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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Natürlich fällt uns nicht ein, den Verlauf dieser großen Tage hier zu
wiederholen, denn dieser ist ja längst Gemeingut der deutschen Lesewelt ge¬
worden. Was für uns in Betracht kommt, ist der politische Ertrag jener
Zeit, wenn wir so sagen dürfen, es ist die Frage, wie weit die Wirkungen
des schönen Augenblicks im Bewußtsein des Volkes lebendig geworden sind,
wieviel von demselben dauernd zurückblieb. Das natürlich ließ sich nicht
durch den ersten Anblick feststellen, die Zeit mußte erst unseren Standpunkt
auf jene Entfernung hinaufrücken, welcher die richtigen Proportionen giebt.

Es dünkt uns, daß wir heute auf demselben angekommen sind und daß
wir heute ungescheut behaupten dürfen, der Einfluß jener Stunden wog
Jahre des alltäglichen Lebens auf. Was er zunächst in glänzender Weise
feststellte, das war die Einheit zwischen Volk und Heer. Im deutschen Sü¬
den, der das preußische Wehrgesetz erst mit dem Jahre 1868 übernahm, ist
diese Idee noch keineswegs so populär, wie im Norden, und da sie ohne
Zweifel ein wesentlicher Factor für die Wehrkraft eines Volkes ist, so er¬
scheint der Sieg derselben als ein wesentlicher Gewinn. Er knüpft sich sicht¬
bar an diesen Tag der Wiederkehr, der dem Volke in Waffen galt und keine
Classe, nicht der Adel und nicht der Bauer schloß sich von der Gemeinschaft
dieses Gedankens aus.

Der zweite wesentliche Erfolg ist die innere Annäherung zwischen Nord
und Süd. Zwar war es uns nicht vergönnt, wie man erwartet hatte, einen
Theil der preußischen Truppen, etwa die 17. oder 22. Division in München
zu begrüßen, aber im Geiste waren sie doch mit uns und sichtbar waren sie
ja vertreten durch ihren glänzenden Führer, den Kronprinzen des Reiches.

Man hätte eigentlich befürchten dürfen, daß der Einzug bairischer Trup¬
pen in die bairische Residenz das locale Selbstgefühl empfindlich anregen
würde, daß das ganze Fest wohl einen wesentlich partieularistischen Charakter
haben könnte. Gerade das Gegentheil hiervon trat ein. An keinem Tage je
vorher hatte sich München so als deutsche Stadt gefühlt, und unsere Trup¬
pen ,so sehr als deutsche Soldaten wie eben dort. Der ganze ungeheure Um¬
schwung, den das letzte Jahr in allen Gemüthern wachgerufen, trat mit
voller, unbezwinglicher Gewalt hervor, Alt und Jung, Hoch und Nieder waren
von ihm gebannt. Und nicht allein die Bewohner der Stadt, deren Ein¬
drücke ja überall lebendiger und beweglicher sind, theilten dieses Gefühl, auch
vom Lande waren tausende und abertausende herbeigeströmt, die sich dem
Vollgefühle dessen, was sie sahen, unbehindert Hingaben, die es zum Theil erst
hier erfuhren, was es um die Größe des Vaterlandes ist. Deutschland, das
war der Name, der auf allen Lippen lag, für den im wahren Sinne dies
Fest gefeiert ward. Von besonderer Bedeutung ist es hierbei, daß der größte
Theil des Landvolks, welches nach München gekommen war, gerade aus jenen


Natürlich fällt uns nicht ein, den Verlauf dieser großen Tage hier zu
wiederholen, denn dieser ist ja längst Gemeingut der deutschen Lesewelt ge¬
worden. Was für uns in Betracht kommt, ist der politische Ertrag jener
Zeit, wenn wir so sagen dürfen, es ist die Frage, wie weit die Wirkungen
des schönen Augenblicks im Bewußtsein des Volkes lebendig geworden sind,
wieviel von demselben dauernd zurückblieb. Das natürlich ließ sich nicht
durch den ersten Anblick feststellen, die Zeit mußte erst unseren Standpunkt
auf jene Entfernung hinaufrücken, welcher die richtigen Proportionen giebt.

Es dünkt uns, daß wir heute auf demselben angekommen sind und daß
wir heute ungescheut behaupten dürfen, der Einfluß jener Stunden wog
Jahre des alltäglichen Lebens auf. Was er zunächst in glänzender Weise
feststellte, das war die Einheit zwischen Volk und Heer. Im deutschen Sü¬
den, der das preußische Wehrgesetz erst mit dem Jahre 1868 übernahm, ist
diese Idee noch keineswegs so populär, wie im Norden, und da sie ohne
Zweifel ein wesentlicher Factor für die Wehrkraft eines Volkes ist, so er¬
scheint der Sieg derselben als ein wesentlicher Gewinn. Er knüpft sich sicht¬
bar an diesen Tag der Wiederkehr, der dem Volke in Waffen galt und keine
Classe, nicht der Adel und nicht der Bauer schloß sich von der Gemeinschaft
dieses Gedankens aus.

Der zweite wesentliche Erfolg ist die innere Annäherung zwischen Nord
und Süd. Zwar war es uns nicht vergönnt, wie man erwartet hatte, einen
Theil der preußischen Truppen, etwa die 17. oder 22. Division in München
zu begrüßen, aber im Geiste waren sie doch mit uns und sichtbar waren sie
ja vertreten durch ihren glänzenden Führer, den Kronprinzen des Reiches.

Man hätte eigentlich befürchten dürfen, daß der Einzug bairischer Trup¬
pen in die bairische Residenz das locale Selbstgefühl empfindlich anregen
würde, daß das ganze Fest wohl einen wesentlich partieularistischen Charakter
haben könnte. Gerade das Gegentheil hiervon trat ein. An keinem Tage je
vorher hatte sich München so als deutsche Stadt gefühlt, und unsere Trup¬
pen ,so sehr als deutsche Soldaten wie eben dort. Der ganze ungeheure Um¬
schwung, den das letzte Jahr in allen Gemüthern wachgerufen, trat mit
voller, unbezwinglicher Gewalt hervor, Alt und Jung, Hoch und Nieder waren
von ihm gebannt. Und nicht allein die Bewohner der Stadt, deren Ein¬
drücke ja überall lebendiger und beweglicher sind, theilten dieses Gefühl, auch
vom Lande waren tausende und abertausende herbeigeströmt, die sich dem
Vollgefühle dessen, was sie sahen, unbehindert Hingaben, die es zum Theil erst
hier erfuhren, was es um die Größe des Vaterlandes ist. Deutschland, das
war der Name, der auf allen Lippen lag, für den im wahren Sinne dies
Fest gefeiert ward. Von besonderer Bedeutung ist es hierbei, daß der größte
Theil des Landvolks, welches nach München gekommen war, gerade aus jenen


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[0320] Natürlich fällt uns nicht ein, den Verlauf dieser großen Tage hier zu wiederholen, denn dieser ist ja längst Gemeingut der deutschen Lesewelt ge¬ worden. Was für uns in Betracht kommt, ist der politische Ertrag jener Zeit, wenn wir so sagen dürfen, es ist die Frage, wie weit die Wirkungen des schönen Augenblicks im Bewußtsein des Volkes lebendig geworden sind, wieviel von demselben dauernd zurückblieb. Das natürlich ließ sich nicht durch den ersten Anblick feststellen, die Zeit mußte erst unseren Standpunkt auf jene Entfernung hinaufrücken, welcher die richtigen Proportionen giebt. Es dünkt uns, daß wir heute auf demselben angekommen sind und daß wir heute ungescheut behaupten dürfen, der Einfluß jener Stunden wog Jahre des alltäglichen Lebens auf. Was er zunächst in glänzender Weise feststellte, das war die Einheit zwischen Volk und Heer. Im deutschen Sü¬ den, der das preußische Wehrgesetz erst mit dem Jahre 1868 übernahm, ist diese Idee noch keineswegs so populär, wie im Norden, und da sie ohne Zweifel ein wesentlicher Factor für die Wehrkraft eines Volkes ist, so er¬ scheint der Sieg derselben als ein wesentlicher Gewinn. Er knüpft sich sicht¬ bar an diesen Tag der Wiederkehr, der dem Volke in Waffen galt und keine Classe, nicht der Adel und nicht der Bauer schloß sich von der Gemeinschaft dieses Gedankens aus. Der zweite wesentliche Erfolg ist die innere Annäherung zwischen Nord und Süd. Zwar war es uns nicht vergönnt, wie man erwartet hatte, einen Theil der preußischen Truppen, etwa die 17. oder 22. Division in München zu begrüßen, aber im Geiste waren sie doch mit uns und sichtbar waren sie ja vertreten durch ihren glänzenden Führer, den Kronprinzen des Reiches. Man hätte eigentlich befürchten dürfen, daß der Einzug bairischer Trup¬ pen in die bairische Residenz das locale Selbstgefühl empfindlich anregen würde, daß das ganze Fest wohl einen wesentlich partieularistischen Charakter haben könnte. Gerade das Gegentheil hiervon trat ein. An keinem Tage je vorher hatte sich München so als deutsche Stadt gefühlt, und unsere Trup¬ pen ,so sehr als deutsche Soldaten wie eben dort. Der ganze ungeheure Um¬ schwung, den das letzte Jahr in allen Gemüthern wachgerufen, trat mit voller, unbezwinglicher Gewalt hervor, Alt und Jung, Hoch und Nieder waren von ihm gebannt. Und nicht allein die Bewohner der Stadt, deren Ein¬ drücke ja überall lebendiger und beweglicher sind, theilten dieses Gefühl, auch vom Lande waren tausende und abertausende herbeigeströmt, die sich dem Vollgefühle dessen, was sie sahen, unbehindert Hingaben, die es zum Theil erst hier erfuhren, was es um die Größe des Vaterlandes ist. Deutschland, das war der Name, der auf allen Lippen lag, für den im wahren Sinne dies Fest gefeiert ward. Von besonderer Bedeutung ist es hierbei, daß der größte Theil des Landvolks, welches nach München gekommen war, gerade aus jenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/320>, abgerufen am 24.07.2024.