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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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sich wie die Löwen, diese jungen Regimenter dagegen, welche aus Leuten, die
kein gemeinsames Band unter einander hatten, bestanden und daher jedes
Corpsgeistes ermangelten, fingen an, sobald das Glück sie verließ, "Verrath"
zu schreien und zerstreuten sich in alle Winde, wie eine erschreckte Heerde. --
Es ist bekannt, daß in Preußen der hier empfohlene Grundsatz sowohl bei
der Linie als bei der Landwehr beobachtet wird.

Ueber die Beschaffenheit des russischen Officier-Corps klagt Fadejew
sehr. Es besteht eines Theils aus russischen Edelleuten, anderen Theils aus
Ausländern, welche bei ihrem freiwilligen Eintritt in das Heer von vorne
herein dem Officiersrang nahe gestellt werden. Auch der russische Adel ist
nach Fadejew zu drei Vierteln nicht von russischer Abkunft und hat sich überdies
schon längere Zeit von der militärischen Laufbahn abgewendet. So feien denn
unter den Officieren die unzuverlässigen "zusammengelaufenen Elemente" über¬
wiegend. Diese schöne Bezeichnung trifft jedenfalls hauptsächlich die Deutschen
in der russischen Armee, obwohl Fadejew (vielleicht unaufrichtig) die baltischen
Edelleute von seiner Anfeindung ausnimmt. Wir gestehen, daß wir, wenn
auch bisher nicht, fo doch künftig eine solche Begegnung unseren Landsleuten
unter den Officieren Rußlands gönnen, obgleich wir sie für ungerechtfertigt
halten; denn wenn sie auch immerhin zum Theil geistig und sittlich daheim nicht
den ersten Rang einnehmen mögen, so werden sie dennoch den Russen noch
als Musterbilder von Bildung und Gesittung dienen können. Aber jeder
Deutsche muß nachgrade einsehen, daß mächtige Parteien in Nußland die
geschwornen Feinde seines Vaterlandes sind. Daher ziemt sich dem Deutschen
nicht, Nußland seine Dienste zu widmen; mag man in dem Heimatlande,
welches jetzt mehr als jemals seine Söhne gebraucht, ein bescheidneres, aber
ehrlicheres Brod suchen. -- Um den Bedarf an "tüchtigen" Officieren zu decken,
verlangt Fadejew die Beförderung von Unterofsieieren zu Officieren, die Mili¬
tärobrigkeit solle sich nicht um die allgemeine, fondern um die Fachbildung
kümmern. Ob Lesen und Schreiben zu diesen entbehrlichen "encyklopädischen
Kenntnissen" gehören, darüber spricht sich unser Patriot nicht aus, wir ver¬
muthen es aber, sonst würden sich die eingeborenen russischen Lieutenants doch
gar zur spärlich finden lassen.

Hiermit dürften wohl die wichtigsten Vorschläge des Generals Fadejew
zur Vermehrung und Umgestaltung des russischen Heeres namhaft gemacht
sein, viele andere Einzelheiten müssen wir übergehen. Daß sein Hervortreten
mit ihnen weder unzeitig noch wirkungslos gewesen ist, das erweist sich schon
jetzt, da der Kriegsminister Miljutin dem Kaiser einen Entwurf zur Umge¬
staltung des Heerwesens vorgelegt hat, dessen Zweck die Vermehrung der
Streitkräfte ist und zu dessen Begründung auf dieselbe Vermehrung im Westen
hingewiesen wird, wie das auch in dem Entwürfe Fadejews geschieht. So viel


sich wie die Löwen, diese jungen Regimenter dagegen, welche aus Leuten, die
kein gemeinsames Band unter einander hatten, bestanden und daher jedes
Corpsgeistes ermangelten, fingen an, sobald das Glück sie verließ, „Verrath"
zu schreien und zerstreuten sich in alle Winde, wie eine erschreckte Heerde. —
Es ist bekannt, daß in Preußen der hier empfohlene Grundsatz sowohl bei
der Linie als bei der Landwehr beobachtet wird.

Ueber die Beschaffenheit des russischen Officier-Corps klagt Fadejew
sehr. Es besteht eines Theils aus russischen Edelleuten, anderen Theils aus
Ausländern, welche bei ihrem freiwilligen Eintritt in das Heer von vorne
herein dem Officiersrang nahe gestellt werden. Auch der russische Adel ist
nach Fadejew zu drei Vierteln nicht von russischer Abkunft und hat sich überdies
schon längere Zeit von der militärischen Laufbahn abgewendet. So feien denn
unter den Officieren die unzuverlässigen „zusammengelaufenen Elemente" über¬
wiegend. Diese schöne Bezeichnung trifft jedenfalls hauptsächlich die Deutschen
in der russischen Armee, obwohl Fadejew (vielleicht unaufrichtig) die baltischen
Edelleute von seiner Anfeindung ausnimmt. Wir gestehen, daß wir, wenn
auch bisher nicht, fo doch künftig eine solche Begegnung unseren Landsleuten
unter den Officieren Rußlands gönnen, obgleich wir sie für ungerechtfertigt
halten; denn wenn sie auch immerhin zum Theil geistig und sittlich daheim nicht
den ersten Rang einnehmen mögen, so werden sie dennoch den Russen noch
als Musterbilder von Bildung und Gesittung dienen können. Aber jeder
Deutsche muß nachgrade einsehen, daß mächtige Parteien in Nußland die
geschwornen Feinde seines Vaterlandes sind. Daher ziemt sich dem Deutschen
nicht, Nußland seine Dienste zu widmen; mag man in dem Heimatlande,
welches jetzt mehr als jemals seine Söhne gebraucht, ein bescheidneres, aber
ehrlicheres Brod suchen. — Um den Bedarf an „tüchtigen" Officieren zu decken,
verlangt Fadejew die Beförderung von Unterofsieieren zu Officieren, die Mili¬
tärobrigkeit solle sich nicht um die allgemeine, fondern um die Fachbildung
kümmern. Ob Lesen und Schreiben zu diesen entbehrlichen „encyklopädischen
Kenntnissen" gehören, darüber spricht sich unser Patriot nicht aus, wir ver¬
muthen es aber, sonst würden sich die eingeborenen russischen Lieutenants doch
gar zur spärlich finden lassen.

Hiermit dürften wohl die wichtigsten Vorschläge des Generals Fadejew
zur Vermehrung und Umgestaltung des russischen Heeres namhaft gemacht
sein, viele andere Einzelheiten müssen wir übergehen. Daß sein Hervortreten
mit ihnen weder unzeitig noch wirkungslos gewesen ist, das erweist sich schon
jetzt, da der Kriegsminister Miljutin dem Kaiser einen Entwurf zur Umge¬
staltung des Heerwesens vorgelegt hat, dessen Zweck die Vermehrung der
Streitkräfte ist und zu dessen Begründung auf dieselbe Vermehrung im Westen
hingewiesen wird, wie das auch in dem Entwürfe Fadejews geschieht. So viel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/259>, abgerufen am 25.07.2024.