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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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der Geschichte der germanischen Sprachen, als bei der Durchforschung der
Dichter des dreizehnten Jahrhunderts sich der Borarbeiten, die jene Männer
geliefert, mit Dank und Erfolg bediente. -- Aber auch aus anderen Gründen
ist uns jene Epoche elsässischen Lebens unvergeßlich! Unvergeßlich durch Goethe's
Schilderung seines Straßburger Aufenthaltes. Goethe hat -- wie Scherer
so schön bemerkt -- damit nicht bloß ein Kunstwerk geschaffen, worin wir
die blühende Landschaft bewundern mit den prächtigen wahren Gestalten, die
sie beleben, er hat damit zugleich dem Elsaß für alle Zeiten eine Stätte ge¬
wonnen in dem Herzen jedes Deutschen, ja er hat die Wiedereroberung
vorbereiten helfen; denn von den tausend sehnsüchtigen Gedanken, die wir
hinübersandten zu den fremdgewordenen Brüdern jenseit des Rheines -- wie
viele wären wohl gedacht, wie viele wären wohl gefühlt worden ohne Goethe's
Schilderung, ohne dieses bezaubernde Gemälde, getaucht in Sonnenglanz und
Aetherduft? Ein Stück von uns, ein bester Mensch, hat da drüben geliebt
und gelitten und ein Herz gekränkt -- ihn selbst übermannte die Rührung,
als er seine Schuld (Er nennt es so) erzählte.

Auch für das Elsaß brachten die letzten Zeiten des bourbonischen König¬
thums dieselben trostlosen Zustände, die sie in den andern Provinzen gro߬
zogen; dennoch fehlte Viel, daß hier derselbe Revolutionsgeist dadurch erzeugt
worden wäre, wie anderswo. Im Gegentheil, das Elsaß bewahrt eine con-
servative, fast möchte man sagen reactionäre Haltung. Aber was uns
am meisten interessirt, damals zuerst spricht man von den Vorrechten der
wirklich fremden Provinz, damals wieder, den Extravaganzen der fran¬
zösischen Gleichheitsmacher gegenüber, besinnt man sich ganz entschieden auf
seine deutsche Eigenart, man tritt für den Gebrauch der, deutschen Sprache
bei der Administration und im Gerichtswesen ein, und mehr als je zeigt sich
trotz aller scheinbaren Concessionen und Connivenzen der Gegensatz des deut¬
schen Wesens in jenem Zeitraume. Oft genug ward sie geschildert jene Epoche,
Material genug ein's Licht gefördert, aus dem sich entnehmen läßt, wie die
große, oft übertrieben gepriesene französische Revolution in anderen Ländern
und Städten gewirkt! Aber so gern wir diese Werke Dahlmann's
und v. Sybel's über den Verlauf jener Bewegung im Großen lesen,
vor den Provinziell- und Local-Revolutiönchen mit ihren sich aufblähenden
Jakobinerfratzen, mit ihren halb ekelhaften, halb komischen Bürgergeneralen
graut es uns; sind sie doch meist langweilige und abstoßende Bilder sinnloser
Verwirrung und kindischer Nachäfferei! Professor Lorenz hat es aber doch
verstanden, durch lebendige Darstellung und Gruppirung, durch ausführlichere
Charakteristik der leitenden Persönlichkeiten uns die Straßburger Revolutions¬
bewegung fesselnd vorzuführen. Unser ganzes Interesse ist diesem Theile des
Buches gesichert, das uns an der Entwickelung des Schicksals von Männern,


der Geschichte der germanischen Sprachen, als bei der Durchforschung der
Dichter des dreizehnten Jahrhunderts sich der Borarbeiten, die jene Männer
geliefert, mit Dank und Erfolg bediente. — Aber auch aus anderen Gründen
ist uns jene Epoche elsässischen Lebens unvergeßlich! Unvergeßlich durch Goethe's
Schilderung seines Straßburger Aufenthaltes. Goethe hat — wie Scherer
so schön bemerkt — damit nicht bloß ein Kunstwerk geschaffen, worin wir
die blühende Landschaft bewundern mit den prächtigen wahren Gestalten, die
sie beleben, er hat damit zugleich dem Elsaß für alle Zeiten eine Stätte ge¬
wonnen in dem Herzen jedes Deutschen, ja er hat die Wiedereroberung
vorbereiten helfen; denn von den tausend sehnsüchtigen Gedanken, die wir
hinübersandten zu den fremdgewordenen Brüdern jenseit des Rheines — wie
viele wären wohl gedacht, wie viele wären wohl gefühlt worden ohne Goethe's
Schilderung, ohne dieses bezaubernde Gemälde, getaucht in Sonnenglanz und
Aetherduft? Ein Stück von uns, ein bester Mensch, hat da drüben geliebt
und gelitten und ein Herz gekränkt — ihn selbst übermannte die Rührung,
als er seine Schuld (Er nennt es so) erzählte.

Auch für das Elsaß brachten die letzten Zeiten des bourbonischen König¬
thums dieselben trostlosen Zustände, die sie in den andern Provinzen gro߬
zogen; dennoch fehlte Viel, daß hier derselbe Revolutionsgeist dadurch erzeugt
worden wäre, wie anderswo. Im Gegentheil, das Elsaß bewahrt eine con-
servative, fast möchte man sagen reactionäre Haltung. Aber was uns
am meisten interessirt, damals zuerst spricht man von den Vorrechten der
wirklich fremden Provinz, damals wieder, den Extravaganzen der fran¬
zösischen Gleichheitsmacher gegenüber, besinnt man sich ganz entschieden auf
seine deutsche Eigenart, man tritt für den Gebrauch der, deutschen Sprache
bei der Administration und im Gerichtswesen ein, und mehr als je zeigt sich
trotz aller scheinbaren Concessionen und Connivenzen der Gegensatz des deut¬
schen Wesens in jenem Zeitraume. Oft genug ward sie geschildert jene Epoche,
Material genug ein's Licht gefördert, aus dem sich entnehmen läßt, wie die
große, oft übertrieben gepriesene französische Revolution in anderen Ländern
und Städten gewirkt! Aber so gern wir diese Werke Dahlmann's
und v. Sybel's über den Verlauf jener Bewegung im Großen lesen,
vor den Provinziell- und Local-Revolutiönchen mit ihren sich aufblähenden
Jakobinerfratzen, mit ihren halb ekelhaften, halb komischen Bürgergeneralen
graut es uns; sind sie doch meist langweilige und abstoßende Bilder sinnloser
Verwirrung und kindischer Nachäfferei! Professor Lorenz hat es aber doch
verstanden, durch lebendige Darstellung und Gruppirung, durch ausführlichere
Charakteristik der leitenden Persönlichkeiten uns die Straßburger Revolutions¬
bewegung fesselnd vorzuführen. Unser ganzes Interesse ist diesem Theile des
Buches gesichert, das uns an der Entwickelung des Schicksals von Männern,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/285>, abgerufen am 24.07.2024.