Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und zu erkennen, dürfen wir nicht verabsäumen, wenn wir nicht in jener traurigen
Wortreiterei des positiven Gesetzes, vor der nicht genug gewarnt werden kann,
untergehen und auf die Darlegung der leitenden Gedanken verzichten wollen,
ohne deren Besitz die Gesetzgebung zum Spielball willkührlicher und verräthe-
rischer Zweckmäßigkeitsrücksichten wird.

Ebendeßhalb wird weder das römische, noch das germanische Recht künf¬
tig werthlos. Das deutsche, wie das römische Recht muß nach wie vor ge¬
lehrt werden, zumal das römische, das seit Jahrhunderten der Aus¬
gangspunkt unserer juristischen Bildung, die Grundlage der juristischen
Auffassung gewesen ist. Der enragirteste Eifer für nationales Recht ver¬
mag Geschehenes nicht ungeschehen zu machen, vermag nicht die römisch¬
rechtliche Denkweise, in der wir geboren und erzogen sind, durch eine dunkle
Erinnerung an altgermanische Art zu ersetzen. Aber römisches, wie älteres
deutsches Recht wird durch die Codification auf seinen wahren Werth zurück¬
geführt, der jetzt noch bis zu der unwahren Prätension, unmittelbar gel¬
tendes Recht zu sein, übertrieben erscheint. Dem einheitlichen nationalen Pri¬
vatrecht gegenüber, welches die Gesetzgebung des Reiches schaffen soll, tritt
das germanische und das römische Recht in eine Stellung, welche dasselbe für
die juristische Gesammtbildung als eine in demselben Sinne wesentliche Disci¬
plin gelten läßt, wie dies für die philologische Erziehung mit der lateinischen
Sprache und Literatur der Fall ist, aber den Stoff derselben, den Bestand
des römischen Rechts, vom rein geschichtlichen Standpunkte, der nichts mehr
davon weiß, daß jenes Recht darum, weil es römisches, doch die Norm un¬
serer heutigen Rechtsbeziehungen sein müsse, betrachten heißt.

Es bedarf wohl nur weniger Andeutungen, um klar zu machen, welchen
Einfluß die Neugestaltung der Legislation nach dieser Seite hin auf die Lehre
äußern, wie energisch sie das so lange gestörte richtige Verhältniß zurecht
rücken muß. Sollte Jemand daran noch zweifeln, daß die dargestellte Folge
nothwendig sei, so braucht nur auf die Erfahrung an dem Handelsrecht hin¬
gewiesen zu werden. Die Lehre des Handelsrechts hat in dem Handelsgesetzbuch
ihre Basis. Römisches und deutsches Recht sind Hilfsmittel der geschichtlichen
Erklärung, der wissenschaftlichen Begründung und Ergänzung, aber dem nun¬
mehr auch formell als einheitliches Recht geltenden Reichsgesetzbuch gegenüber
auch Nichts mehr. Gerade so wird die Folge eines Reichsgesetzbuchs über
Obligationenrecht, über das Eigenthums- und Hypothekenrecht, und was sonst
kommen mag, beschaffen sein.

Unschwer ist vorauszusehen, daß in vielen Theilen des Privatrechts sogar
das zeitherige Recht, römisches oder deutsches, in weite Ferne zurückgedrängt
werden wird. Die Gesetzgebung ist nicht eben in der Laune, die Verbin¬
dung zu suchen und zu hegen. Vielfach wird man, wie Beispiele darthun,


und zu erkennen, dürfen wir nicht verabsäumen, wenn wir nicht in jener traurigen
Wortreiterei des positiven Gesetzes, vor der nicht genug gewarnt werden kann,
untergehen und auf die Darlegung der leitenden Gedanken verzichten wollen,
ohne deren Besitz die Gesetzgebung zum Spielball willkührlicher und verräthe-
rischer Zweckmäßigkeitsrücksichten wird.

Ebendeßhalb wird weder das römische, noch das germanische Recht künf¬
tig werthlos. Das deutsche, wie das römische Recht muß nach wie vor ge¬
lehrt werden, zumal das römische, das seit Jahrhunderten der Aus¬
gangspunkt unserer juristischen Bildung, die Grundlage der juristischen
Auffassung gewesen ist. Der enragirteste Eifer für nationales Recht ver¬
mag Geschehenes nicht ungeschehen zu machen, vermag nicht die römisch¬
rechtliche Denkweise, in der wir geboren und erzogen sind, durch eine dunkle
Erinnerung an altgermanische Art zu ersetzen. Aber römisches, wie älteres
deutsches Recht wird durch die Codification auf seinen wahren Werth zurück¬
geführt, der jetzt noch bis zu der unwahren Prätension, unmittelbar gel¬
tendes Recht zu sein, übertrieben erscheint. Dem einheitlichen nationalen Pri¬
vatrecht gegenüber, welches die Gesetzgebung des Reiches schaffen soll, tritt
das germanische und das römische Recht in eine Stellung, welche dasselbe für
die juristische Gesammtbildung als eine in demselben Sinne wesentliche Disci¬
plin gelten läßt, wie dies für die philologische Erziehung mit der lateinischen
Sprache und Literatur der Fall ist, aber den Stoff derselben, den Bestand
des römischen Rechts, vom rein geschichtlichen Standpunkte, der nichts mehr
davon weiß, daß jenes Recht darum, weil es römisches, doch die Norm un¬
serer heutigen Rechtsbeziehungen sein müsse, betrachten heißt.

Es bedarf wohl nur weniger Andeutungen, um klar zu machen, welchen
Einfluß die Neugestaltung der Legislation nach dieser Seite hin auf die Lehre
äußern, wie energisch sie das so lange gestörte richtige Verhältniß zurecht
rücken muß. Sollte Jemand daran noch zweifeln, daß die dargestellte Folge
nothwendig sei, so braucht nur auf die Erfahrung an dem Handelsrecht hin¬
gewiesen zu werden. Die Lehre des Handelsrechts hat in dem Handelsgesetzbuch
ihre Basis. Römisches und deutsches Recht sind Hilfsmittel der geschichtlichen
Erklärung, der wissenschaftlichen Begründung und Ergänzung, aber dem nun¬
mehr auch formell als einheitliches Recht geltenden Reichsgesetzbuch gegenüber
auch Nichts mehr. Gerade so wird die Folge eines Reichsgesetzbuchs über
Obligationenrecht, über das Eigenthums- und Hypothekenrecht, und was sonst
kommen mag, beschaffen sein.

Unschwer ist vorauszusehen, daß in vielen Theilen des Privatrechts sogar
das zeitherige Recht, römisches oder deutsches, in weite Ferne zurückgedrängt
werden wird. Die Gesetzgebung ist nicht eben in der Laune, die Verbin¬
dung zu suchen und zu hegen. Vielfach wird man, wie Beispiele darthun,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126552"/>
          <p xml:id="ID_870" prev="#ID_869"> und zu erkennen, dürfen wir nicht verabsäumen, wenn wir nicht in jener traurigen<lb/>
Wortreiterei des positiven Gesetzes, vor der nicht genug gewarnt werden kann,<lb/>
untergehen und auf die Darlegung der leitenden Gedanken verzichten wollen,<lb/>
ohne deren Besitz die Gesetzgebung zum Spielball willkührlicher und verräthe-<lb/>
rischer Zweckmäßigkeitsrücksichten wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_871"> Ebendeßhalb wird weder das römische, noch das germanische Recht künf¬<lb/>
tig werthlos. Das deutsche, wie das römische Recht muß nach wie vor ge¬<lb/>
lehrt werden, zumal das römische, das seit Jahrhunderten der Aus¬<lb/>
gangspunkt unserer juristischen Bildung, die Grundlage der juristischen<lb/>
Auffassung gewesen ist. Der enragirteste Eifer für nationales Recht ver¬<lb/>
mag Geschehenes nicht ungeschehen zu machen, vermag nicht die römisch¬<lb/>
rechtliche Denkweise, in der wir geboren und erzogen sind, durch eine dunkle<lb/>
Erinnerung an altgermanische Art zu ersetzen. Aber römisches, wie älteres<lb/>
deutsches Recht wird durch die Codification auf seinen wahren Werth zurück¬<lb/>
geführt, der jetzt noch bis zu der unwahren Prätension, unmittelbar gel¬<lb/>
tendes Recht zu sein, übertrieben erscheint. Dem einheitlichen nationalen Pri¬<lb/>
vatrecht gegenüber, welches die Gesetzgebung des Reiches schaffen soll, tritt<lb/>
das germanische und das römische Recht in eine Stellung, welche dasselbe für<lb/>
die juristische Gesammtbildung als eine in demselben Sinne wesentliche Disci¬<lb/>
plin gelten läßt, wie dies für die philologische Erziehung mit der lateinischen<lb/>
Sprache und Literatur der Fall ist, aber den Stoff derselben, den Bestand<lb/>
des römischen Rechts, vom rein geschichtlichen Standpunkte, der nichts mehr<lb/>
davon weiß, daß jenes Recht darum, weil es römisches, doch die Norm un¬<lb/>
serer heutigen Rechtsbeziehungen sein müsse, betrachten heißt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_872"> Es bedarf wohl nur weniger Andeutungen, um klar zu machen, welchen<lb/>
Einfluß die Neugestaltung der Legislation nach dieser Seite hin auf die Lehre<lb/>
äußern, wie energisch sie das so lange gestörte richtige Verhältniß zurecht<lb/>
rücken muß. Sollte Jemand daran noch zweifeln, daß die dargestellte Folge<lb/>
nothwendig sei, so braucht nur auf die Erfahrung an dem Handelsrecht hin¬<lb/>
gewiesen zu werden. Die Lehre des Handelsrechts hat in dem Handelsgesetzbuch<lb/>
ihre Basis. Römisches und deutsches Recht sind Hilfsmittel der geschichtlichen<lb/>
Erklärung, der wissenschaftlichen Begründung und Ergänzung, aber dem nun¬<lb/>
mehr auch formell als einheitliches Recht geltenden Reichsgesetzbuch gegenüber<lb/>
auch Nichts mehr. Gerade so wird die Folge eines Reichsgesetzbuchs über<lb/>
Obligationenrecht, über das Eigenthums- und Hypothekenrecht, und was sonst<lb/>
kommen mag, beschaffen sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_873" next="#ID_874"> Unschwer ist vorauszusehen, daß in vielen Theilen des Privatrechts sogar<lb/>
das zeitherige Recht, römisches oder deutsches, in weite Ferne zurückgedrängt<lb/>
werden wird. Die Gesetzgebung ist nicht eben in der Laune, die Verbin¬<lb/>
dung zu suchen und zu hegen.  Vielfach wird man, wie Beispiele darthun,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] und zu erkennen, dürfen wir nicht verabsäumen, wenn wir nicht in jener traurigen Wortreiterei des positiven Gesetzes, vor der nicht genug gewarnt werden kann, untergehen und auf die Darlegung der leitenden Gedanken verzichten wollen, ohne deren Besitz die Gesetzgebung zum Spielball willkührlicher und verräthe- rischer Zweckmäßigkeitsrücksichten wird. Ebendeßhalb wird weder das römische, noch das germanische Recht künf¬ tig werthlos. Das deutsche, wie das römische Recht muß nach wie vor ge¬ lehrt werden, zumal das römische, das seit Jahrhunderten der Aus¬ gangspunkt unserer juristischen Bildung, die Grundlage der juristischen Auffassung gewesen ist. Der enragirteste Eifer für nationales Recht ver¬ mag Geschehenes nicht ungeschehen zu machen, vermag nicht die römisch¬ rechtliche Denkweise, in der wir geboren und erzogen sind, durch eine dunkle Erinnerung an altgermanische Art zu ersetzen. Aber römisches, wie älteres deutsches Recht wird durch die Codification auf seinen wahren Werth zurück¬ geführt, der jetzt noch bis zu der unwahren Prätension, unmittelbar gel¬ tendes Recht zu sein, übertrieben erscheint. Dem einheitlichen nationalen Pri¬ vatrecht gegenüber, welches die Gesetzgebung des Reiches schaffen soll, tritt das germanische und das römische Recht in eine Stellung, welche dasselbe für die juristische Gesammtbildung als eine in demselben Sinne wesentliche Disci¬ plin gelten läßt, wie dies für die philologische Erziehung mit der lateinischen Sprache und Literatur der Fall ist, aber den Stoff derselben, den Bestand des römischen Rechts, vom rein geschichtlichen Standpunkte, der nichts mehr davon weiß, daß jenes Recht darum, weil es römisches, doch die Norm un¬ serer heutigen Rechtsbeziehungen sein müsse, betrachten heißt. Es bedarf wohl nur weniger Andeutungen, um klar zu machen, welchen Einfluß die Neugestaltung der Legislation nach dieser Seite hin auf die Lehre äußern, wie energisch sie das so lange gestörte richtige Verhältniß zurecht rücken muß. Sollte Jemand daran noch zweifeln, daß die dargestellte Folge nothwendig sei, so braucht nur auf die Erfahrung an dem Handelsrecht hin¬ gewiesen zu werden. Die Lehre des Handelsrechts hat in dem Handelsgesetzbuch ihre Basis. Römisches und deutsches Recht sind Hilfsmittel der geschichtlichen Erklärung, der wissenschaftlichen Begründung und Ergänzung, aber dem nun¬ mehr auch formell als einheitliches Recht geltenden Reichsgesetzbuch gegenüber auch Nichts mehr. Gerade so wird die Folge eines Reichsgesetzbuchs über Obligationenrecht, über das Eigenthums- und Hypothekenrecht, und was sonst kommen mag, beschaffen sein. Unschwer ist vorauszusehen, daß in vielen Theilen des Privatrechts sogar das zeitherige Recht, römisches oder deutsches, in weite Ferne zurückgedrängt werden wird. Die Gesetzgebung ist nicht eben in der Laune, die Verbin¬ dung zu suchen und zu hegen. Vielfach wird man, wie Beispiele darthun,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/276>, abgerufen am 25.07.2024.