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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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lebendiger Darstellung aufgewiesen wird, "wie eine ganze Nation die heuch¬
lerische Phrase mit solcher Meisterschaft durch so lange Jahrhunderte in ihren
verschiedensten Gliedern schulmäßig gebrauchen lernt, um schließlich einen Raub
ohne Gleichen vollführen zu können." Seit Franz I. geht ein gleichartiger
Zug durch alle Verhandlungen zwischen Straßburg und den französischen
Königen, ein Zug bewunderungswürdiger Verführungskunst, die Köder wur¬
den gut gelegt. Auch während des Unternehmens Mansfelds im Elsaß, in
den Schwedenkriegen und dem trefflichen Bernhard von Weimar' gegenüber,
der sich im Elsaß ein deutsches Fürstentum zu schaffen bemühte, ruht diese
Politik der Franzosen nicht, man weiß, wie französische Hinterlist die Früchte
der ruhmvollen Thaten Bernhard's einheimste. Ein deutscher Offizier kleidete
seine Entrüstung damals in folgende kräftige Worte: Der letzte Stich gewinnt
das Spiel -- die Dame, um welche wir Deutsche mit Granaten, die Franzo¬
sen mit Ducaten, wir mit Musqueten, sie mit Pistolen, wir mit Pferd und
Infanterie, sie mit Furfanterie und geladenen Mauleseln, wir mit Schanzen,
sie mit Schenken, wir mit Feld-, sie mit Hofstücken, wir mit Schlagen, sie
mit Salben, wir mit Schießen und Stechen, sie mit Bestreichen und Schmie¬
ren, wir mit Blut, sie mit Gut, wir mit Kriegen, sie mit Trügen geworben;
was wir gewonnen mit Stürmen, haben wir mit Schirmen verloren. Der
Hahn ist im Korbe, sitzt auf fremden Eiern, (!) er hat den Nutzen, das Kränz¬
lein und den Preis, die andern den Sack. Doch man mochte schelten und
klagen, die Franzosen gewannen immer mehr an Terrain. So ging es denn
weiter, auch Straßburg fiel; die Geschichte seines Falles wird in ruhiger,
objectiver Weise erzählt, und als Folge nicht des Verrathes der Bürger, son¬
dern vielmehr der Uebermacht Frankreichs und. der Ohnmacht des deutschen
Reiches hingestellt.

Ein Freund, der auf lange Zeit Abschied nimmt, pflegt uns wohl ein
Andenken zu hinterlassen, womit er in dem Kreise seiner Lieben fortzuleben
hofft. Als Elsaß sich auf zwei Jahrhunderte von seinen deutschen Brüdern
trennte, hat es ihnen fast im Augenblicke des Scheidens ein Vermächtniß zu¬
gewandt, das im deutschen Geistesleben segensvoll gedieh und lange fortwirkte,
-- den Pietismus, den mächtigen Hebel unserer nationalen Entwickelung,
"der uns zum Theil zurückgegeben, was wir im zwölften und dreizehnten
Jahrhunderte besaßen." Mit Spener schritt uns freilich zum letzten Male
-- ein Elsässer als Führer voran. Was das Elsaß sonst in jener Zeit an
geistigen Capacitäten hervorbrachte, liegt nicht so sehr im Gebiete der Poesie,
als vielmehr in dem der Jurisprudenz, Geschichtsschreibung und Philologie
und wird durch die Schilt er, I. Ob erim, Scherz, S chweigh äuser, be¬
sonders aber durch I. D. Schöpflin (1694--177l) vertreten. Was die
erstgenannten Männer werth sind, zeigte erst Jacob Grimm, der sowohl bei


lebendiger Darstellung aufgewiesen wird, „wie eine ganze Nation die heuch¬
lerische Phrase mit solcher Meisterschaft durch so lange Jahrhunderte in ihren
verschiedensten Gliedern schulmäßig gebrauchen lernt, um schließlich einen Raub
ohne Gleichen vollführen zu können." Seit Franz I. geht ein gleichartiger
Zug durch alle Verhandlungen zwischen Straßburg und den französischen
Königen, ein Zug bewunderungswürdiger Verführungskunst, die Köder wur¬
den gut gelegt. Auch während des Unternehmens Mansfelds im Elsaß, in
den Schwedenkriegen und dem trefflichen Bernhard von Weimar' gegenüber,
der sich im Elsaß ein deutsches Fürstentum zu schaffen bemühte, ruht diese
Politik der Franzosen nicht, man weiß, wie französische Hinterlist die Früchte
der ruhmvollen Thaten Bernhard's einheimste. Ein deutscher Offizier kleidete
seine Entrüstung damals in folgende kräftige Worte: Der letzte Stich gewinnt
das Spiel — die Dame, um welche wir Deutsche mit Granaten, die Franzo¬
sen mit Ducaten, wir mit Musqueten, sie mit Pistolen, wir mit Pferd und
Infanterie, sie mit Furfanterie und geladenen Mauleseln, wir mit Schanzen,
sie mit Schenken, wir mit Feld-, sie mit Hofstücken, wir mit Schlagen, sie
mit Salben, wir mit Schießen und Stechen, sie mit Bestreichen und Schmie¬
ren, wir mit Blut, sie mit Gut, wir mit Kriegen, sie mit Trügen geworben;
was wir gewonnen mit Stürmen, haben wir mit Schirmen verloren. Der
Hahn ist im Korbe, sitzt auf fremden Eiern, (!) er hat den Nutzen, das Kränz¬
lein und den Preis, die andern den Sack. Doch man mochte schelten und
klagen, die Franzosen gewannen immer mehr an Terrain. So ging es denn
weiter, auch Straßburg fiel; die Geschichte seines Falles wird in ruhiger,
objectiver Weise erzählt, und als Folge nicht des Verrathes der Bürger, son¬
dern vielmehr der Uebermacht Frankreichs und. der Ohnmacht des deutschen
Reiches hingestellt.

Ein Freund, der auf lange Zeit Abschied nimmt, pflegt uns wohl ein
Andenken zu hinterlassen, womit er in dem Kreise seiner Lieben fortzuleben
hofft. Als Elsaß sich auf zwei Jahrhunderte von seinen deutschen Brüdern
trennte, hat es ihnen fast im Augenblicke des Scheidens ein Vermächtniß zu¬
gewandt, das im deutschen Geistesleben segensvoll gedieh und lange fortwirkte,
— den Pietismus, den mächtigen Hebel unserer nationalen Entwickelung,
„der uns zum Theil zurückgegeben, was wir im zwölften und dreizehnten
Jahrhunderte besaßen." Mit Spener schritt uns freilich zum letzten Male
— ein Elsässer als Führer voran. Was das Elsaß sonst in jener Zeit an
geistigen Capacitäten hervorbrachte, liegt nicht so sehr im Gebiete der Poesie,
als vielmehr in dem der Jurisprudenz, Geschichtsschreibung und Philologie
und wird durch die Schilt er, I. Ob erim, Scherz, S chweigh äuser, be¬
sonders aber durch I. D. Schöpflin (1694—177l) vertreten. Was die
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[0284] lebendiger Darstellung aufgewiesen wird, „wie eine ganze Nation die heuch¬ lerische Phrase mit solcher Meisterschaft durch so lange Jahrhunderte in ihren verschiedensten Gliedern schulmäßig gebrauchen lernt, um schließlich einen Raub ohne Gleichen vollführen zu können." Seit Franz I. geht ein gleichartiger Zug durch alle Verhandlungen zwischen Straßburg und den französischen Königen, ein Zug bewunderungswürdiger Verführungskunst, die Köder wur¬ den gut gelegt. Auch während des Unternehmens Mansfelds im Elsaß, in den Schwedenkriegen und dem trefflichen Bernhard von Weimar' gegenüber, der sich im Elsaß ein deutsches Fürstentum zu schaffen bemühte, ruht diese Politik der Franzosen nicht, man weiß, wie französische Hinterlist die Früchte der ruhmvollen Thaten Bernhard's einheimste. Ein deutscher Offizier kleidete seine Entrüstung damals in folgende kräftige Worte: Der letzte Stich gewinnt das Spiel — die Dame, um welche wir Deutsche mit Granaten, die Franzo¬ sen mit Ducaten, wir mit Musqueten, sie mit Pistolen, wir mit Pferd und Infanterie, sie mit Furfanterie und geladenen Mauleseln, wir mit Schanzen, sie mit Schenken, wir mit Feld-, sie mit Hofstücken, wir mit Schlagen, sie mit Salben, wir mit Schießen und Stechen, sie mit Bestreichen und Schmie¬ ren, wir mit Blut, sie mit Gut, wir mit Kriegen, sie mit Trügen geworben; was wir gewonnen mit Stürmen, haben wir mit Schirmen verloren. Der Hahn ist im Korbe, sitzt auf fremden Eiern, (!) er hat den Nutzen, das Kränz¬ lein und den Preis, die andern den Sack. Doch man mochte schelten und klagen, die Franzosen gewannen immer mehr an Terrain. So ging es denn weiter, auch Straßburg fiel; die Geschichte seines Falles wird in ruhiger, objectiver Weise erzählt, und als Folge nicht des Verrathes der Bürger, son¬ dern vielmehr der Uebermacht Frankreichs und. der Ohnmacht des deutschen Reiches hingestellt. Ein Freund, der auf lange Zeit Abschied nimmt, pflegt uns wohl ein Andenken zu hinterlassen, womit er in dem Kreise seiner Lieben fortzuleben hofft. Als Elsaß sich auf zwei Jahrhunderte von seinen deutschen Brüdern trennte, hat es ihnen fast im Augenblicke des Scheidens ein Vermächtniß zu¬ gewandt, das im deutschen Geistesleben segensvoll gedieh und lange fortwirkte, — den Pietismus, den mächtigen Hebel unserer nationalen Entwickelung, „der uns zum Theil zurückgegeben, was wir im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte besaßen." Mit Spener schritt uns freilich zum letzten Male — ein Elsässer als Führer voran. Was das Elsaß sonst in jener Zeit an geistigen Capacitäten hervorbrachte, liegt nicht so sehr im Gebiete der Poesie, als vielmehr in dem der Jurisprudenz, Geschichtsschreibung und Philologie und wird durch die Schilt er, I. Ob erim, Scherz, S chweigh äuser, be¬ sonders aber durch I. D. Schöpflin (1694—177l) vertreten. Was die erstgenannten Männer werth sind, zeigte erst Jacob Grimm, der sowohl bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/284>, abgerufen am 25.07.2024.