen fühlte von diesem Wohlwollen. Die Bauern aus dem bairischen Gebirg, welche den Kronprinzen sahen, waren geradezu ent¬ zückt von seiner kräftigen und treuherzigen Gestalt; die höheren Stände be¬ wunderten die ungezwungene Vornehmheit, mit der der einstige Gebieter von Deutschland auftrat und was das Bürgerthum betraf, so hatte es ein rich¬ tiges Gefühl und eine angeborne Borliebe für jene echte Gediegenheit, die das Ergebniß preußischer Disciplin ist. So war denn der Kronprinz am ersten Tage schon der Liebling der ge° sammlen Stadt geworden; hundert kleine persönliche Züge wurden von ihm bekannt, die Herzen Aller flogen ihm entgegen. Und die Herzen, die ihm ge¬ hörten, gehören Deutschland; die nationale Sache war es ja, als deren Herold er gefeiert ward. Fassen wir das Gesagte zusammen, dann dürfen wir ohne weiteres be¬ haupten, daß der nationale Aufschwung, welchen Baiern seit wenigen Mo¬ naten genommen hat (wenigstens im Volke!), höchst bedeutend ist; er tritt so entschieden auf, daß er in dieser Uebersicht nicht übergangen werden darf, wenn nicht einer der wichtigsten Factoren außer Rechnung bleiben soll. Na¬ türlich sind die Einzugsfeste nicht der Grund hiervon, allein sie geben doch immerhin die Gelegenheit, bei welcher derselbe zuerst kategorisch hervortrat; und deshalb schien es uns geboten, eingehend darauf zurückzukommen. Auf dem Gebiete der inneren Politik ist es noch immer die katholische Bewegung, die mit ihren ministeriellen Verwicklungen das erste Interesse in Anspruch nimmt. Auch hier liegen wichtige Ereignisse in Mitte. Bekanntlich hat das altkatholische Comite in München eine großartige Versammlung für Ende September angesetzt, um hierdurch den antiinfalliblen Bestrebungen eine breitere Grundlage und einen internationalen Charakter zu leihen. Das nähere Programm dieser Zusammenkunft ward durch eine Versammlung in Heidelberg festgestellt und wenn auch nur wenig über den Inhalt desselben Grenzboten II. 1871. 4t)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/321>, abgerufen am 24.07.2024.