Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

derem Rechtszustande, unter dem das deutsche Volk bisher gelebt hat. Es
bedarf in der That wenig Nachdenkens, um zu begreifen, daß die Theorie
unter dem Einfluß der Wirklichkeit gar nicht anders konnte; und die Lage
des Unterrichts, wie der wissenschaftlichen Darstellung des geltenden Rechts,
die als romanistische oder germanistische stets einen großen Theil ihrer Mühe
umsonst verschwenden muß, als particularrechtliche nur selten einen gewissen
Grad von Wissenschaftlichkeit zu erreichen vermag, bestätigt von Neuem die
Nothwendigkeit einer Reform.

Wir brauchen einen einheitlichen Rechtszustand und eine einheitliche Rechts¬
wissenschaft. Diese Einheitlichkeit, welche die eonäitio Zins yua, von der na¬
tionalen Rechtsentwicklung, welche von der Wissenschaft ausgehen oder ge¬
fördert werden soll, ist nur möglich durch eine Codification. Auf einem
anderen Wege lassen sich die auseinanderstrebenden' Bestandtheile unseres heu¬
tigen Rechts nimmermehr unter einen Hut bringen. Kommt demnächst eine
einheitliche Legislation, sei es des ganzen Privatrechts, oder großer Theile
desselben, zu Stande, so ist in demselben Umfange eine völlige Umwandlung
der Lehre unvermeidlich. Je sicherer das Eingreifen der Gesetzgebung in naher
Frist zu erwarten, desto dringender sollte sich die Rechtsschule aufgefordert fühlen,
sich darauf bei Zeiten einzurichten. Eine Warnung ist am Platze. Oft kann
man sich des Eindrucks kaum entschlagen, daß die unbefangen nach alter Art
weiter lehrende, um das, was um sie her vorgeht, wenig bekümmerte Doctrin
zu ihrem großen Schaden warten wird, bis ihr eines schönen Tages plötzlich
und aus einmal ihr altes Haus zusammenstürzt.

Sobald und so weit eine Codification des Privatrechts zu Stande kommt,
fällt selbstverständlich der Schwerpunkt des juristischen Unterrichts, der doch,
wie es nicht anders sein kann, vor allen Dingen die Unterweisung für die
praktische Ausübung bezweckt, in die Darstellung des geltenden Rechts aus
Grundlage dieser Codification. An sie schließt sich nicht minder die wissen¬
schaftliche Bearbeitung, die weitere durch die Gesetzgebung, Theorie oder Praxis
vermittelte Reform, kurz die ganze weitere Rechtsentwickelung, wie wir aber
hoffen im nationalen Geiste, an. So wird ein neuer Boden gewonnen, und
vieles Veraltete abgethan; wenigstens für Viele, obwohl es vorerst ohne Zwei¬
fel genug solche geben wird, welche darin ein Postulat der Wissenschaftlichkeit
erblicken, den ganzen Ballast antiquarischer Gelehrsamkeit auch dann noch mit
sich zu schleppen.

Die geschichtliche Erforschung des Rechts, die echt historische Schule wird
damit nicht abgethan sein. Die Geschichte ist und bleibt bei aller modernen
Codification die Quelle der Wissenschaftlichkeir. Den Rechtszustand anderer
Zeiten und anderer Völker, freilich nicht etwa bloß in seiner Aeußerlichkeit,
sondern in seinem innern Mechanismus und seinen Ursachen zu untersuchen


derem Rechtszustande, unter dem das deutsche Volk bisher gelebt hat. Es
bedarf in der That wenig Nachdenkens, um zu begreifen, daß die Theorie
unter dem Einfluß der Wirklichkeit gar nicht anders konnte; und die Lage
des Unterrichts, wie der wissenschaftlichen Darstellung des geltenden Rechts,
die als romanistische oder germanistische stets einen großen Theil ihrer Mühe
umsonst verschwenden muß, als particularrechtliche nur selten einen gewissen
Grad von Wissenschaftlichkeit zu erreichen vermag, bestätigt von Neuem die
Nothwendigkeit einer Reform.

Wir brauchen einen einheitlichen Rechtszustand und eine einheitliche Rechts¬
wissenschaft. Diese Einheitlichkeit, welche die eonäitio Zins yua, von der na¬
tionalen Rechtsentwicklung, welche von der Wissenschaft ausgehen oder ge¬
fördert werden soll, ist nur möglich durch eine Codification. Auf einem
anderen Wege lassen sich die auseinanderstrebenden' Bestandtheile unseres heu¬
tigen Rechts nimmermehr unter einen Hut bringen. Kommt demnächst eine
einheitliche Legislation, sei es des ganzen Privatrechts, oder großer Theile
desselben, zu Stande, so ist in demselben Umfange eine völlige Umwandlung
der Lehre unvermeidlich. Je sicherer das Eingreifen der Gesetzgebung in naher
Frist zu erwarten, desto dringender sollte sich die Rechtsschule aufgefordert fühlen,
sich darauf bei Zeiten einzurichten. Eine Warnung ist am Platze. Oft kann
man sich des Eindrucks kaum entschlagen, daß die unbefangen nach alter Art
weiter lehrende, um das, was um sie her vorgeht, wenig bekümmerte Doctrin
zu ihrem großen Schaden warten wird, bis ihr eines schönen Tages plötzlich
und aus einmal ihr altes Haus zusammenstürzt.

Sobald und so weit eine Codification des Privatrechts zu Stande kommt,
fällt selbstverständlich der Schwerpunkt des juristischen Unterrichts, der doch,
wie es nicht anders sein kann, vor allen Dingen die Unterweisung für die
praktische Ausübung bezweckt, in die Darstellung des geltenden Rechts aus
Grundlage dieser Codification. An sie schließt sich nicht minder die wissen¬
schaftliche Bearbeitung, die weitere durch die Gesetzgebung, Theorie oder Praxis
vermittelte Reform, kurz die ganze weitere Rechtsentwickelung, wie wir aber
hoffen im nationalen Geiste, an. So wird ein neuer Boden gewonnen, und
vieles Veraltete abgethan; wenigstens für Viele, obwohl es vorerst ohne Zwei¬
fel genug solche geben wird, welche darin ein Postulat der Wissenschaftlichkeit
erblicken, den ganzen Ballast antiquarischer Gelehrsamkeit auch dann noch mit
sich zu schleppen.

Die geschichtliche Erforschung des Rechts, die echt historische Schule wird
damit nicht abgethan sein. Die Geschichte ist und bleibt bei aller modernen
Codification die Quelle der Wissenschaftlichkeir. Den Rechtszustand anderer
Zeiten und anderer Völker, freilich nicht etwa bloß in seiner Aeußerlichkeit,
sondern in seinem innern Mechanismus und seinen Ursachen zu untersuchen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126551"/>
          <p xml:id="ID_866" prev="#ID_865"> derem Rechtszustande, unter dem das deutsche Volk bisher gelebt hat. Es<lb/>
bedarf in der That wenig Nachdenkens, um zu begreifen, daß die Theorie<lb/>
unter dem Einfluß der Wirklichkeit gar nicht anders konnte; und die Lage<lb/>
des Unterrichts, wie der wissenschaftlichen Darstellung des geltenden Rechts,<lb/>
die als romanistische oder germanistische stets einen großen Theil ihrer Mühe<lb/>
umsonst verschwenden muß, als particularrechtliche nur selten einen gewissen<lb/>
Grad von Wissenschaftlichkeit zu erreichen vermag, bestätigt von Neuem die<lb/>
Nothwendigkeit einer Reform.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_867"> Wir brauchen einen einheitlichen Rechtszustand und eine einheitliche Rechts¬<lb/>
wissenschaft. Diese Einheitlichkeit, welche die eonäitio Zins yua, von der na¬<lb/>
tionalen Rechtsentwicklung, welche von der Wissenschaft ausgehen oder ge¬<lb/>
fördert werden soll, ist nur möglich durch eine Codification. Auf einem<lb/>
anderen Wege lassen sich die auseinanderstrebenden' Bestandtheile unseres heu¬<lb/>
tigen Rechts nimmermehr unter einen Hut bringen. Kommt demnächst eine<lb/>
einheitliche Legislation, sei es des ganzen Privatrechts, oder großer Theile<lb/>
desselben, zu Stande, so ist in demselben Umfange eine völlige Umwandlung<lb/>
der Lehre unvermeidlich. Je sicherer das Eingreifen der Gesetzgebung in naher<lb/>
Frist zu erwarten, desto dringender sollte sich die Rechtsschule aufgefordert fühlen,<lb/>
sich darauf bei Zeiten einzurichten. Eine Warnung ist am Platze. Oft kann<lb/>
man sich des Eindrucks kaum entschlagen, daß die unbefangen nach alter Art<lb/>
weiter lehrende, um das, was um sie her vorgeht, wenig bekümmerte Doctrin<lb/>
zu ihrem großen Schaden warten wird, bis ihr eines schönen Tages plötzlich<lb/>
und aus einmal ihr altes Haus zusammenstürzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868"> Sobald und so weit eine Codification des Privatrechts zu Stande kommt,<lb/>
fällt selbstverständlich der Schwerpunkt des juristischen Unterrichts, der doch,<lb/>
wie es nicht anders sein kann, vor allen Dingen die Unterweisung für die<lb/>
praktische Ausübung bezweckt, in die Darstellung des geltenden Rechts aus<lb/>
Grundlage dieser Codification. An sie schließt sich nicht minder die wissen¬<lb/>
schaftliche Bearbeitung, die weitere durch die Gesetzgebung, Theorie oder Praxis<lb/>
vermittelte Reform, kurz die ganze weitere Rechtsentwickelung, wie wir aber<lb/>
hoffen im nationalen Geiste, an. So wird ein neuer Boden gewonnen, und<lb/>
vieles Veraltete abgethan; wenigstens für Viele, obwohl es vorerst ohne Zwei¬<lb/>
fel genug solche geben wird, welche darin ein Postulat der Wissenschaftlichkeit<lb/>
erblicken, den ganzen Ballast antiquarischer Gelehrsamkeit auch dann noch mit<lb/>
sich zu schleppen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_869" next="#ID_870"> Die geschichtliche Erforschung des Rechts, die echt historische Schule wird<lb/>
damit nicht abgethan sein. Die Geschichte ist und bleibt bei aller modernen<lb/>
Codification die Quelle der Wissenschaftlichkeir. Den Rechtszustand anderer<lb/>
Zeiten und anderer Völker, freilich nicht etwa bloß in seiner Aeußerlichkeit,<lb/>
sondern in seinem innern Mechanismus und seinen Ursachen zu untersuchen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] derem Rechtszustande, unter dem das deutsche Volk bisher gelebt hat. Es bedarf in der That wenig Nachdenkens, um zu begreifen, daß die Theorie unter dem Einfluß der Wirklichkeit gar nicht anders konnte; und die Lage des Unterrichts, wie der wissenschaftlichen Darstellung des geltenden Rechts, die als romanistische oder germanistische stets einen großen Theil ihrer Mühe umsonst verschwenden muß, als particularrechtliche nur selten einen gewissen Grad von Wissenschaftlichkeit zu erreichen vermag, bestätigt von Neuem die Nothwendigkeit einer Reform. Wir brauchen einen einheitlichen Rechtszustand und eine einheitliche Rechts¬ wissenschaft. Diese Einheitlichkeit, welche die eonäitio Zins yua, von der na¬ tionalen Rechtsentwicklung, welche von der Wissenschaft ausgehen oder ge¬ fördert werden soll, ist nur möglich durch eine Codification. Auf einem anderen Wege lassen sich die auseinanderstrebenden' Bestandtheile unseres heu¬ tigen Rechts nimmermehr unter einen Hut bringen. Kommt demnächst eine einheitliche Legislation, sei es des ganzen Privatrechts, oder großer Theile desselben, zu Stande, so ist in demselben Umfange eine völlige Umwandlung der Lehre unvermeidlich. Je sicherer das Eingreifen der Gesetzgebung in naher Frist zu erwarten, desto dringender sollte sich die Rechtsschule aufgefordert fühlen, sich darauf bei Zeiten einzurichten. Eine Warnung ist am Platze. Oft kann man sich des Eindrucks kaum entschlagen, daß die unbefangen nach alter Art weiter lehrende, um das, was um sie her vorgeht, wenig bekümmerte Doctrin zu ihrem großen Schaden warten wird, bis ihr eines schönen Tages plötzlich und aus einmal ihr altes Haus zusammenstürzt. Sobald und so weit eine Codification des Privatrechts zu Stande kommt, fällt selbstverständlich der Schwerpunkt des juristischen Unterrichts, der doch, wie es nicht anders sein kann, vor allen Dingen die Unterweisung für die praktische Ausübung bezweckt, in die Darstellung des geltenden Rechts aus Grundlage dieser Codification. An sie schließt sich nicht minder die wissen¬ schaftliche Bearbeitung, die weitere durch die Gesetzgebung, Theorie oder Praxis vermittelte Reform, kurz die ganze weitere Rechtsentwickelung, wie wir aber hoffen im nationalen Geiste, an. So wird ein neuer Boden gewonnen, und vieles Veraltete abgethan; wenigstens für Viele, obwohl es vorerst ohne Zwei¬ fel genug solche geben wird, welche darin ein Postulat der Wissenschaftlichkeit erblicken, den ganzen Ballast antiquarischer Gelehrsamkeit auch dann noch mit sich zu schleppen. Die geschichtliche Erforschung des Rechts, die echt historische Schule wird damit nicht abgethan sein. Die Geschichte ist und bleibt bei aller modernen Codification die Quelle der Wissenschaftlichkeir. Den Rechtszustand anderer Zeiten und anderer Völker, freilich nicht etwa bloß in seiner Aeußerlichkeit, sondern in seinem innern Mechanismus und seinen Ursachen zu untersuchen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/275>, abgerufen am 25.07.2024.