Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit dem traditionellen Recht total brechen und ganz neue Rechtsbe¬
griffe aufstellen. Umsomehr ist es bei solcher Ungunst für die Lehre rathsam,
ihre Lage zu bedenken und die Position zu ergreisen, die sie mit Ehre und
Erfolg behaupten kann.

Wir werden mithin, soweit die Reichsgesetzgebung vorschreitet, demnächst
eine Borlesung des praktischen Civilrechts haben müssen. Diese wird, wenn
sie wissenschaftlich sein soll, die Entstehung der Rechtssätze, sei es aus deut¬
schen, sei es aus römischen Elementen, darzulegen haben. Römisches und alt¬
deutsches Recht aber werden insoweit nur noch als Rechtsgeschichte gelehrt
werden.

Offenbar erscheint das durchaus verständig und als dem wahren Verhält¬
niß entsprechend durchaus erwünscht. Leider trübt sich die Aussicht einiger¬
maßen durch den Gedanken, daß uns vorerst eine Codification des gesammten
Privatrechts nicht beschieden sein wird. In der Reichsverfassung ist bekannt¬
lich der Reichsgewalt in Betreff der Rechtsgesetzgebung nur eine bescheidene
Competenz zugebilligt worden; und ob wir gleich, gestützt auf die Erfahrung
und nicht sehr in Sorge um die bekannten Competenzbedenken, glauben, daß
jene Competenzausmessung in letzter Linie so wenig der ausdrücklichen Erwei¬
terung dauernd eine unübersteigliche Schranke ziehen wird, wie sie der manch¬
mal, ehrlich gestanden, durch die Noth gebotenen, aber verwegenen Ausdeh¬
nungsinterpretation eine Schranke gezogen hat, so liegen doch andere Gründe
vor, welche mehr als wahrscheinlich machen, daß man sich nicht so leicht und
so schnell dazu entschließen wird, auch die dem Particularrecht dermalen noch
vorbehaltenen Partien aufzuräumen. Eine gewisse juristische Sentimentalität
spielt dabei selbst in den Kreisen der Reichsgesetzgebung eine größere Rolle,
als man wünschen möchte. Es lautet so klug und weise, bei allem Centrali¬
sationseifer nach der einen Seite hin, doch auch wieder von der Berechtigung
und nothwendigen Schonung mannigfaltiger particularer Rechtsinstitutionen
zu reden. Indessen, so gut sich nachweisen ließe, daß dabei viele falsche Ein¬
bildungen mit unterlaufen, daß es eine Wohlthat wäre, auch solche Dinge
einheitlich zu regeln, daß nicht abzusehen ist, weshalb es unmöglich sein sollte,
der deutschen Nation darin zu derselben Wohlthat zu verhelfen, welche andere
erlangt haben, und daß es bei dem Umbau, der für unsern Rechtszustand
einmal vorgenommen wird, kein Unglück sein kann, wenn so und so viel
" verbaute Kammern mehr eingeschlagen werden -- vorerst ist uns nur das
gemeinsame Obligationenrecht in Sicht gestellt.

Denken wir uns nun dasselbe, so eng oder so ausgedehnt die Reichsge¬
setzgebung den Begriff nehmen mag, ausgeführt, so tritt in diesem Zweige
des Privatrechts für die Lehre die so eben von uns geschilderte Lage ein. Im
Uebrigen bleibt es beim Alten. Leicht gesprochen, aber schwer gethan.


mit dem traditionellen Recht total brechen und ganz neue Rechtsbe¬
griffe aufstellen. Umsomehr ist es bei solcher Ungunst für die Lehre rathsam,
ihre Lage zu bedenken und die Position zu ergreisen, die sie mit Ehre und
Erfolg behaupten kann.

Wir werden mithin, soweit die Reichsgesetzgebung vorschreitet, demnächst
eine Borlesung des praktischen Civilrechts haben müssen. Diese wird, wenn
sie wissenschaftlich sein soll, die Entstehung der Rechtssätze, sei es aus deut¬
schen, sei es aus römischen Elementen, darzulegen haben. Römisches und alt¬
deutsches Recht aber werden insoweit nur noch als Rechtsgeschichte gelehrt
werden.

Offenbar erscheint das durchaus verständig und als dem wahren Verhält¬
niß entsprechend durchaus erwünscht. Leider trübt sich die Aussicht einiger¬
maßen durch den Gedanken, daß uns vorerst eine Codification des gesammten
Privatrechts nicht beschieden sein wird. In der Reichsverfassung ist bekannt¬
lich der Reichsgewalt in Betreff der Rechtsgesetzgebung nur eine bescheidene
Competenz zugebilligt worden; und ob wir gleich, gestützt auf die Erfahrung
und nicht sehr in Sorge um die bekannten Competenzbedenken, glauben, daß
jene Competenzausmessung in letzter Linie so wenig der ausdrücklichen Erwei¬
terung dauernd eine unübersteigliche Schranke ziehen wird, wie sie der manch¬
mal, ehrlich gestanden, durch die Noth gebotenen, aber verwegenen Ausdeh¬
nungsinterpretation eine Schranke gezogen hat, so liegen doch andere Gründe
vor, welche mehr als wahrscheinlich machen, daß man sich nicht so leicht und
so schnell dazu entschließen wird, auch die dem Particularrecht dermalen noch
vorbehaltenen Partien aufzuräumen. Eine gewisse juristische Sentimentalität
spielt dabei selbst in den Kreisen der Reichsgesetzgebung eine größere Rolle,
als man wünschen möchte. Es lautet so klug und weise, bei allem Centrali¬
sationseifer nach der einen Seite hin, doch auch wieder von der Berechtigung
und nothwendigen Schonung mannigfaltiger particularer Rechtsinstitutionen
zu reden. Indessen, so gut sich nachweisen ließe, daß dabei viele falsche Ein¬
bildungen mit unterlaufen, daß es eine Wohlthat wäre, auch solche Dinge
einheitlich zu regeln, daß nicht abzusehen ist, weshalb es unmöglich sein sollte,
der deutschen Nation darin zu derselben Wohlthat zu verhelfen, welche andere
erlangt haben, und daß es bei dem Umbau, der für unsern Rechtszustand
einmal vorgenommen wird, kein Unglück sein kann, wenn so und so viel
» verbaute Kammern mehr eingeschlagen werden — vorerst ist uns nur das
gemeinsame Obligationenrecht in Sicht gestellt.

Denken wir uns nun dasselbe, so eng oder so ausgedehnt die Reichsge¬
setzgebung den Begriff nehmen mag, ausgeführt, so tritt in diesem Zweige
des Privatrechts für die Lehre die so eben von uns geschilderte Lage ein. Im
Uebrigen bleibt es beim Alten. Leicht gesprochen, aber schwer gethan.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126553"/>
          <p xml:id="ID_874" prev="#ID_873"> mit dem traditionellen Recht total brechen und ganz neue Rechtsbe¬<lb/>
griffe aufstellen. Umsomehr ist es bei solcher Ungunst für die Lehre rathsam,<lb/>
ihre Lage zu bedenken und die Position zu ergreisen, die sie mit Ehre und<lb/>
Erfolg behaupten kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_875"> Wir werden mithin, soweit die Reichsgesetzgebung vorschreitet, demnächst<lb/>
eine Borlesung des praktischen Civilrechts haben müssen. Diese wird, wenn<lb/>
sie wissenschaftlich sein soll, die Entstehung der Rechtssätze, sei es aus deut¬<lb/>
schen, sei es aus römischen Elementen, darzulegen haben. Römisches und alt¬<lb/>
deutsches Recht aber werden insoweit nur noch als Rechtsgeschichte gelehrt<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_876"> Offenbar erscheint das durchaus verständig und als dem wahren Verhält¬<lb/>
niß entsprechend durchaus erwünscht. Leider trübt sich die Aussicht einiger¬<lb/>
maßen durch den Gedanken, daß uns vorerst eine Codification des gesammten<lb/>
Privatrechts nicht beschieden sein wird. In der Reichsverfassung ist bekannt¬<lb/>
lich der Reichsgewalt in Betreff der Rechtsgesetzgebung nur eine bescheidene<lb/>
Competenz zugebilligt worden; und ob wir gleich, gestützt auf die Erfahrung<lb/>
und nicht sehr in Sorge um die bekannten Competenzbedenken, glauben, daß<lb/>
jene Competenzausmessung in letzter Linie so wenig der ausdrücklichen Erwei¬<lb/>
terung dauernd eine unübersteigliche Schranke ziehen wird, wie sie der manch¬<lb/>
mal, ehrlich gestanden, durch die Noth gebotenen, aber verwegenen Ausdeh¬<lb/>
nungsinterpretation eine Schranke gezogen hat, so liegen doch andere Gründe<lb/>
vor, welche mehr als wahrscheinlich machen, daß man sich nicht so leicht und<lb/>
so schnell dazu entschließen wird, auch die dem Particularrecht dermalen noch<lb/>
vorbehaltenen Partien aufzuräumen. Eine gewisse juristische Sentimentalität<lb/>
spielt dabei selbst in den Kreisen der Reichsgesetzgebung eine größere Rolle,<lb/>
als man wünschen möchte. Es lautet so klug und weise, bei allem Centrali¬<lb/>
sationseifer nach der einen Seite hin, doch auch wieder von der Berechtigung<lb/>
und nothwendigen Schonung mannigfaltiger particularer Rechtsinstitutionen<lb/>
zu reden. Indessen, so gut sich nachweisen ließe, daß dabei viele falsche Ein¬<lb/>
bildungen mit unterlaufen, daß es eine Wohlthat wäre, auch solche Dinge<lb/>
einheitlich zu regeln, daß nicht abzusehen ist, weshalb es unmöglich sein sollte,<lb/>
der deutschen Nation darin zu derselben Wohlthat zu verhelfen, welche andere<lb/>
erlangt haben, und daß es bei dem Umbau, der für unsern Rechtszustand<lb/>
einmal vorgenommen wird, kein Unglück sein kann, wenn so und so viel<lb/>
» verbaute Kammern mehr eingeschlagen werden &#x2014; vorerst ist uns nur das<lb/>
gemeinsame Obligationenrecht in Sicht gestellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_877"> Denken wir uns nun dasselbe, so eng oder so ausgedehnt die Reichsge¬<lb/>
setzgebung den Begriff nehmen mag, ausgeführt, so tritt in diesem Zweige<lb/>
des Privatrechts für die Lehre die so eben von uns geschilderte Lage ein. Im<lb/>
Uebrigen bleibt es beim Alten. Leicht gesprochen, aber schwer gethan.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] mit dem traditionellen Recht total brechen und ganz neue Rechtsbe¬ griffe aufstellen. Umsomehr ist es bei solcher Ungunst für die Lehre rathsam, ihre Lage zu bedenken und die Position zu ergreisen, die sie mit Ehre und Erfolg behaupten kann. Wir werden mithin, soweit die Reichsgesetzgebung vorschreitet, demnächst eine Borlesung des praktischen Civilrechts haben müssen. Diese wird, wenn sie wissenschaftlich sein soll, die Entstehung der Rechtssätze, sei es aus deut¬ schen, sei es aus römischen Elementen, darzulegen haben. Römisches und alt¬ deutsches Recht aber werden insoweit nur noch als Rechtsgeschichte gelehrt werden. Offenbar erscheint das durchaus verständig und als dem wahren Verhält¬ niß entsprechend durchaus erwünscht. Leider trübt sich die Aussicht einiger¬ maßen durch den Gedanken, daß uns vorerst eine Codification des gesammten Privatrechts nicht beschieden sein wird. In der Reichsverfassung ist bekannt¬ lich der Reichsgewalt in Betreff der Rechtsgesetzgebung nur eine bescheidene Competenz zugebilligt worden; und ob wir gleich, gestützt auf die Erfahrung und nicht sehr in Sorge um die bekannten Competenzbedenken, glauben, daß jene Competenzausmessung in letzter Linie so wenig der ausdrücklichen Erwei¬ terung dauernd eine unübersteigliche Schranke ziehen wird, wie sie der manch¬ mal, ehrlich gestanden, durch die Noth gebotenen, aber verwegenen Ausdeh¬ nungsinterpretation eine Schranke gezogen hat, so liegen doch andere Gründe vor, welche mehr als wahrscheinlich machen, daß man sich nicht so leicht und so schnell dazu entschließen wird, auch die dem Particularrecht dermalen noch vorbehaltenen Partien aufzuräumen. Eine gewisse juristische Sentimentalität spielt dabei selbst in den Kreisen der Reichsgesetzgebung eine größere Rolle, als man wünschen möchte. Es lautet so klug und weise, bei allem Centrali¬ sationseifer nach der einen Seite hin, doch auch wieder von der Berechtigung und nothwendigen Schonung mannigfaltiger particularer Rechtsinstitutionen zu reden. Indessen, so gut sich nachweisen ließe, daß dabei viele falsche Ein¬ bildungen mit unterlaufen, daß es eine Wohlthat wäre, auch solche Dinge einheitlich zu regeln, daß nicht abzusehen ist, weshalb es unmöglich sein sollte, der deutschen Nation darin zu derselben Wohlthat zu verhelfen, welche andere erlangt haben, und daß es bei dem Umbau, der für unsern Rechtszustand einmal vorgenommen wird, kein Unglück sein kann, wenn so und so viel » verbaute Kammern mehr eingeschlagen werden — vorerst ist uns nur das gemeinsame Obligationenrecht in Sicht gestellt. Denken wir uns nun dasselbe, so eng oder so ausgedehnt die Reichsge¬ setzgebung den Begriff nehmen mag, ausgeführt, so tritt in diesem Zweige des Privatrechts für die Lehre die so eben von uns geschilderte Lage ein. Im Uebrigen bleibt es beim Alten. Leicht gesprochen, aber schwer gethan.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/277>, abgerufen am 25.07.2024.